Kultur

Die Crayonmanier ermöglichte eine feine malerische Wiedergabe. Hier "Die Bestrafung des Tityos" (1795, Ausschnitt - die Gesamtansicht finden Sie im Beitrag) von Francesco Bartolozzi nach Michelangelo. (Foto: Universität Trier/Andreas Thull)

24.02.2023

Raffinierte Repros

Kult um Handzeichnungen: eine Ausstellung im Zentralinstitut für Kunstgeschichte über künstlerische Vervielfältigungstechniken

Leonardo da Vincis Mona Lisa: Man muss sich nicht im Pariser Louvre in die Schlange der Neugierigen einreihen, um der berühmten Schönen in die Augen zu schauen – was einem sowieso nur aus Distanz und durch eine Glasvitrine (auf der auch schon mal eine Torte landete) ermöglicht wird. Nein, von fast überall aus der Welt führen ein paar Klicks per Internet-Suchmaschine zu La Joconde, und man kann aus allernächster Nähe deren rätselhaftes Lächeln zu ergründen suchen, kann sich so in das Gemälde hineinvertiefen, dass man selbst all der feinsten Risse in der Malschicht gewahr wird, die die Zeit dort hinterließ. Ein paar weitere Klicks, und man kommt gleich noch zu Varianten des Motivs von da Vincis Schülern und modernen Adaptionen. Ähnliches gilt für Dürers legendäres Selbstporträt aus der Alten Pinakothek München, Rembrandts Der Mann mit dem Goldhelm aus der Gemäldegalerie Berlin, die phantastischen Skulpturen von Veit Stoß im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg oder die architektonischen Kunstschätze weltweit.

Spätestens die Digitalisierung und die Bereitstellung auf Online-Plattformen machen die Kunst zunehmend zum virtuellen Allgemeingut – natürlich einschränkend, dass es bestenfalls ein Eins-b-Genuss bleibt im Vergleich zum unmittelbaren Kontakt mit physisch realen Kunstwerken.

Exklusives ans Licht bringen

Von der Potenzierung ins schier Unzählige abgesehen: Ähnlich mag das Empfinden gewesen sein, als in Zeiten vor der vor allem fotografischen Massenreproduzierbarkeit Kunstwerke zeichnerisch „kopiert“ oder zumindest mit ihren wesentlichen Motiven über verschiedene Drucktechniken transportiert wurden. Es war oft die einzige Möglichkeit, von räumlich nur schwer erreichbaren oder exklusiv verwahrten Originalwerken überhaupt Kenntnis zu bekommen. Urheberrechtliche Fragen spielten dabei keine zu heute vergleichbare Rolle. Das „Abkupfern“ war eine hochlobenswerte Praxis. Letztlich nährten sich Ruhm und Marktwert aus der vielfachen Verbreitung.

Aber nicht auf Verstöße gegen das Copyright bezieht das Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München seinen Ausstellungstitel Unschuldige Betrügereien. Dieser steht vielmehr für perfektionistische Augentäuscherei: wie die Reproduktion sich einer möglichst authentischen Wiedergabe einer Handzeichnung nähert, sodass sie vorgaukelt, das Original zu sein.

Eigenständige Gattung

Diese Evolution bis hin zum Faksimile geht einher mit dem Wandel der Handzeichnung vom Lehrmaterial zum eigenständigen Genre der Kunst, in dem selbst die flüchtige Skizze oder das Fragment Bewunderung als Manifestation eines Gedankenblitzes des künstlerischen Genius erfährt und begehrtes Sammlerobjekt wird. Der Maler, Sammler und Kunsttheoretiker Jonathan Richardson (1665 bis 1745) ging so weit zu postulieren, dass die Zeichnung das Original und ein Gemälde im Prinzip nur eine Kopie davon sei.

Letztlich emanzipierte sich die Reproduktionsgrafik in manuellen Vervielfältigungsverfahren als eigenständige Kunstinterpretation, in der Unterschiede zum Original nicht von technischem Unvermögen, sondern von eigenem kreativen Selbstverständnis zeugen. Reproduktionsgrafiker wurden selbst Stars, so wie Adam von Bartsch (1757 bis 1821), der alle druckhandwerklichen Finessen beherrschte, sich schließlich aber von der täuschend exakten Reproduktion wieder „zurückentwickelte“ zu kreativ-interpretierenden „Übersetzungen“. Bernard Picart, François Boucher, Gilles Demarteau, Cornelis Ploos van Amstel, Francesco Bartolozzi, Per Gustaf Floding, das Ehepaar Maria Katharina und Johann Gottlieb Prestel und Richard Earlom sind weitere renommierte Namen des Metiers, denen man in der Ausstellung im Zentralinstitut begegnet; die Exponate stammen aus dessen Bibliothek und aus der Grafischen Sammlung der Universität Trier.

Ziemlich paradox

Die gezeichnete Linie hat die Aura einer individuellen Handschrift, eines unverwechselbaren persönlichen Signums. Der künstlerische Einfall fließt unmittelbar aus dem Kopf in die Hand – und im Umkehrschluss von der Hand in den Kopf sucht der Reproduzent in einem geradezu intimen Prozess, die originäre künstlerische Arbeit am Werk, den Denk- und Formfindungsprozess analysierend nachzuvollziehen. Rational die spontane, kreative Einmaligkeit wiederholen: Das kommt einer geradezu anmaßenden Paradoxie gleich.

