Kultur

Zum Genuss am Hören kommt der am Sehen hinzu, wenn die Konzerte des Mozartfestes im Kaisersaal der Würzburger Residenz stattfinden. (Foto: Oliver Lang)

18.06.2019

Palette der Gefühle

Ein Streifzug durch die ersten Konzerte des Würzburger Mozartfests

"Mozart und die Romantik", unter diesem Motto erklangen beim Würzburger Mozartfest zahlreiche exklusiv erstellte Programme. Schon das Eröffnungskonzert mit dem Freiburger Barockorchester und dem Tenor Julian Prégardien wollte „romantische“ Gefühle, von Sehnsucht nach dem unbegreiflich Schönen bis hin zum Erschauern über Geheimnisvolles ergründen.

Der Abend begann mit der relativ unbekannten Konzertarie Mozarts KV 431, die zwischen Traum, trostlosen Visionen und tiefer Trauer wechselt; als nächste Gesangsnummern schlossen sich die sehnsuchtsvolle Bildnis-Arie des Tamino aus der „Zauberflöte“ an, ihr folgte die Klage des Orfeo von Haydn, und nach der Pause erklang der Preis der Liebe in der Romanze des Palmerin aus Schuberts „Zauberharfe“. Die Darbietungen wurden immer wieder „eingerahmt“ von Sätzen aus Mozarts früher g-Moll-Sinfonie KV183, um ein Bild innerer Zerrissenheit zu verstärken.

Erst der zweite Teil brachte positivere Stimmungen mit idyllisch verspielten, tänzerisch beschwingten Menuetten und Trios von Schubert, bevor dann die düstere 1. Sinfonie g-Moll von Ètienne-Nicolas Méhul das Ganze  energisch mit Auftrumpfen und geheimnisvollen Stimmungen beschloss. Das Orchester unter Leitung von Lorenza Borrani vermittelte solches differenziert abgestuft, mit viel Schwung und Elan. Prégardien aber gestaltete sehr variabel im Ausdruck, deutete manches jugendlich empfindsam und konnte seine schön timbrierte Stimme mühelos glanzvoll weiten. Am meisten beklatscht wurde aber seine Zugabe, die Arie des Don Ottavio „Dalla sua pace“, der er feinen, hellen Schmelz verlieh und aufblühende Linien.

Dramatik relativiert

Das Verzahnen von Lieddarbietung mit instrumentalem Spiel schien hier interessant, bei der Kombination von kurzen Mozart-Klavierstücken mit dem Zyklus der „Winterreise“ von Schubert jedoch wirkte das weitgehend unnötig, nahm der genialen Vertonung der Müller-Gedichte viel von ihrer innerlich packenden Prägnanz, auch wenn die ausgewählten Klavier-Nummern in Moll-Tonarten durchaus Melancholie und Weltschmerz enthielten. Irgendwie relativierte dies die tieftraurige Dramatik des Abschieds eines Menschen, eines Wanderers, vom Leben. Schuberts Zyklus „Schauerlicher Lieder“ vermittelt ausweglose Trostlosigkeit, die sich immer mehr steigert. Diese Entwicklung, dieser Weg in den Winter, wurde leider immer wieder unterbrochen von Mozartischen Klavierstücken, vom Rondo a-Moll, 2 Sätzen der Sonate c-Moll, dem Fantasie-Fragment d-Moll und schließlich vom Adagio h-Moll, sicher passend in der tiefen inneren Zerrissenheit, aber nur eine Bestätigung der weitaus differenzierteren Aussage der Lieder.

Ganz unpassend aber schien zu Beginn des zweiten Teils Mozarts Lied „Das Traumbild“, denn es wirkte irgendwie oberflächlich und obendrein musikalisch etwas nichts sagend, während Schuberts Lieder tiefe menschliche Probleme wie Einsamkeit, Todessehnsucht oder das vergebliche Weiterleben-Müssen berühren.

