Kultur

Auf der Schillerwiese im Bamberger Hain erinnert ein Denkmal an E.T.A. Hoffmann, der dort bei einem seiner vielen Spaziergänge dem sprechenden Hund Berganza begegnet sein will. Im Hintergrund ein Ruhetempelchen in antikem Stil. Es stand ursprünglich im Garten von Schloss Geyerswörth, wurde 1808 in den Hain versetzt und 1909 an seinem jetzigen Standort als Kurhalle errichtet; es steht symbolisch für die Einheit von gesundem Geist und gesundem Körper. (Foto: Andreas Reuß)

24.04.2020

Philosophische Spaziergänge als Therapie

So manche Dichter und Denker haben zu Fuß Geist und Gesundheit gepflegt

In Zeiten von Corona lohnt ein Blick auf die Tradition von Spaziergängen im Namen der Gesundheit bei gleichzeitiger geistiger Tätigkeit. Vielleicht fördern ja philosophische Gedankengänge das Wohlergehen des Spaziergängers. Die Beispiele zum Thema philosophisch-literarische Spaziergänge sind jedenfalls so zahlreich, dass man meinen könnte, die gesamte abendländische Kunst- und Kulturgeschichte sei bei kleineren oder größeren Wandelgängen ersonnen worden. Platon, Goethe, Seume und E.T.A. Hoffmann sind nur einige der dafür berühmt gewordenen Namen.

Für Bamberg zum Beispiel ist das früher so benannte Lustwandeln von Ästheten und Denkern mehrfach bezeugt. Schon um 1475 hat der Domherr und Schriftsteller Albrecht von Eyb Bamberg als einen sehr angenehmen Ort beschrieben, „um Spaziergänge zu unternehmen“. Manche mutmaßen, dass er dabei auch dem weiblichen Geschlecht zugetan gewesen sei, genauso wie ein Abt des Klosters Michaelsberg in seinen Klostergärten.

Gott und die Maler

Der Kupferstecher Ziegler wies um 1800 auf die dem „Vergnügen“ dienenden Flaniermöglichkeiten in und um Bamberg hin, das „bekanntlich in einer der schönsten Gegenden Teutschlands“ liegt. Was Schönheit ist, das sollte der Künstler nach Ansicht Georg Büchners von der Natur lernen: „Der liebe Gott hat die Welt wohl gemacht wie sie sein soll, und wir können wohl nicht was Besseres klecksen.“

Die erwähnte Michaelsberger Klosterlandschaft diente lange Zeit vornehmlich der Produktion von landwirtschaftlichen Erzeugnissen. Schon in der Klosterregel aber war die „recreatio“, die Erholung, für die Mönche vorgesehen, denen in Bamberg seit dem 18. Jahrhundert einmal wöchentlich ein Gang im Klosterwald genehmigt wurde. Dass man bei dieser leiblichen Wiederherstellung philosophierte und theologisierte, war sicher nicht verboten, zumal die Patres häufig zu zweit wandelten und sich privaten „disputationes“ hingaben.

Schon immer waren es vornehmlich Parkanlagen, in denen man den philosophischen Spaziergang pflegte. In Europa wurden im 18. Jahrhundert Parks im englischen Stil modern: „Der Garten ist einfach, und man fühlt gleich bei dem Eintritte, dass nicht ein wissenschaftlicher Gärtner, sondern ein fühlendes Herz den Plan gezeichnet, das seiner selbst hier genießen wollte“, schrieb Goethes Werther.

Wandeln im Irrgarten

Einer der ältesten Parks dieser Art in Deutschland entstand in der nördlichen Fränkischen Schweiz im Landkreis Kulmbach. Dort entdeckte Markgräfin Wilhelmine von Bayreuth, die Lieblingsschwester Friedrichs des Großen, 1744 natürliche Felsformationen in einem Waldstück, die schon im Mittelalter Bewunderer gefunden hatten. Dort ließ sie mit ihrem Gemahl den Garten Sans-pareil anlegen – zur selben Zeit, als ihr Bruder in Potsdam sein Sanssouci plante, welches man wiederum häufig mit den annähernd gleichzeitig begonnenen Terrassengärten des Klosters Michaelsberg in Bamberg verglichen hat.

