Kultur

Der rätselhafte Kuckuck: Ausschnitt aus den Randzeichnungen von Albrecht Altdorfer im zweiten Band des Gebetbuchs, der aus Besançon nach München entliehen wurde. Sehen Sie die komplette Doppelseite und weitere Bilder aus dem Gebetbuch Maximilians I. in der Bildergalerie am Ende des Beitrags. (Foto: BSB)

02.12.2016

Rätsel und Propaganda

Sensation in der Schatzkammer: Die Bayerische Staatsbibliothek zeigt das Gebetbuch Kaiser Maximilians I. in beiden Teilen

Meisterhaft, aber unvollendet: Wenn das in einem Kunstwerk zusammentrifft, liegt das Sensationelle ebenso nahe wie das Rätselhafte. Man wird scheinbar in den authentischen kreativen Prozess der Gestaltwerdung hineingezogen und kann über offen gebliebene Zusammenhänge ebenso wie über die Fortsetzung spekulieren. Das Gebetbuch Maximilians I. ist ein solches Sensationsstück – auch wenn es sich optisch geradezu wie ein Understatement neben all den leuchtend bunten, manchmal in Gold und Silber luxuriös schimmernden Nachbarn in der Schatzkammerinszenierung der Bayerischen Staatsbibliothek (BSB) ausnimmt: Seine Vitrine wird nur via Bewegungsmelder in ein äußerst fahles Licht getaucht. Wären da nicht die Alarmanlagen, würde man sich am liebsten die Nase plattdrücken an den Schutzscheiben, um sich wörtlich weiter in das Buch mit den fein-blassen, monochromen Federzeichnungen vertiefen zu können. Dürer, Altdorfer, Cranach, Burgkmair, Baldung... Die Crème de la Crème der deutschen Künstler hat nach dem Druck auf edles Pergament 1513 in Augsburg Seite um Seite des Gebetbuchs mit Randzeichnungen versehen – Pardon: „holdseelig bereichert“, wie sich Dichterfürst Goethe begeisterte. Das Gebetbuch wurde zwar mehrmals gedruckt – aber nur in diesem einen Exemplar haben sich die Künstlergenies verewigt: Eben deshalb war es vermutlich die Ausgabe für den Kaiser.

Spärliche Quellen

Aber hat der Habsburger das kunstvoll gestaltete Buch, dessen Textzusammenstellung er wahrscheinlich selbst übernommen hat, überhaupt jemals in Händen gehalten? Er starb 1519. Das Buch war da noch nicht komplett. Es fehlt zum Beispiel die übliche und wichtige Titelseite mit Widmungen, Angaben zum Auftraggeber und Besitzer. Es beginnt unvermittelt mit dem „Gebet zum eigenen Schutzengel“. Das macht es schwer, erklärt Karl-Georg Pfändtner, BSB-Experte für Handschriften, andere gedruckte Exemplare des Werkes zu identifizieren, vor allem in ausländischen Beständen: Sie werden oft ohne weitere Angaben schlicht als „Gebetbuch“, bestenfalls mit dem Zusatz „Oratio ad suum proprium angelum“ (die erste Zeile des Gebets auf Latein), katalogisiert. In der äußerst spärlichen zeitgenössischen Quellenlage zum Gebetbuch liest man in einem Brief des Augsburger Humanisten Konrad Peutinger an Maximilian I. von zehn Exemplaren; Peutinger war so etwas wie der Agent zwischen Kaiser und Drucker Johann Schönsperger d. Ä.
Ein weiterer wichtiger Bestandteil fehlt: das Kalendarium mit Auflistung der Heiligen und Seligen. Das ist unabdingbar bei einem solch quasi offiziellen Gebetbuch. Karl-Georg Pfändtner überlegt: Möglicherweise war es vom Papst noch nicht „abgesegnet“? Maximilian wollte nämlich viele Ahnen aus seiner Familie darin haben, deren Heiligkeit noch überprüft werden musste. Forscher spekulieren seit dem 19. Jahrhundert: Ist vielleicht der Kalenderentwurf für den St. Georgs-Ritterorden, der in der Österreichischen Nationalbibliothek verwahrt wird, jenes Exemplar, das für das Gebetbuch vorgesehen war? Hinweise auf den hl. Georg gibt es mehrere im Buch – aber einiges passt für Karl-Georg Pfändtner nicht so recht zu der These und wurde bislang noch nicht wissenschaftlich analysiert: Zum Beispiel wie Dürer die Fahne des Heiligen ausgeführt hat – nirgendwo sonst taucht diese Interpretation des Georgsbanners in Zusammenhang mit der offiziellen Ikonografie des Ordens auf, der von Maximilians Vater Kaiser Friedrich III. gegründet worden war.