Natürlich will ein Pianist von Rang nicht „nur“ Klavierbegleiter sein, obwohl gerade das Schubertsche Werk ein Höchstmaß an Können verlangt, was Farben, variablen Anschlag, illustrierende Schilderung etc. anbelangt. Kit Armstrong konnte in Mozarts kurzen Klavierstücken seine stupende Kunst der Formung emotionaler und kluger Gestaltung beweisen, seine unaufdringlich bravouröse Brillanz entfalten, auch wenn manches etwas manieriert schien. Der Klavierpart von Schuberts Liedzyklus aber gelang ihm ausgezeichnet.

Unbeantwortete Frage an Leben und Schicksal

Julian Prégardien erwies sich als äußerst differenzierter Liedgestalter, dem die Interpretation der Gedichttexte offensichtlich ein intellektuelles Vergnügen bereitete. Bei ihm faszinierte die Unmittelbarkeit tiefer Empfindungen von Trauer, Resignation, kurzer Fröhlichkeit, Verzweiflung, vergeblicher Hoffnung; in den Kontrasten zwischen starker Aufgewühltheit und friedlicheren Momenten, trügerischer Beruhigung klang die innere Zerrissenheit an. Prégardien geriet dabei nie in Versuchung zu übertreiben; so klang sein „Lindenbaum“ ganz schlicht und innig, „Frühlingstraum“ und „Die Post“ begannen bewegt, änderten sich aber in sehnsüchtige Beschwörung, und vom „Wegweiser“ bis zum ganz verhaltenen, fast weich gesungenen „Leiermann“, der hier offen endete, schien alles eine unbeantwortete Frage an Leben und Schicksal. Solch eine nachdenkliche Haltung durchzog die gesamte Interpretation von Prégardien, der hier mit dem fein leuchtenden, jugendlich männlichen Timbre seines Tenors und die natürliche Gestaltung mehr als überzeugte.

Nicht ganz so zufrieden sein konnte man mit dem Programm, welches das Kammerorchester Basel unter dem inspirierenden Heinz Holliger mitbrachte: zwei frühe Schubert-Sinfonien, Nr. 2 und Nr. 3, die in B-Dur geradezu mozartisch, wobei die filigranen Streicher manchmal etwas „verwischt“ klangen mit einem trotzig auftrumpfenden Menuett und einem lieblichen Trio, alles aber fast übermütig hüpfend. Auch die D-Dur-Sinfonie erinnerte an Mozart mit ihrem Flöten-Idyll nach starken Anfangsakzenten, mit Gute-Laune-Schwung, charmant sich entfaltenden Themen und tänzerischen Momenten. Wie ein erratischer Block wirkte zwischen diesen zwei freundlichen Sinfonien Schuberts das einzige Violinkonzert Schumanns in d-Moll. Isabell Faust war hier die Solistin, und mit ihrem verinnerlichten Spiel, das nie mit technischer Brillanz auftrumpfte, obwohl es immense Schwierigkeiten aufweist, sondern gegen die „düsteren“ Gedanken des Orchesters gespannte Energie setzte, konnte sie gerade im 2. Satz intimen Glanz, Elegisches zeigen. Auch im Finalsatz ordnete sie sich eigentlich immer dem Orchester unter, mit hell geschliffenem, fein dezentem Ton und virtuosem Schmuck.

Konzerte ohne Regie-Verrenkungen

Immer wieder ein Erlebnis sind konzertante Aufführungen von Mozart-Opern, keine Regie-Verrenkungen lenken hier ab von der Musik. Auch beim „Don Giovanni“ war dies zu registrieren; leider behindert da die breit gezogene Bühne ein bisschen das lebendige Miteinander der Sänger-Akteure. Dafür aber brachte Wolfgang Katschner mit seiner fulminanten Lautten Compagney BERLIN richtig viel Schwung und eine Vielfalt von Ausdrucksfacetten in den prächtigen Kaisersaal. Da gab es zupackende Akzente, Düsteres, Liebliches, aber auch witzige Momente und einen Reichtum an emotionalem Ausdruck bis zum faszinierenden Untergang eines erotischen Wüstlings und Verführers, der alles respektlos bis zum Äußersten ausreizt und schließlich seine Quittung von höheren Mächten erhält, ein, so man will, „romantischer“ Aspekt.

