Kultur

Schreiben ist auch eine Sache des Verdienens: Bei allem Wahnsinn, der ihn antrieb, sagt Franz Xaver Kroetz, dass er auch Geld brauchte, um seine Kinder und Frauen zu ernähren. (Foto: dpa)

24.02.2016

"Ohne mich ist die Welt nichts"

Franz Xaver Kroetz wird 70 und schreibt ein Stück "Alter Mann, was nun?"

Er war ein Enfant terrible des deutschen Theaters - und er war Baby Schimmerlos in Helmut Dietls "Kir Royal". Vor seinem 70. Geburtstag am 25. Februar ist er ein Lyriker - und er hat sogar ein Drehbuch für den "Tatort" geschrieben, das der Bayerische Rundfunk aber nicht weiterentwickeln will.

Franz Xaver Kroetz ist ein Wandler zwischen den Welten: Theater und Literatur auf der einen, das Fernsehen auf der anderen Seite. Dieser Spagat hat ihm viel Kritik eingebracht, doch die kratzt ihn nicht mehr, wie er im Interview der Deutschen Presse-Agentur in seinem Haus im Münchner Westen sagt. "Mir geht das am Arsch vorbei. Wer Gift spritzen will, soll Gift spritzen." Frage: Früher wurde viel Gift gespritzt, heute eher nicht mehr. Vermissen Sie das manchmal?
Franz Xaver Kroetz: Nein, das ist anstrengend gewesen. Es gab ja mal eine Zeit, in der die Theaterkritik kein anderes Interesse hatte, als mich als größte Gefahr des deutschen Theaters zu vernichten und das Theater zu schützen vor solchen Leuten wie mir. Es gibt Kollegen, die mit dem Feuilleton immer zurechtgekommen sind, stets geliebt und bewundert wurden - wie Josef Bierbichler oder Christoph Schlingensief. Ich dagegen hatte eigentlich fast mein Leben lang das Gefühl, das Feuilleton ist mein Feind. Ich habe mich nach den Premieren meistens geduckt und gedacht: Jetzt kommen diese zwei Tage Scheiße.

Ein Abtrünniger

Frage: Warum war das so?
Franz Xaver Kroetz: Möglicherweise hängt das auch mit "Kir Royal" zusammen. Da wurde ich für viele abtrünnig und korrupt, weil ich in so einer Scheiß-Serie, wie sie sagten, spiele. Das war für die Ernsthaften ein Affront. Marcel Reich-Ranicki hat damals geschrieben, ich sei ein ernsthafter Anwärter auf den Büchner-Preis gewesen - aber zu jung. Ich glaube nicht, dass es ums Alter ging. Ich glaube, man hat gesagt, man kann doch nicht dem Baby Schimmerlos den Büchner-Preis geben. Ich war also zwischen zwei sehr weit auseinanderstrebenden Welten und habe sehr viele Einschläge ertragen müssen. Die haben mich sehr viel Kraft gekostet. Frage: Warum haben Sie trotzdem so lange durchgehalten?
Franz Xaver Kroetz: Das ist ganz einfach: Ich habe mit 12, 13 Jahren zu schreiben angefangen. Mit 15 bin ich auf die Schauspielschule gegangen. Das waren meine zwei Berufe, und damit musste ich mein Geld verdienen - ich hatte keinen dritten. Also musste ich diesen Beruf bis zur Rente ausüben. Mit fünf Kindern, vielen Frauen, vielen Autos, Häusern, allem möglichen, war es meine Erwerbsquelle. Da kann man nicht aufgeben. Damals gab es noch nicht mal Hartz IV. Wenn ich nicht mehr geschrieben hätte - was hätte ich denn dann gemacht? Ich habe nicht geschrieben, um unsterblich zu werden, sondern schlicht und einfach, um Geld zu verdienen. Das war ein Lebenskampf, den ich - wenn ich zurückblicke - gut bewältigt habe. Es gibt viele Autoren, die nicht 70 geworden sind. Dieser Beruf verschleißt. Der schwankt zwischen neurotisch-hysterisch und am Boden liegend. Er hat schon eine manisch-depressive Komponente. Aber ohne geht es nicht.

Schreiben hat sich nicht mehr rentiert

Frage: Sie haben vor mehr als zehn Jahren aufgehört, Theaterstücke zu schreiben...
Franz Xaver Kroetz: Das hat sich finanziell nicht mehr rentiert. Meine Bühnenpräsenz, mein Erfolg als Dramatiker auf deutschen Bühnen, hatte so nachgelassen, dass ich mir das Theaterstücke-Schreiben nicht mehr leisten konnte. Da hätte der Schauspieler Kroetz den Dramatiker Kroetz alimentieren müssen. Das klingt jetzt vielleicht sehr profan, aber ich glaube, Shakespeare hat nicht eine Zeile geschrieben, ohne ans Geld zu denken. Frage: Es ging Ihnen also nur ums Geld?
Franz Xaver Kroetz: Nein, natürlich nicht. Jeder Lyriker ist davon überzeugt, mit einem guten Gedicht verändert er die Welt. Diese Überzeugung, etwas Unwiderstehliches, etwas Fantastisches, etwas unbedingt Nötiges in die Welt zu setzen, das ist der eigentliche Antrieb. Dieser Wahnsinn, mein Werk, meine Kreativität, die macht die Welt erträglicher, die macht sie schöner. Ohne mich und mein Werk ist die Welt nichts. Dieser Wahnsinn, dieser weltumfassende Irrsinn, dieser hymnische Schwachsinn, der in uns Künstlern allen drin ist, der muss raus. In jedem von uns steckt ein kleiner Richard Wagner.

Schreiben bedeutet Jugend

FrageIst dieser Wahnsinn jetzt verstummt?
Franz Xaver Kroetz: Ja, schon. Die Faszination am Schreiben ist weniger geworden. Das ist natürlich ein Verlust. Schreiben hat immer auch Jugend bedeutet. FrageWas machen Sie denn heute den ganzen Tag?
Franz Xaver Kroetz: Natürlich schreibe ich schon noch - Gedichte. Ich hoffe, dass ich im Herbst meinen Band mit neuen Gedichten - "Verwesung schwelgt im Honeymoon" - endlich veröffentlichen kann. Es ist ein großes Klagelied, und dabei geht es um den Schriftsteller, der nicht mehr schreiben kann. Dazu muss ich noch einen geeigneten Verlag finden, der kein finanzielles Interesse hat. Ein Gedichtband mit 2000 verkauften Exemplaren wäre ja schon ein Weltbestseller. Außerdem sitze ich auch nach wie vor an einem sehr komplizierten Stück, an dem ich schon seit 2011 arbeite.

An Shakespeare anlehnen

Frage: Doch noch ein Stück? Worum geht es da?
Franz Xaver Kroetz: Es heißt "Alter Mann, was nun?" und orientiert sich am "Sturm" von Shakespeare. An diese starke, shakespearische Wand möchte ich mein Pflänzchen gerne anlehnen. Es dramatisiert ein bisschen die Zeit, in der ich meine jetzige Lebensgefährtin kennengelernt habe, und beschreibt die Verwerfungen in der Familie und was da so passiert ist. Sie ist ja 30 Jahre jünger als ich. Die Arbeit ist aber schwierig, weil es ja kein Fernsehspiel werden darf, kein Plaudern aus dem Nähkästchen. Das muss großes, episches Theater und unangreifbar sein. (Interview: Britta Schultejans, dpa)

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