Kultur

Mal nackt, mal mehr, mal weniger verhüllt: Das Tanzensemble und die Sänger (Michaela Maria Mayer) sind in dieser Inszenierung besonders wandlungsfähig. (Foto: Ludwig Olah)

08.04.2016

Paradiesisches Nudistencamp

Laura Scozzis Inszenierung der Barockoper "Les Indes Galantes" am Staatstheater Nürnberg ist französisch-frech

Der künstlerisch wichtigste Triumph dieser Nürnberger Inszenierung von Jean-Philippe Rameaus barocker Weltumrundung Les Indes Galantes (1735) ist die musikalische Umsetzung im Orchestergraben. Dort dirigiert Paul Agnew die Staatsphilharmonie: Er ist ein in Sachen Rameau als Sänger höchst kompetenter Interpret, war Assistent und Stellvertreter von William Christie (Les Arts Florissants) und ist jetzt mit nie nachlassender Energie die Inspiration dieser Aufführung von der Ouvertüre an. Man hört kraftvollen, französischen Barockklang, Klangreden-Begleitung der Rezitative und Arien vier Akte lang.

Machos und Drogen

Die spielen zwar nie in Indien, wie der Titel vermuten lassen könnte, aber doch da, wo man es einmal vermutete: in der Türkei, in Persien, Peru, Nordamerika. Galant geht es jedenfalls nirgends zu: Eifersucht, muslimisches Machogehabe, Rauschgifthandel, Umweltzerstörung. So erzählt das jedenfalls im Remake Laura Scozzi in ihrer vier Jahre alten, aber immer noch taufrischen und von der Nürnberger Dramaturgie aktualisierten Fassung. Französisch und frech ist nicht nur das über 250 Jahre alte Ballet-Heroique, sondern auch das Retour-à-la-nature-Paradies, in dem alles beginnt und endet. Denn das ist eine veritable Nudistenkolonie mit reichlich Apfelangebot und parallel zu Rameaus Musik mit heftigem Busen- und Pimmel-Gebimmel. Die Welt des Kostümfundus aber bricht ein in den philodendrongrünen Garten Eden, lässt Kettensäge und Kalaschnikow zurück und Fahrkarten für die Eden-Airline. Mit der fliegen die Männer davon, auch die drei hemmungslosen Slapstick-Amouretten – die zwar stumm sind, aber die witzigsten Darsteller dieses Abends. Das Schlimmste können auch sie nicht verhindern – deshalb heißt es: alle Mann hüllenlos zurückgehopst ins paradiesische Nudistencamp!

Frenetischer Applaus

Regisseurin Laura Scozzi in grasgrüner Laubfrosch-Abendrobe bedankt sich am Ende für den frenetischen Nürnberger Applaus, und die Nürnberger bedanken sich für ein Füllhorn von Einfällen, das die Regieseurin im Postkarten-Bühnenbild von Natacha Le Guen de Kerneizon ausschüttet: amüsant, unerschöpflich und zuweilen auch von tieferer Bedeutung. Ganz schön provozierend ist ihr Rundumschlag gegen die muslimische Männergesellschaft („Persien“), durch aktuelles Flüchtlingselend angereichert und einen ziemlich realistischen Schluss im „Türkei“-Bild: Da entscheidet sich die gestrandete Emilie schließlich doch gegen ihren einstigen Belmonte-Lover und für den reichen und human gewandelten türkischen Reeder, der freizügig Pässe verteilt: an Flüchtlinge zwischen „Greece“-Wegweisern. Ein Feuerwerk von Klappe-auf-Klappe-zu-Gags brennt die Bühnenbildnerin in den Wäldern der Rockies ab, wo der Regenwald den Reihenhäusern weichen muss. Aber auch hier: Der indigene Liebhaber siegt. Von den Sängern verlangt das höchste Wandlungsfähigkeit, natürlich auch einen Marathoneinsatz bei Garderobieren und Requisiteuren. Am treffendsten hat Tenor Martin Platz den französischen Gesangsstil verinnerlicht, Hrachuhí Bassénz ist eine glutvolle Geliebte am türkischen Strand und in der persischen Wüste, wo eine Wäscheschau als Blumenfest Macho-Träume erfüllt. Ohne ihre französischen Statisterie-Truppen hätte Scozzi das wohl nicht so frech und frei hingekriegt.

Und damit wirft sie ihren Hut in den Bayerischen Staatstheater Regie-Ring: In gut drei Monaten gibt es das indisch-indianische Welttheater bei den Münchner Opernfestspielen. In Nürnberg hat Rameau jetzt schon das Zeug zum Publikumsrenner – wenn es denn genügend Folge-Vorstellungen gäbe. (Uwe Mitsching) Information: Nächste Vorstellungen: 3., 5., 8. Mai.

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