Kultur

Spät erkennt Yank (Jonathan Müller), dass er für „die da oben“ nicht mehr als ein wildes Vieh ist. (Foto: Arno Declair)

06.12.2019

Schreckmomente im Schiffsbauch

„Der haarige Affe“ am Münchner Volkstheater

Auch Nobelpreisträger haben mal wild angefangen. Eugene O’Neill zum Beispiel mit seiner Heizer-Tragödie Der haarige Affe, die Hausregisseur Abdullah Kenan Karaca fürs Münchner Volkstheater freigeschaufelt und inszeniert hat. Für amerikanische Verhältnisse ist dieses 1922 entstandene Frühwerk ein Agitprop-Stück reinsten Wassers – aber das Premierenpublikum machte trotzdem keine Anstalten, die Internationale abzusingen, obwohl O’Neill hier fast schon die Axt an die Wurzeln des Kapitalismus legt.

Vielleicht beginnt die Geschichte auch deshalb ganz tief unten. Im finsteren Bauch eines Ozeandampfers, noch tiefer als im Maschinenraum, nämlich im Kohlenkeller, wo die dreckverschmierten Heizer pausenlos schaufeln und Dampf machen, damit das Schiff fährt. Bühnenbildner Vincent Mesnaritsch hat einen richtig dreckschwarzen Guckkasten gebaut, in dessen Decke allerdings ein goldener Schacht leuchtet. Durch ihn fällt in die finstere Hölle – „Brüder, zur Sonne, zur Freiheit“ – ein ferner Abglanz des hellen Glücks, das oben herrscht, auf dem Sonnendeck, wo die Passagiere der ersten Klasse lustwandeln. Die hat der Heizer und überzeugte Sozialist Long (Silas Breiding) als seine Ausbeuter und folglich Ursache seiner miesen Lage identifiziert.

Tumber Prolet

Im Gegensatz zu diesem klassenbewussten Proletarier ist Heizer Yank (Jonathan Müller) nur ein tumber Prolet, der sich den feinen Pinkeln überlegen wähnt, weil er das Schiff in Fahrt bringt, während sie untätig rumlungern

Aber dann passiert es: Mildred (Nina Steils als Pieps-Barbie), die Tochter des Schiffseigentümers und Stahlmilliardärs Douglas, steigt im weißen Damastkleid zu den Heizern hinab, gruselt sich kurz und enteilt fluchtartig. Eine Begegnung der dritten Art für beide Seiten, die Yank plötzlich klar macht: Für „die da oben“ ist er kein Held, sondern nur ein „haariger Affe“, ein wildes Vieh im Zoo, das man erschrocken bestaunt.

Es passt zu diesem gradlinigen Drama des irisch-stämmigen Amerikaners, dass der Regisseur diesmal keine Experimente macht, sondern einfach bloß saftiges Volkstheater. Karaca betont einerseits jenen typisch irischen Realismus, bei dem kernige Kerle dauernd „Gottverdammmich!“ sagen müssen. Andererseits lässt er viele Szenen ins Groteske, ins Albtraumhaft-Irreale, gar ins Gespenstische kippen. Das ist nicht nur ästhetisch überzeugender als simpler Theater-Frontalunterricht, sondern verweist auch auf Yanks Erfahrung fundamentaler Fremdbestimmung: Er weiß plötzlich nicht mehr, wie ihm geschieht, kann die Ereignisse nicht mehr einordnen, die folglich wie ein Spuk über ihn hereinzubrechen scheinen.

Dabei wären sie als Resultat gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Machtverhältnisse leicht erklärbar. Die anrührendste Figur des Abends gelingt gleichwohl Jakob Immervoll, der den alten Seebären Paddy auf den ersten Blick wie eine kinderfunktaugliche Klischeegestalt aus der Schatzinsel spielt. Aber gerade dass hinter dem Stereotyp dann ein Mensch mit Sehnsüchten und Träumen sichtbar wird, gibt der Figur die einzig mögliche Authentizität in einer entfremdeten Gesellschaft. (Alexander Altmann)

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