Wilhelmines Sanspareil, eine der bedeutendsten Anlagen in der Geschichte der Gartenbaukunst, sollte Szenen aus den Abenteuern des Telemach von François Fénelon darstellen und wurde somit zu einem sehr frühen, empfindsam-literarischen Garten im Stil der Romantik. Er gleicht einem Irrgarten, in dem man sich – wie sinnig – wegen des nahen Waldrands eigentlich nicht verirren kann.

Als einer der ersten Englischen Gärten auf dem Kontinent im eigentlichen Sinn gilt jedoch der Park um Schloss Schönbusch in Aschaffenburg, entstanden ab 1775 unter der Ägide von Friedrich Karl Joseph, Reichsfreiherr von Erthal, Kurfürst und Erzbischof von Mainz sowie Fürstbischof von Worms. Sein jüngerer Bruder Franz Ludwig von Erthal war Fürstbischof von Würzburg und Bamberg, der auf seine Weise um die Gesundheit bemüht war: Das Allgemeine Krankenhaus, das er am Fuß der Michaelsberger Terrassengärten errichten ließ, war bei seiner Eröffnung 1789 das modernste seiner Zeit. In der Hauskapelle hielt der „Natur“-Philosoph und Theoretiker der Romantischen Medizin Friedrich Schelling im Jahre 1800 Vorlesungen, in denen er die ursprüngliche Einheit von Natur und Geist im Absoluten entwarf. Umgeben war das Krankenhaus von einem Garten, zum Teil noch im französischen Stil, von einem „wissenschaftlichen Gärtner“ geometrisch geplant.

Boom der Philosophenwege

Im Englischen Park von Schönbusch richtete man mehrere romantische Rückzugsorte ein, unter anderem ein Philosophenhaus, das im Inneren mit vier Büsten antiker Philosophen bestückt wurde, außerdem einen Philosophiepfad.

Solche Philosophiepfade oder -wege entstanden damals an mehreren Orten. Der grandioseste ist wohl derjenige in Heidelberg. „Den schönsten und umfassendsten Blick über die Altstadt Heidelbergs gewinnt man vom Philosophenweg, der am Südhang des Heiligenbergs hoch über dem Neckar entlangzieht“, schreibt eine Reisebuchautorin. Der Spaziergänger flaniert dort auf halber Höhe über dem Flussufer, gegenüber der Altstadt mit der traditionsreichen Universität, der Heiliggeistkirche und dem Schloss. Traditionsreich ist nicht zuletzt die Medizinische Fakultät der Universität Heidelberg.

An der Heidelberger Universität lehrte 1816 bis 1818 der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel, der wenige Jahre vorher in Bamberg und danach in Nürnberg lebte. Am Odenwald nördlich von Heidelberg, im damaligen Frankenreich, lag das Kloster Lorsch, dessen Reste heute beschaulich an einem Klosterpark liegen, der zum Umhergehen und Nachdenken einlädt.

Dort entstand um 800 das einzigartige Lorscher Arzneibuch, das sich heute in der Staatsbibliothek Bamberg befindet und seit Juni 2013 zum Unesco-Weltdokumentenerbe zählt. Es geht von einer neuen Philosophie über Krankheiten aus: Deren Heilung sei kein sündhafter Eingriff in den göttlichen Heilsplan, sondern ein Gebot der Nächstenliebe. Im Jahre 870 ließ der Lorscher Abt Thiotroch auf dem Heidelberger Heiligenberg ein Michaelskloster gründen.

Zurück in den Garten Eden?

