Kultur

In der Zusammenschau „Brücke & Secession“ ist Max Liebermanns Studie Reiter am Meer (1909) ausgestellt. Das Bild ist eine Dauerleihgabe der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen an das Buchheim Museum. (Foto: Buchheim Museum)

08.04.2022

Showdown mit Perspektive

Das Buchheim Museum in Bernried verliert zwar mit der Sammlung Gerlinger Hochkaräter des Expressionismus, gewinnt aber vieles aus der Epoche des expressiven Realismus

Sage und schreibe 45 Gemälde, insgesamt 1000 Titel, gehen dem Buchheim Museum verloren: Die Sammlung Gerlinger auf zehn Jahre in Bernried – das war einst der denkbar größte Coup für Daniel J. Schreiber, den Direktor des Museums. Darüber, dass sie vom Eigentümerehepaar schon nach fünf Jahren wieder abgezogen und verkauft werden soll, darüber „weine ich mich jeden Abend in den Schlaf“, sagt Schreiber, „besonders darüber, dass dieses Monument eines nationalen Kulturguts“ auf Auktionen zerschlagen wird. Was ist dagegen schon die zugesagte Ersatzzahlung für Depotumbauten, für nächstens nötige Leihgaben, für das Besucherminus? Ein „schleichender Weggang“ werde das sein, und die Erlöserwartung für Gerlinger noch gar nicht abzusehen. Sechs Sonderausstellungen und fünf Kataloge hatte man dieser einmaligen Expressionisten-Sammlung gewidmet, längst sei die museale und wissenschaftliche Aufarbeitung nicht abgeschlossen.

Aber noch sind die Bilder für einige Monate in Bernried und bilden zusammen mit dem großen eigenen Expressionismus-Bestand den Fundus für zwei Ausstellungen der Sammlungen von Gerlinger und Buchheim.

Feld für Entdeckungen

Auf der einen Seite der Verlust – andererseits kann sich Daniel J. Schreiber über die Zustiftung von rund 1200 Gemälden des Tutzinger Sammlers Joseph Hierling und aus der Zeit des expressionistischen Realismus freuen: „Die gehört jetzt uns!“, sagt er stolz. Dieses Konvolut eröffne einen Blick in die Generation der um 1900 geborenen Künstlerinnen und Künstler, die bisher „von der Kunstgeschichte untergepflügt“ worden sei: „eine Künstlergeneration in bewusster Distanz zur Neuen Sachlichkeit und zum Expressionismus“, definiert Schreiber. Es sind Bilder mit Elementen des Impressionismus, in der Abgrenzung vom Expressionismus, mit neuem Zugang zu Raum und Farben: „Im Mittelpunkt steht der Begriff der Schönheit“ und weniger Gesellschaftskritik oder Sachlichkeit; dafür sieht man viele Blumen und Akte.

„Prachtstücke“ seien diese Bilder, so Schreiber, die zu einem neuen kreativen Umgang herausfordern und die er in einer Ausstellung unter dem Motto „Frauen mit Blumen“ diskutieren möchte. Die Fragestellungen werden dann heißen: künstlerische Freiheit versus moralische Fragen, männliche Lust versus weibliches Selbstverständnis. Das alles ergebe ein „riesiges Feld für Entdeckungen“, und Schreiber gibt zu: „Ich bin ganz besoffen von diesen gut erhaltenen Bildern, selbst von den vielen Nischenthemen, die sich auch für die Forschung ergeben.“

Der Zustifter Joseph Hierling wohnt gerade mal 13 Kilometer vom Museum entfernt, die Möglichkeiten für seine bisher in Schweinfurt verwahrten Bilder gehen dort allmählich zu Ende, im Laufe des Jahres werden sie nach Bernried überstellt.
Zum Konzept eines „Familienmuseums“ gehören für Daniel J. Schreiber auch weiterhin Ausstellungen von Karikaturisten sowie der befreienden Rolle des Humors und des Komischen. So werden ab 14. Mai die Arbeiten des Münchner Cartoonisten Rudi Hurzlmeier gezeigt.