Bei der exzellenten Sängerriege aber kam solches nicht unbedingt zum Tragen. Das lag an den beiden Hauptfiguren: Den Don Giovanni gestaltete der südafrikanische Bariton William Berger mit eher heller Stimme meist freundlich, keineswegs diabolisch, und Simon Robinson als sein Diener Leporello legte seine Rolle allzu buffesk an, wenig aufbegehrend gegen seinen Herrn; auch für seine Registerarie hätte man sich mehr profunde Tiefe gewünscht. Auch der Komtur, Andrew Nolen, hatte keinen dunklen, kräftigen Bass, und so fehlte ihm das Gespenstische eines Toten. Dagegen aber waren die Frauen gut besetzt. Herausragend als Donna Anna die südafrikanische Sopranistin Erica Eloff mit ihrer großen, klaren, strahlend schönen Stimme in ihren wunderbar gestalteten Arien. Ihre „Gegenspielerin“ war Francesca Lombardi Mazzulli als eifersüchtige Donna Elvira mit dazu passendem hell-kräftigen, elanvollen Sopran. Die dritte im Bunde, die anfangs etwas naive Zerlina wurde von Hanna Herfurtner sehr überzeugend mit lichtem, fein glänzenden Sopran gezeichnet. Ihr jugendlich empörter Masetto war bei dem temperamentvollen Lorenzo de Cunzo bestens aufgehoben. Für mitreißenden tenoralen Glanz aber sorgte Patrick Grahl als Don Ottavio mit hellem Schmelz in seinen berühmten Arien „Dalla sua pace“ und „Il mio tesoro“. Am Ende gab es nach über drei Stunden in der ausverkauften Residenz stehenden Beifall!   

Hommage an Clara Schumann

Nichts ist so romantisch wie das Lied, und die Mozart-Verehrerin Clara Schumann, die vor 200 Jahrem geboren wurde, hat Gedichte vertont, auch wenn sie als gefeierte Pianistin wenig Zeit hatte, denn sie musste das Geld für die Familie mit ihren Konzerten verdienen. Unmittelbar nach ihrer schwer erkämpften Heirat mit Robert Schumann schenkte sie ihrem Gatten zu Weihnachten ein „Volkslied“ nach einem Gedicht von Heinrich Heine.

Beim Würzburger Mozartfest erklangen nun drei ihrer Liedvertonungen als Uraufführung, für Streichquartett transkribiert von Aribert Reimann. Auch wenn diese einst für Klavierbegleitung gedacht waren, vom warmen, seelenvollen Ton des Schumann-Quartetts gespielt erhielten sie besonders emotional berührende Tiefe.

Der Abend in der Neubaukirche aber gedachte auch der anderen Weggefährten dieser genialen Musikerin Clara, geborene Wieck; so kamen die fünf „Ophelia-Lieder“ ihres lebenslangen Verehrers Johannes Brahms, die sechs Lieder des Theodor Kirchner „Die schönen Augen der Frühlingsnacht“, die der begabte, aber spielsüchtige, kurzzeitige Liebhaber der Witwe Clara komponiert hatte, und sechs Gesänge op. 107 ihres Gatten Robert Schumann zur Aufführung, alle wiederum für Streichquartett einfühlsam und deutend transkribiert von Aribert Reimann. Die Kirchner-Lieder aber wurden unterbrochen und gleichzeitig verbunden von Bagatellen Reimanns, die mit ihren Dissonanzen, wahnwitzigen Flageoletts und Arco-Einschüben die innere Zerrissenheit und emotionale Einsamkeit Claras nachzeichneten. Als verbindende Elemente wurden Tagebuch- und Briefausschnitte verlesen, leider nicht immer gut verständlich von Birte Leest.