Fragen tauchen auf. Wie sehr sind wir Menschen mit der Natur verbunden? Wir sind aus ihr entwachsen, immer noch ein Teil von ihr und kehren gleichsam in sie zurück. Aber was ist mit unserem Bewusstsein, mit unserer Seele? Wird sie gemäß einem übergeordneten Heilsplan – verwandelt – wieder in einen Paradiesgarten aufgenommen? Können wir diesen überirdischen Garten in Lorsch, Schönbusch oder Sanspareil – wohinein Philosophen einst ihre Gedanken legten – jetzt schon erahnen und hienieden, wenn auch noch nicht vollkommen, für einen Augenblick genießen, für einen Augenblick, in dem sich eine Ewigkeit vollzieht? Als Individuen oder in einer Gemeinschaft, in der All-Seele eines geistigen Seins vielleicht, ähnlich der Ideen des Buddhismus?

Im erwähnten Michelsberger Wald bei Bamberg, oberhalb eines nach der Säkularisation eröffneten Englischen Gartens, benannte man am Ende des 19. Jahrhunderts ebenfalls einen Weg als Philosophenweg. Es handelt sich um einen Hangweg, der den Spaziergänger ärztlich begutachtete, gesunde Waldluft atmen lässt. Aufgrund dieser frischen Luft entstanden in der Nähe Wohnhäuser im Kur- oder Schweizerstil, sodass man schon von einem „Fränkischen Zauberberg“ gesprochen hat. In der kälteren Jahreszeit, wenn die Bäume noch nicht be-laubt sind, kann man von hier aus einen Blick in Richtung Itzgrund werfen, der besonders im Frühling, während der Obstbaumblüte, zu gesunden literarisch-philosophischen Wanderungen einlädt – nicht zuletzt auf Empfehlung Herders und Hölderlins.

Antike im Bamberger Hain

Im neuen Parkpflegewerk zum Bamberger Hain ist ein Weg als Philosophenweg benannt, der zu einem Ruhetempelchen mit vier dorischen Säulen führt und damit auf Griechenland als die Wiege der Philosophie verweist. Es öffnet sich zur 1859 so benannten Schillerwiese hin, an deren Rand man ein Denkmal für E.T.A. Hoffmann errichtet hat, der dort während seines Bamberg-Aufenthalts fast täglich entlangging. An der Nepomuk-Statue weiter südlich will er dem legendären „sprechenden Hund Berganza“ begegnet sein.

Im 18. Jahrhundert kam in England die Philosophie von einem „green belt“ auf, einem grünen Ring um die Stadt, welcher der Erholung beim Spaziergang, dem Sport und ausdrücklich auch der Gesundheit dienen sollte. Außerdem konnten damals vielerorts Stadtmauern abgebrochen werden. Die dadurch ermöglichte Wiener Ringstraße bietet nun ebensolche Parkanlagen wie das ringförmige Würzburger Glacis. In dessen Fortsetzung, am Röntgenring 8, gelangt man zur Röntgen-Gedächtnisstätte, wo der Nobelpreisträger die nach ihm benannten Strahlen entdeckte. Vielleicht ist er vorher immer wieder durch einen nahe gelegenen Park spazieren gegangen, um für seine Forschungsarbeit Geisteskräfte zu sammeln.

Gleichsam ins Jenseits gelangt der Wanderer in Bamberg über die Stufen des Milchwegs, der mit einem Milchstraßen-Lehrpfad verbunden ist, welcher von den Sternen des Universums handelt. Er beginnt an der Sternwarte und führt auf eine Hochfläche hinauf. Von dort gelangt man zum Paradiesweg, der eine wunderbare Aussicht eröffnet. Diese lässt die Gedanken letztlich bis ins Unendliche schweifen. (Andreas Reuß)

Kommentare (1)

  1. Kuni2601 am 16.07.2020
    Ein sehr schöner, umfassender Artikel, der zu philosophischen Spaziergängen inspiriert. Vielen Dank an den Autor!
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