Schreiber setzt auf „Wunderwelten“, und zwar nicht nur auf künstlerisch-museale Parallelwelten im eigenen Haus, sondern auch auf jene, wie sie sich in der kommunalen Entwicklung mit den Mitteln der Kunst entdecken lassen sollen: „Aus Museum und Gemeinde Bernried wollen wir eine entdeckungswürdige Landschaft machen.“ Mithilfe einer internationalen Ausschreibung hat man ein Team aus Montreal gewonnen, das interaktive Strukturen zwischen Museum, Dorf und See realisieren will, eine künstlerische Plaza mit langen Bänken, mit Tanz, Bewegung und Klangerzeugung – eben ein „Wunderland“, in das man gerät, kaum dass man mit Schiff oder Bahn angekommen ist. Von alldem spricht Schreiber ohne jeglichen intellektuellen Dünkel eines Museumsdirektors, sondern mit der Überzeugungskraft „eines säkularen Pfarrers“.

Noch mal Gerlinger-Bilder

Bevor die Sammlung Gerlinger aus dem Buchheim Museum abgezogen und versteigert wird, sieht man Werke daraus noch in zwei Ausstellungen und in Zusammenschau mit eigenen Beständen: derzeit in der Kombination Brücke & Secession und ab Mitte Juli Brücke & Blauer Reiter. Weil es viele Differenzierungen zwischen solchen künstlerischen Vereinigungen und entsprechend verfolgten Kunstrichtungen gegeben hat, informiert man sich besser darüber, welche wann und wo in der aktuellen Ausstellung gemeint ist. Im Buchheim Museum gibt es dafür eine Infotafel: 1812 die Münchner Secession von der Künstler-Genossenschaft, 1898 die Berliner Secession vom Verein Berliner Künstler. Mitglieder der Münchner wurden Mitglieder der Berliner Secession – diese trat in Verbindung mit innovativen neuen Vereinigungen wie der Dresdner Brücke. Die berühmtesten Namen der deutschen Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts sind mit diesen Wander- und Spaltungsbewegungen verbunden: Max Slevogt, Max Liebermann, Erich Merkel, Ernst Ludwig Kirchner, Karl Schmidt-Rottluff.

Derart einigermaßen ausgerüstet, macht man sich auf in den großen Ausstellungssaal des Bernrieder Museums, genießt die großzügigen Durchblicke zwischen den Stellwänden, Momente der Kontemplation auf den einladenden Bänken, die einen an den berühmten Gemälden aus beiden Sammlungen entlangführen. Die Exponate sind nach Themen, Formaten und Motiven geordnet.

Überall gibt es interessante Vergleiche. Etwa zwischen Karl Schmidt-Rottluffs Morgen an der Elbe und Max Beckmanns Sandige Vorstadt, beide von 1905, beide zeigen die Auflösung konkreter Formen, bei beiden ist die Sicht auf den Hafen oder die Landschaft vom Temperament des Malers bestimmt – eben wie es der Impressionismus vorgab. Eine Folge von Nordseelandschaften mit und ohne Meer von Karl Schmidt-Rottluff, Emil Nolde und Max Beckmann lässt eine spannende Differenzierung von Sicht und Thematik erkennen. Man stößt auch auf Gegensätze: Lovis Corinths Baby Thomas hängt direkt gegenüber vom martialischen Porträt des Malers Paul Bach. Große Zwischenwände mit Infotexten führen zum aufgelösten Licht Theo von Brockhusens. Eine lange Reihe von „Sitzenden“ erschließt einem den Maler Max Kaus.

In dieser Ausstellung steht nicht das einzelne, berühmte Bild, auch nicht die Chronologie im Vordergrund, sondern der Unterschied zwischen der „Brücke“ und der „Secession“, zwischen Epochen und Themen. Dadurch entsteht auch kein Zwang zur enzyklopädischen Verarbeitung der ganzen Ausstellung, man kann sich auf einzelne aussagekräftige Beispiele konzentrieren. Etwa die drei Porträts von Max Kaus, Alexej von Jawlensky und Rudolf Levy – alle im zeitlichen Kontext der Jahre nach dem Ersten Weltkrieg bis 1921, aber mit sehr verschiedenen Sichtweisen. Zu solchen interessanten Gruppierungen gehört auch die nackte Exotik bei Max Pechstein und Otto Mueller oder der Blick über den Zweiten Weltkrieg hinaus.
(Uwe Mitsching)

(Bis 26. Juni. Buchheim Museum, Am Hirschgarten 1, 82347 Bernried. Aktuelle Öffnungszeiten unter www.buchheimmuseum.de)

Kommentare (0)

Es sind noch keine Kommentare vorhanden!
Die Frage der Woche

Soll die tägliche Höchstarbeitszeit flexibilisiert werden?

Unser Pro und Contra jede Woche neu
Diskutieren Sie mit!

Die Frage der Woche – Archiv
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2024

Nächster Erscheinungstermin:
28. November 2025

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 29.11.2024 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.