Kultur

Minseok Kim (Orpheus) und Ensemble. (Foto: H. Dietz Fotografie, Hof)

27.09.2019

Seelenreise mit magischen Bildern

Glucks „Orpheus und Eurydike“ am Theater Hof gerät zum Coup

Was zunächst als Wagnis erscheinen mag, nämlich mit Christoph Willibald Glucks Reformoper Orpheus und Eurydike die Bühnensaison zu eröffnen, entpuppt sich am Theater Hof als veritabler Coup. Denn das komplexe Konzept, mit dem Regisseurin Nilufar K. Münzing und Dramaturg Lothar Krause dem bekannten antiken Sagenstoff und dem zeitbedingt mit einem Happy End ausgestatteten Libretto zu Leibe rücken, geht vollkommen auf.

Orpheus ist ein Gitarre spielender Straßensänger in Paris, der mit seiner bücherverliebten Gattin in einer winzigen Mansarde lebt. Allerdings nicht lange, denn die Schwindsucht rafft Eurydike kurz nach der Hochzeit dahin. Ein Gifttrank, der Orpheus wieder mit seiner geliebten Frau vereinen soll, versetzt ihn in ein (alb)traumhaftes Delirium und ermöglicht eine Seelenreise, die die folgende Handlung bestimmt.

Amor, die Werbeikone der auf die Rückseite der Mansarde plakatierten Zigarettenmarke „Amor toujours“, bietet ihm den aus der Mythologie bekannten Deal: Rettung aus dem Totenreich, aber ohne Blickkontakt. Unsicher ob der Erfüllbarkeit dieses Angebots macht sich der Straßensänger mit seiner Gitarre auf den Weg in den Orkus, zu dem ihm düstere Dämonen und rabengleiche Lemuren jedoch den Zugang versperren: Als Lebendem fehlt ihm der Passierschein.

Wunderschönes Harfensolo


Orpheus’ Gesang und ein wunderschönes Harfensolo aus dem Orchestergraben erweichen aber die in einem von ohrenbetäubendem Schreibmaschinengeklapper durchtosten Großraumbüro hausenden Eumeniden, und sie händigen ihm das notwendige Dokument aus. Spätestens in dieser Szene wird deutlich, was die Regisseurin mit ihrem Anspruch des „magischen Realismus“ meint: Bilder zu finden, die einen jahrtausendealten Mythos mithilfe einer Oper aus dem 18. Jahrhundert dem Publikum näherbringen.

Im Elysium herrschen Friede und Eintracht, von „der tiefsten Ruhe Glück“ singt Amor. In demonstrativ cooler Pose sitzt er auf einer Umzugskiste am Bühnenrand und beobachtet genüsslich rauchend, wie die Schatten der Toten Orpheus zum Bleiben auffordern. Doch dieser will ja mit Eurydike „oben“ in der Welt leben. So zerbrechen beide am Leiden der Liebe: Die eine zweifelt eifersüchtig an der Integrität ihres Gemahls, der wiederum verstößt schlussendlich gegen das Blickverbot.

Amor rettet großmütig Orpheus vor dem Suizid und erweckt Eurydike zum Leben. Mit einem gloriosen Trio samt jubelndem Chor und graziösem Ballett endet Glucks Oper – jedoch nicht in der „Hofer Fassung“. Denn Orpheus erwacht aus seinen delirenden Phantasien, während er sieht, wie Amor endgültig Eurydike in das Nichts des Bühnenhintergrunds „entführt“. Die heitere Hochzeitsszene aus der Ouvertüre wird – mit einem anderen Brautpaar – wiederholt, still beobachtet von Orpheus, der gedankenverloren auf einer Umzugskiste am Bühnenrand sitzt.

Orpheus’ gewaltige Titelpartie wird von Minseok Kim stimmlich wie darstellerisch mit Bravour gemeistert, selbst Höhen und Koloraturen bereiten keine Schwierigkeiten. Ihm gleich tun es Sophie-Magdalena Reuter als Eurydike mit größter Natürlichkeit in Stimme und Spiel und Yvonne Prentki, die die androgyne Figur des Amor mit der nötigen Portion Überheblichkeit eines Gottes und Modestarlets ausstattet und die Rolle als über den Dingen stehender, moderierender Spielleiter variantenreich annimmt. Die Hofer Symphoniker unterstützen solide Balletttänzer, Chorsänger und Solisten. Ein paar wacklige Bläsereinsätze werden durch die Spielfreude des Orchesters samt einigen Harfen- und Flötensoli vergessen gemacht. Der tiefenpsychologischen Interpretation der Regisseurin dient auch die Doppelung der Titelpartien durch die Tänzer Ali San Uzer und Mar Reig Copovi, wodurch dem Zuschauer Gedanken und Gefühle, Wunschvorstellungen und Traumbilder des mythenbehafteten Pariser Straßenmusikanten Orpheus plastisch gegenübertreten.
(Horst Pöhlmann)

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