Kultur

Großes Finale mit derber Rache: Der Graf sitzt auf seinen Lustsessel, die Gräfin persönlich betätigt die Hebel, das Volk ist belustigt. (Foto: Wilfried Hösl)

03.11.2023

Sexuelle Revolution mit Lustsessel

Erste Münchner Staatsopern-Premiere mit „Figaro“

Er habe die Vorgänger-Produktion auch wegen der aufwendigen Dekoration abgesetzt. Das sagte Serge Dorny, Intendant der Bayerischen Staatsoper, über den Figaro von Christof Loy aus dem Jahr 2017. Ob die Neuinszenierung von Wolfgang Amadeus Mozarts Le nozze di Figaro von Evgeny Titov der Weisheit letzter Schluss ist, das ist eine Frage der Betrachtung. Klar ist: Vor der Premiere wurde heißer gekocht, als im Endergebnis herausgekommen ist. Im Vorfeld gab es sogar einen Boykottaufruf von der dubiosen Internetplattform Against Modern Opera Productions: wegen „Sadomaso-Elementen“. Nach einer Gegenoffensive von Titov wurde der Eintrag zwar gelöscht, erregte aber weiterhin manche Operngemüter. Ja, es gibt Sadomaso-Elemente. Allerdings werden damit die üblen Machtspiele des Grafen Almaviva visuell überspitzt.

Dieses Thema spielt generell bei Titov eine zentrale Rolle, so auch schon in Gier unter Ulmen, das er 2022 für das Residenztheater inszeniert hatte: seine erste Münchner Regiearbeit. Aus dem Figaro machte der 1980 in Kasachstan geborene Titov jetzt aber kein düsteres Psychogram oder weltpolitisches Machttheater, sondern setzte ganz auf Komik. Deswegen besitzt der Sadomaso-Graf schwarze Masken oder Höschen aus Leder und einen Lustsessel.

Gleich zu Beginn der Oper finden der Kammerdiener Figaro (Konstantin Krimmel) und seine Susanna (Louise Alder) den Lustsessel des Grafen im Keller. In der Darstellung von Huw Montague Rendall wirkt dieser Graf mit seinen langen Haaren wie ein schräger Freak. Die Ausstattung von Annemarie Woods, die auch die Bühne entworfen hat, betont das zusätzlich. Zum Anwesen des Grafen zählt zudem eine Hanfplantage.

Was unumschränkte Macht aus Menschen macht

Alles kreist um die Frage, was unumschränkte Macht aus Menschen macht. Bei Titov lässt sich niemand die Spielchen des Grafen gefallen, auch nicht die Frauen. Das gilt nicht nur für Figaro und Susanna, den Bartolo des britisch-jamaikanischen Bassbariton Willard White oder die Marcellina von Dorothea Röschmann. Selbst die Gräfin von Elsa Dreisig wirkt bei Titov weitaus emanzipierter.

Am Ende verzeiht sie nicht wirklich dem fremdgehenden Grafen, sondern inszeniert noch eine süße Rache. Der Graf selber sitzt schließlich auf dem Luststuhl, zur Belustigung des Volkes: eine Revolution einmal anders. Bei der Hosenrolle des von Avery Amereau dargestellten Cherubino setzt Titov wiederum auf geschlechtliche Diversität. Es ist ein Charakter mit einem weiblichen Körper, der sich wie ein Mann fühlt und auf Frauen steht.

Das alles hat durchaus Witz und Tempo, allerdings kann das diese Oper nur bedingt ins Heute retten. Erst im Sommer hatte am benachbarten Gärtnerplatztheater ein neuer Figaro Premiere. Ob gleich zwei neue Produktionen dieses Werks in einer Stadt notwendig sind, diese Frage steht im Raum. Für die Staatsoper ist diese Neuproduktion zugleich der Auftakt einer Mozart-Trilogie in der aktuellen Spielzeit mit allen Opern nach Libretti von Lorenzo Da Ponte. Mit Stefano Montanari leitete ein historisch informierter Dirigent das Bayerische Staatsorchester. Allerdings reicht es nicht aus, auf rasche Tempi zu setzen. Schon die Ouvertüre hätte präziser ausartikuliert werden können. Generell wirkte manches Detail im Orchester genuschelt, bisweilen mühsam und nicht fehlerfrei die recht geschwätzige Begleitung in den Rezitativen. Für die Solist*innen auf der Bühne war es musikalisch nicht leicht zu bestehen.
(Marco Frei)

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