Verblasstes Dürer-Rot

Albrecht Dürer hat als Erster, am meisten und wohl richtungsweisend für die folgenden Künstlerkollegen zur Illustrierung des Gebetbuches beigetragen. Ausnahmslos sind die Zeichnungen mit der Feder ausgeführt – in einem relativ engen Farbspektrum von Violett, Braun und Grün. Das heißt: Dürer hatte für die ersten Randzeichnungen seine Feder in Rot getaucht. War es ein Experiment, das er schnell wieder bleiben ließ, weil sich schon damals Mängel abzeichneten? Nur diese Zeichnungen nämlich sind heute extrem ausgeblichen. Die jeweiligen Künstler hatten vermutlich freie Hand bei Auswahl und Interpretation der Motive. Wenn Karl-Georg Pfändtner davon erzählt (beziehungsweise in Fachartikeln publiziert), wenn er zum Beispiel auf die merkwürdige Platzierung eines Kuckucks auf einer der aufgeschlagenen Seiten des Ausstellungsstückes hinweist, weiß man, warum die Staatsbibliothek das Gebetbuch ins Zentrum des dritten Teils ihrer Ausstellung Bilderwelten stellt, der Neue Bilder für die neue Zeit überschrieben ist. Diesmal geht es noch signifikanter darum, wie in Buchillustrationen das spannungsreiche Ringen um die Vereinbarkeit von altem und neuem Denken ablesbar ist – wie eine Zeit dramatischer politischer und wissenschaftlicher Umbrüche neue Weltbilder generiert. Wir sehen, wie das Christentum und der Islam aufeinanderprallen – erst rund sechs Jahrzehnte vorher war Konstantinopel erobert worden und die osmanischen Armeen rückten bedrohlich gegen Westen vor. Dürer greift die brenzlige weltpolitische Lage begleitend zum „Gebet gegen die Machthaber“ so auf: Jesus dominiert die Szene als Retter der Welt, unter ihm stürzt im dramatischen Kampf Erzengel Michael den Teufel in den Abgrund. Daneben scheint sich ein Herrscher mit seinem Ziegenbockkarren schleunigst aus dem Staub zu machen – wahrscheinlich ein türkischer Herrscher, weil seinen Reichsapfel nicht das christliche Kreuz, sondern der Halbmond bekrönt. Ein anderer auffallender Zeitbezug: Immer wieder begegnen einem Darstellungen von exotischen Menschen und Tieren – als Zeichen der Entdeckung neuer Länder und Kontinente ebenso wie als „imperialistische Propaganda“. Zum Psalmvers „Des Herrn ist die Erde, und was sie erfüllt ...“ zeichnete Dürer einen malaiischen Ureinwohner Sumatras: Portugal hatte dort Handelsniederlassungen – und weil Maximilians Mutter Eleonore von Portugal war, signalisiert das beigefügte Wappen mit dem Doppeladler, dass auch der Habsburger Kaiser diesen Zipfel der „Neuen Welt“ seinem Herrschaftsbereich unterwirft.

Zum Kuckuck!

Und der Kuckuck in Albrecht Altdorfers Zeichnung zur Textstelle im Marienoffizium, als Maria dem Engel ihr Einverständnis gibt, Gottesmutter zu werden? Dass Josef quasi ein „Kuckuckskind“ untergejubelt wurde – nein, diese blasphemische Anspielung verbot sich damals natürlich. Zur Interpretation liefert Karl-Georg Pfändtner einen verblüffenden Zeitbezug: Damals kursierte in Humanistenkreisen eine wiederentdeckte und gerade erst aus dem Griechischen ins Lateinische übersetzte, spätantike Schrift, die Hieroglypha des Horapollo. Nach heutigem Verständnis war das pure Pseudowissenschaft, derzufolge die ägyptische Hieroglyphe eines Kuckucks für Dankbarkeit stand. Damals freilich begeisterten sich Künstler für dieses neue Motiv, um die Dankbarkeit für die Menschwerdung Christi auf einen bildlichen Nenner zu bringen. Die Entschlüsselung manch anderer rätselhafter Motive wird die Forschung noch länger beschäftigen – doch das geht nun wesentlich einfacher als früher, jedenfalls was die Verfügbarkeit des Gebetbuches angeht: Jeder kann am heimischen PC Texte und Zeichnungen unter die Lupe nehmen. Und zwar des gesamten Gebetbuches. Das ist der Clou: Im Digitalisat sind beide Teile des wertvollen Schatzkammerstückes wiedervereint – gegen Ende des 16. Jahrhunderts war es in zwei Bände aufgespalten worden. Der prominentere Band gelangte nach München – man hat dafür die Reihenfolge der Blätter verändert: Ursprünglich folgten auf Dürer Hans Burgkmair und Baldung – doch die damaligen Besitzer holten lieber die Cranach-Seiten nach vorne in den ersten Band. Der zweite Teil des Gebetbuches tauchte im Laufe der Zeit im französischen Benediktiner-Kloster in Besançon auf. Von dort ist er nun nach München entliehen worden – eine weitere Sensation. So bald wird sich die Gelegenheit nicht mehr ergeben, das Gebetbuch Maximilians I. – wenn auch aufgeteilt – wiedervereint in einer Vitrine zu sehen. Das letzte Mal bot sich diese Chance 1956. Das Münchner Exemplar darf ohnehin nicht mehr auf Reisen gehen – vor allem der stark in Mitleidenschaft gezogenen Dürer-Zeichnungen in Rot wegen.

Ex-Besitzer ausgemacht

Wenn der Band aus Besançon Ende Februar seine Rückreise antritt, kann ihm noch ein wissenschaftliches Dankeschön beigefügt werden: Karl-Georg Pfändtner hat das Exemplar nämlich genau unter die Lupe genommen und eine wichtige Entdeckung gemacht: Als Einband dient ein Pergament, das sämtliche Titel des Kardinals Albrecht von Brandenburg auflistet – in der Regel deutet das darauf hin, dass der Band einmal in seinem Besitz gewesen sein muss. Ein weiteres Mosaiksteinchen zur rätselhaften Biografie dieses bibliophilen Meisterstücks. (Karin Dütsch) Information: Bis 24. Februar. Bayerische Staatsbibliothek, Schatzkammer, 1. Stock, Ludwigstraße 16, 80539 München. Mo. bis Fr. 10-17 Uhr, Do. 10-20 Uhr, erster So. im Monat 13-17 Uhr. www.bsb-muenchen.de


Virtuelle Ausstellung:
https://www.bilderwelten2016.de

Digitalisat des Gebetbuchs:
http://daten.digitale-sammlungen.de/db/0010/bsb00107790/images/

 

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