Kultur

Hermann Gerlinger vor dem Gemälde „Rote Düne“ von Karl Schmidt-Rottluff in der Stiftung Moritzburg in Halle. Jetzt zieht er seine gesamte Sammlung von dort ab. (Foto: dpa)

25.11.2016

Rätselhafter Verlust

Hermann Gerlinger zieht seine Brücke-Sammlung aus Halle ab – eine Chance für Würzburg?

Das ist ein Paukenschlag: Hermann Gerlinger (85) zieht seine bedeutende, über 1000 Werke umfassende Sammlung mit Werken der Brücke-Künstler aus dem Kunstmuseum des Landes Sachsen-Anhalt auf der Moritzburg in Halle ab – und das bereits April oder Mai 2017. Der Würzburger Unternehmer und Kunstsammler hat den 2004 geschlossenen Vertrag mit der Stiftung Moritzburg über die Dauerpräsentation dort gekündigt. Der Entzug der Sammlung ist ein großer Verlust für die Saale-Stadt: Für die expressionistischen Bilder und die zahlreichen Originaldokumente der Brücke-Maler, wie Einladungen, Mitgliedskarten und Plakate, schufen die spanischen Architekten Nieto & Sobejano eigens einen spektakulären Anbau im Westflügel der Moritzburg – eine unbestreitbare Attraktion Halles. Über die Jahre ergänzte Gerlinger seine Sammlung immer wieder mit Neuerwerbungen von Werken der Brücke-Maler. Eine Auswahl von diesen zeigte er in diversen Schwerpunkts-Ausstellungen zusammen mit Werken der Dauerpräsentation, etwa unter dem Motto Du und Ich. Waren solche Wechselausstellungen beendet, ließ er die Neuerwerbungen wieder zu sich nach Hause, also nach Würzburg, holen. Ein wichtiges Bild ging dabei verloren. Hierin liegt der Grund für die Aufkündigung des Vertrags mit der Stiftung Moritzburg. Gerlinger, der seit den 50er Jahren Werke der Brücke-Maler zusammentrug, begann seine Sammlung mit Bildern von Karl Schmidt-Rottluff. Mit diesem Künstler (1884 bis 1976) verband ihn ein lebenslanges freundschaftliches Verhältnis, er kannte ihn auch persönlich gut. Umso mehr schmerzte es ihn, dass das letzte Selbstbildnis von Schmidt-Rottluff, ein Farbholzschnitt von 1974, nicht mehr, wie vereinbart, aus Halle zurückkam. Das Bild hat nicht nur für den Sammler, sondern auch für die Kunstgeschichte eine herausragende Bedeutung: Als es entstand, war Schmidt-Rottluff am Ende seiner Kräfte, konnte kaum mehr einen Stift halten. Aber weil ihn seine Frau dringend um ein letztes Bild bat, schuf er unter Aufbietung aller Energie ein solches Selbstporträt, betitelte es Tu l’as volue, steckte es in einen Briefumschlag und schickte es seiner Frau zum Geburtstag. Allein aus dieser Geschichte lässt sich der besondere Wert dieses kleinen Kunstwerks ermessen. Es ist so etwas wie ein Abschied des Künstlers von seinem Schaffen. Als nun Gerlinger das Bild nicht aus Halle zurückbekam, telefonierte er zuerst, um nach dem Verbleib zu forschen, dann mahnte er mehrmals schriftlich die Rücksendung an. Er hörte monatelang nichts – das veranlasste ihn, den Vertrag aufzukündigen. Das vertrauensvolle Verhältnis zur Leitung der Moritzburg ist für ihn Vergangenheit.

Lücke schließen

Der Verlust eines Bildes bedeutet für ein Museum den „worst case“ und ramponiert das Image. Gerlinger zieht nun seine komplette Sammlung von dort ab. Nur: Wohin kommt sie danach? Wo kann sie auf Dauer gezeigt werden? Diese Fragen stellen sich vor allem Kunstfreunde aus Mainfranken. Schon bevor er seine Sammlung nach Halle gab, wurde in Hermann Gerlingers Heimatstadt Würzburg diskutiert, das Konvolut in der Stadt am Main zu halten. Doch diese Bemühungen scheiterten – letztlich am Geld. Auch jetzt ist der kommunale Etat keineswegs üppig. Die Stadt könnte wohl kaum als alleiniger Träger auftreten. Vielleicht ergibt sich eine Lösung durch mehrere Beteiligte, durch Umzüge und Rochaden in bestehenden Gebäuden? Denn eines darf man nicht übersehen: Die Sammlung Gerlinger könnte eine Lücke in der Würzburger Museumslandschaft schließen. Man muss sich nur vor Augen führen: In Aschaffenburg wird soeben das Christian Schad Museum gebaut, in Schweinfurt zeigt das Museum Georg Schäfer deutsche Kunst des 19. Jahrhunderts, in Würzburg präsentiert der Kulturspeicher Konkrete Kunst und das Museum am Dom kann mit einem umfangreichen Bestand ehemaliger DDR-Künstler aufwarten. Wo bleiben aber die Expressionisten Anfang des 20. Jahrhunderts? Der Sammler Gerlinger hüllt sich zu all diesen Fragen vorerst in Schweigen. Er sagt, er sei derzeit noch „im Findungsprozess“, werde sich aber äußern, „sobald etwas Konkretes in der Luft ist“. (Renate Freyeisen) Abbildung: Das letzte Selbstporträt von Karl Schmidt-Rottluff ist aus der Sammlung Gerlinger verschwunden.     (Foto: Archiv Gerlinger)
 

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