Im Mittelpunkt aber standen die Lieder, begleitet vom wunderbaren Schumann-Quartett und so mit einer anderen Bedeutungs-Ebene unterstützt. Mit ihrem klaren, hellen, nie angestrengten Sopran konnte Anna Lucia Richter die bestens artikulierten Texte in ihren Abschattierungen, inneren Beweggründen und kurzen freundlichen Momenten äußerst überzeugend vermitteln. Die eigentlich melancholischen, todessehnsüchtigen Inhalte wurden überstrahlt vom Glanz der Stimme und ergaben so doch insgesamt ein tröstliches Bild einer Frau, die sich gegen alle äußeren Misshelligkeiten in der Zuversicht auf die Kraft der Musik das Leben erträglich machen konnte.

Angebliche Rivalität

Die angebliche Rivalität von Mozart und Salieri ist ein romantisches Märchen. Dies stand im Mittelpunkt eines abwechslungsreichen Abends mit den Bamberger Symphonikern und zwei Sängern, dem Tenor Julian Prégardien für Mozart und dem Bariton Roman Trekel für Salieri. Beide Figuren treffen in der Kammeroper „Mozart und Salieri“ von Nikolai Rimski-Korsakov aufeinander, die der Komponist 1898 nach Puschkins „Kleiner Tragödie“ von 1830 schuf, um den Gegensatz zwischen dem erfolgreichen Hofmusiker und dem musikalischen Genie zu unterstreichen, in rezitativischer Tonsprache, mit Zitaten aus Mozarts Werken, und auch als Parodie auf sinnentleertes Virtuosentum. Es geht hier um die „romantische“ Legende, dass Salieri seinen „Kontrahenten“ vergiftet habe. So darf auch Mozarts „Requiem“ dabei nicht fehlen.

Die Bamberger unter dem sich ganz in sein Dirigat hineinknienden, fast beschwörend leitenden Ainars Rubikis machten die Gegensätze der beiden Musiker-Größen auch durch ihre sehr effektvollen, nachdrücklichen Akzentuierungen, die melodischen Momente und auftrumpfende Dramatik deutlich bis zum schmerzlichen Ende, als Mozart stirbt. Der Bariton Trekel war schon durch sein strenges Äußeres und seine kraftvoll kernige Stimme die perfekte Verkörperung des angeblich von Neid, aber auch Bewunderung zerfressenen Salieri; Prégardien konnte mir seinem jugendlich hellen Tenor, seinem bewegtem Parlando, seinem wonnigen Preis des Lebens den passenden Kontrast zu seinem düsteren Komponisten-Kollegen herstellen.

Daneben aber galt es, den beiden Musikern mit ihren eigenen Werken nahe zu kommen. Das gelang mit Salieris Ouvertüre zu „Les Horaces“; die Bamberger gaben sie mit prächtigem, mächtigen Anfang, mit großem Bläser-Einsatz, dann aber mit eleganten, schwungvollen Elementen, mit leichter Melancholie und einer Prise Empfindsamkeit, effektvoll endend in großer Wucht. Dagegen lebte Mozarts 4. Violinkonzert D-Dur mit seiner Gute-Laune-Melodienseligkeit ganz vom hell glänzenden, flüssigen, flinken, von musikantischem Impuls getragenen Spiel des hervorragenden Solisten Ilian Garnetz. Ganz im stimmigen Einklang mit seinem Orchester – er ist der 1. Konzertmeister der Bamberger -, trieb er alles durch seine singende, temperamentvolle Tongebung an, kostete die Linien klangschön aus, gestaltete die Kadenzen klug und spannend, imponierte mit satten, samtigen Tiefen und stupender, scheinbar mühelos virtuoser Technik, ließ das Rondo tänzerisch, heiter, vergnügt dahin laufen und ganz leicht enden. Für den lauten Jubel bedankte er sich mit zwei exzellenten Zugaben. (Renate Freyeisen) 

Abbildung: Julian Prégardien. (Foto: Marco Borggreve)

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