Kultur

Haben nichts Hochherrschaftliches: Grete (Marianne Lang), Erna (Anja Stange) und Mariedl (im Hintergrund: Susanne Mucha). (Foto: H. Dietz)

10.06.2016

Rezept gegen Lebensekel: Saufen, futtern, lächeln

Werner Schwabs „Die Präsidentinnen“ in Hof

Mehr als ein Vierteljahrhundert musste sich das Hofer Publikum gedulden, um mit einem Werk des steierischen Schriftstellers Werner Schwab konfrontiert zu werden. Der 1994 unter mysteriösen Umständen verstorbene Künstler (35) galt als Theaterwunder der Neunzigerjahre. Im Studio des Theaters Hof nahm sich nun mit Reinhardt Friese der Hausherr der Präsidentinnen an. Schon der Bühnenraum von Annette Mahlendorf signalisiert: Mit Oberschichtpersonal, das der Stücktitel suggeriert, darf nicht gerechnet werden. Die Rentnerinnen Erna und Grete sowie die viel jüngere, auf „Abortverstopfung“ spezialisierte Mariedl sitzen um einen altarähnlichen Esstisch samt hässlicher Wachstuchtischdecke; die Wand dahinter ist scheußlich tapeziert und lässt an eine Art Triptychon katholischer Devotionalien denken.

Das schlimmste Lebenslos

Im ersten Bild dreht sich das „Gespräch“ des monologisierenden, Sahnetorten verschlingenden Trios infernale darum, wer das schlimmste Lebenslos zu ertragen habe: die von Mann und Tochter verlassene, vornehm tuende Grete oder die enkellose Sparerin Erna, deren Sohn sich nur um die regelmäßige Zufuhr von Leberkässemmeln und Schnaps bemüht, obwohl er doch ein „männlicher Mann“ ist. Oder gewinnt gar Mariedl den Wettstreit der „schweren Schwierigkeiten“, da sie doch das Kloputzen „immer ohne“ (Handschuhe) absolviert. Nachdem Tortenschlacht und Schnapsdusche keine Entscheidung gebracht haben, wünscht sich Mariedl, dass „die Nächstenliebe wieder aufgebaut“ wird, wobei sie Erna unterstützt: „Lasst uns den ganzen Lebensschmutz vergessen.“ Deshalb erträumen sich im zweiten Bild die beiden von ihren Männern verlassenen Rentnerinnen auf einem imaginierten Fest einen Liebhaber ihrer Wahl: Grete den geilen Draufgänger Freddy und Erna den gottesfürchtigen Wottila. Die „Abortgoschn“ Mariedl wird vom Pfarrer für ihre so segensreiche wie notwendige Arbeit mit ungarischem Dosengulasch, einer Flasche Bier und einem Parfümflacon aus der Klomuschel belohnt.

Fulminanter Rachemonolog

Doch in einem fulminanten Rachemonolog voller grotesker Bilder und Handlungen zerstört die bisher von Erna und Grete nicht für voll Genommene die Lebenslügen der alten Frauen. Den lächelnd-liebevoll erzählten Brutalitäten Mariedls können die ob ihrer Entlarvung Verzweifelten nur mit ebenfalls brutaler Gewalt begegnen: Sie schneiden ihr die Kehle durch.
Frieses Inszenierung arbeitet bewusst das Komödiantische heraus, sodass teilweise der Eindruck satten Volkstheaters entsteht. Zwischen Millowitsch und Komödienstadl bewegt sich die Aufführung gefährlich oft. Marianne Lang (Grete), Anja Stange (Erna) und besonders Susanne Mucha als Mariedl gelingt es in ihren Monologen jedoch auch, das nicht einfache Schwabsche Idiom aus Amtsdeutsch und Kindersprache, poetischen Sentenzen und grammatikalischen Verwegenheiten so zu präsentieren, dass die den Präsidentinnen zugrunde liegende Offenbarung einer Melange aus bigotter Religiosität, kleinbürgerlicher Selbstzufriedenheit und einem weggelächelten, weggefutterten und weggesoffenen Lebensekel klar wird. (Horst Pöhlmann)

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