Kultur

Asmik Grigorian ist als Senta (rechts) eine geniale Sängerdarstellerin. Ebenfalls überzeugten Marina Prudenskaya als Strippenzieherin Mary sowie Eric Cutler als glücklos verliebter Erik. (Foto: Enrico Nawrath)

30.07.2021

Psychothriller mit Powerfrauen

Dirigentin Oksana Lyniv und Sopranistin Asmik Grigorian beflügeln den neu inszenierten „Fliegenden Holländer“ auf dem Grünen Hügel in Bayreuth

Auch der Grüne Hügel hat nun endlich – nach 145 Jahren Festspielgeschichte – seine erste Frau am Pult. Nachdem im vorigen Jahr die Nürnberger Generalmusikdirektorin Joana Mallwitz ihren Einstand bei den Salzburger Festspielen gegeben hatte, als erste Dirigentin im Opernfach überhaupt, legte Bayreuth in diesem Jahr nach. Oksana Lyniv dirigierte die Festspielpremiere. Generell scheint Salzburg derzeit ein gewichtiges Vorbild zu sein: Auch Asmik Grigorian gab ihr Debüt in Bayreuth. Bei den Salzburger Festspielen hatte die litauische Sopranistin 2017 als Salome triumphiert. Im neuen Bayreuther Fliegenden Holländer gab sie nun die Senta. Beide, Lyniv und Grigorian, wurden bei der Premiere geradezu stürmisch bejubelt – absolut zu Recht.

Schillernde Klanglichkeit

Dabei waren bei Lynivs erstem Dirigat in Bayreuth die Bedingungen tückischer als sonst. Allein der überdachte Orchestergraben im Festspielhaus ist stets eine Herausforderung. Dann kamen noch besondere Corona-Auflagen hinzu. So sang der Chor nicht auf der Bühne, sondern wurde aus dem Probensaal übertragen. Hier die richtige Balance mit dem Orchester und den Solist*innen herauszuschälen, ist eine Mammutaufgabe. Oksana Lyniv hat das nicht nur einfach bewältigt, sondern obendrein schillernde Klanglichkeiten kreiert. Dabei dirigierte sie nicht die blechlastige Urfassung dieses 1843 erstmals aufgeführten Dreiakters, sondern die zweite Version mit Harfen-Schluss und dichteren Mittelstimmen im Orchester.

Zweifelsohne: Oksana Lyniv ist eine fein ausnuancierende Operndirigentin. Als langjährige Assistentin von Kirill Petrenko an der Bayerischen Staatsoper in München hatte sie bereits vielfach Triumphe gefeiert. Bei ihrem Debüt im November 2020 mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks (BR) offenbarten sich manche Schwächen im Sinfonischen. In Bayreuth aber hat sie die Farben im Orchester fein seziert und subtil aufgefächert. Gerade im lyrischen Piano erwuchsen atmosphärisch unerhört dichte Klangwirkungen.

Mag sein, dass Lyniv in den dramatischen Zuspitzungen die Zügel etwas lockern könnte. Dafür aber schenkte sie den Stimmen unendlich viel Freiraum zur Entfaltung, wovon auch Asmik Grigorian profitierte. Ihre Senta ist nicht so sehr jugendlich, sondern hochdramatisch. Vom ersten Ton an fesseln die ungeheure Kraft und Energie der Litauerin. Ihrer Präsenz kann man sich nicht entziehen. Sie ist eine Sängerdarstellerin im allerbesten Sinn, und davon lebt die gesamte Produktion.

Im Duett mit Eric Cutler als von Senta verschmähter Erik erwachsen bleibende Hörmomente, zumal Cutler mit dieser gesanglich tückischen Partie keine Probleme hat. Ganz im Gegenteil: Jedes einzelne Wort erfährt in seiner Ausgestaltung eine eigene Färbung.

Stark auch Georg Zeppenfeld als Sentas Vater Daland: Seine lupenreine Diktion hätte man John Lundgren als Holländer gewünscht. Das zumal im Piano farblich matte, belegte Timbre von Lundgren irritierte gerade auch im Zusammentreffen mit Grigorians Senta.

Eine völlig neue Charakterisierung erfährt Mary: In der starken Darstellung von Marina Prudenskaya ist sie nicht einfach Sentas harmlose Amme, sondern zieht im Hintergrund die Strippen – bis zum tödlichen Finale.

Denn für seine erste Bayreuth-Regie inszeniert Dmitri Tcherniakov (Russland) den Holländer als skandinavischen Psychokrimi. Dieser Holländer will Rache. Warum das so ist, wird in der Ouvertüre geschildert. Der junge H., so wird er in Einblendungen genannt, musste mitansehen, wie seine Mutter vergewaltigt wurde: von Daland, dem obersten Seefahrer im Dorf. Sie erhängte sich. Jetzt kehrt der erwachsene Holländer zurück, um seine Mutter zu rächen. Das erinnert ein wenig an den Italo-Western Spiel mir das Lied vom Tod. Er ballert in die Menge, möchte Dalands Tochter Senta ins Verderben treiben. Doch er hat die Rechnung nicht mit ihr gemacht und schon gar nicht mit Mary.

Erlösender Mord

Im großen Finale erschießt Mary den Holländer hinterrücks. Die Erlösung ist hier seine Ermordung. Im Hintergrund brennen die Häuser der kleinen Stadt.
Bis dahin aber muss man sich durch eine Inszenierung mühen, in der im Grunde kaum etwas passiert. Über weite Strecken belässt es die von Tcherniakov entworfene Bühne bei Häuserzeilen, die sich unentwegt bewegen und verschieben. Diese Perspektivwechsel werden szenisch nicht durchgeführt. Es bleibt bei statischem Aktionismus.
Für seine Regie wurde Dmitri Tcherniakov ausgebuht. Die Siegerinnen waren eindeutig Lyniv und Grigorian. Was Bundeskanzlerin Angela Merkel zum ersten Dirigat einer Frau in Bayreuth sagte? Ein knappes „Endlich!“ (Marco Frei)

 

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