Im Prinzip liegt die kreative Genese bei der Zeichnung offen da: Man sieht, wie die Hand die Form suchte, sich da mit dem Flüchtigen begnügte, aber dort penibel verharrte und um Ausdruck rang. Schichten des Entstehungsprozesses lagern sich zu einer charakteristischen Textur über- und nebeneinander. In der Malerei können Irrtümer oder Verbesserungen überdeckt werden (und erst moderne Technologien bringen sie ans Licht) – in der Zeichnung ist das nicht möglich, dort herrscht Transparenz.

Das macht die Handzeichnung zum idealen Instrument fürs Kunststudium – in der professionellen Ausbildung gleichermaßen wie bei der Wissensaneignung von Laien, zu deren bildungsbürgerlichem Ideal das Kunstfachwissen ebenso wie das fachmännische Sammeln von Kunstwerken gehörte. Freilich waren Originalwerke nur für wenige erschwinglich – Reproduktionen hingegen ermöglichten die private Galerie, dekorativ gerahmt an den eigenen Salonwänden oder zwischen Deckeln von Kladden. Erst das Nebeneinander mehrerer und verschiedener Reproduktionen ermöglichte das lehr- und erkenntnisreiche vergleichende Sehen als analytische, also wissenschaftliche Methode. Künstler wie Reproduktionsgrafiker und Verleger bedienten den Trend zum Mappenwerk. Der Kunstmarkt erschloss sich ein neues Feld.

Alle Spuren zeigen

Ging es zunächst primär darum, eine Bildidee wiederzugeben, so führte vor allem der Kupferstich zu guten Ergebnissen. Mit zunehmender Eigenständigkeit der Zeichnung als künstlerische Gattung wuchs das Interesse an der exakten Wiedergabe von deren ureigenen Charakteristika – selbst von Hilfslinien, Korrekturstrichen (Reuezüge), ausprobierenden oder selbst nicht erklärbaren Strukturen, schlicht von sämtlichen Zeichnungsspuren des Originals.

Auf der Kupferplatte ließ sich der zeichnerische Gestus nicht befriedigend imitieren, allein was das Abbild der Materialität von Kreide-, Kohle- oder Pinselstrich ebenso wie das Lavieren und Aquarellieren von Flächen betraf. Der Erfindergeist blühte, experimentierte mit verschiedenen drucktechnischen Verfahren: Radierung, Crayonmanier, Tonholzschnitt, Camaieu-Druck, Mezzotinto, Aquatinta, Weichgrundätzung, Pinselätzung … Nicht alle Techniken und ihre Kombinationen hatten durchschlagenden Erfolg. In der Regel hat man seine Erfindung als Geheimsache gehütet. Anders bei der Lithografie, die im 19. Jahrhundert rapide ihren Siegeszug durch die Welt antrat: Sie ermöglichte ein dem Zeichnen nahekommendes Arbeiten – und vor allem den industriellen Druck auch von farbigen Massenmedien. Doch lithografische, fotografisch und die heutigen digitalen Reproduktionsverfahren sind nicht mehr Thema der Ausstellung. Aber ein interessanter Ausflug in die Moderne sei mit der Ausstellung Cragg empfohlen, die von der Staatlichen Graphischen Sammlung München derzeit in der Pinakothek der Moderne gezeigt wird: In ihr kann man beobachten, wie der Bildhauer Tony Cragg seine Skulpturen „zeichnerisch denkt“.

Die Schau Unschuldige Betrügereien im Zentralinstitut für Kunstgeschichte wiederum erscheint selbst wie ein ausgebreitetes Mappenwerk, das zu vergleichendem Sehen und Erkunden von „Handschriften“ renommierter Reproduktionsgrafiker sowie der unterschiedlichen Wirkung einzelner Drucktechniken einlädt. (Karin Dütsch)

Abbildungen:
Die Crayonmanier ermöglichte eine feine malerische Wiedergabe. Hier Die Bestrafung des Tityos (1795) von Francesco Bartolozzi nach Michelangelo. (Foto: Universität Trier/Andreas Thull)
Adam von Bartsch kombinierte für seine Interpretation (1783) von Rembrandts Der Triumph des Mordechai Aquatinta mit Linienradierung. (Foto: Universität Trier/Andreas Thull
Raffaels riesiges Fresko Schule von Athen im Vatikan blieb lange ein nur wenigen bekannter Schatz. Umso gefragter waren reproduzierte Handzeichnungen selbst von Details – nicht nur als exakte Kopie, sondern auch in Neuinterpretation wie bei dieser Studie (Radierung und Farbholzschnitt, 1729) von Anne-Claude-Philippe de Thubières, Comte de Caylus, und Nicolas Le Sueur.    (Foto: Universität Trier/Andreas Thull)

Information: Bis 31. März. Zentralinstitut für Kunstgeschichte, Lichthof Nord, I. OG, Katharina-von-Bora-Straße 10, 80333 München. Mo. bis Fr. 10-20 Uhr, freier Eintritt. www.zikg.eu
Katalog: Stephan Brakensiek (Hrsg.), Ulrike Keuper, Unschuldige Betrügereien. Reproduktionsgrafik nach Handzeichnungen, Kataloge der Sammlungen der Universität Trier, Band 10, Trier, 10 Euro in der Ausstellung.
ISBN 978-3-9817758-7-7

Ausstellung Cragg bis 7. Mai, Pinakothek der Moderne, Barer Straße 40, 80333 München. www.sgsm.eu oder www.pinakothek-der-moderne.de

 

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