Kultur

Alceste (Kai Windhövel) plagt schmerzhafte Ehrlichkeit. Ihm zur Seite sein Freund Philinte (Paul Langemann). (Foto: Jan-Pieter Fuhr)

08.12.2023

Sinnfreier Dämmerzustand

Viel Drumherum in Augsburgs „Der Menschenfeind“

Molières Komödie Der Menschenfeind (1666) lebt von einer Behauptung und einer Täuschung, die in einer allgemeinen Enttäuschung endet – in einem perfekt konstruierten Stück.

Alceste will nicht lügen und nicht heucheln wie alle anderen, kriegt durch seine oft schmerzhafte Ehrlichkeit aber große Schwierigkeiten. Und somit lautet die Behauptung: Da ist einer, der ganz wahr sein will. Aber: Die Täuschung will, dass er zugleich in die mondäne Célimène verliebt ist, die alles verkörpert, was er ablehnt. Sie flirtet ungeniert neben ihm mit einem Haufen anderer wohlhabender, kreuzdoofer Gecken. Das kann und wird nicht gut gehen. Ein glückliches Ende gibt es nicht.

Wie nun verpackt man diesen Inhalt? Augsburgs Staatstheaterintendant André Bücker versucht es mit einer Übersetzung des Stückes in die Atmosphäre einer Art Partylounge. Ausstatterin Imme Kachel hat einen weitläufigen Salon mit elegantem Mobiliar auf der Bühne platziert, darüber thront ein DJ, der Live-Musik einspielt. Ständig werden Sekt und Spirituosen geschlürft, die Statisterie gibt devotes Dienstpersonal. Célimène rauscht regelmäßig mit Mode-Einkaufstaschen an, stellt Schuhe ins Zentrum ihres Daseins. Die Kostüme lappen ins Barocke, sind zierlich überkandidelt und unterstreichen das Zuckrige des Daseins dieses Bühnenpersonals: Die Personen haben alles, sind stets leicht gelangweilt und zu Hause in einem durch und durch sinnfreien Dämmerzustand. Dazu kommen noch gereimte Mobiltelefonnachrichten, die auf die Bühne projiziert werden: Man unterhält sich da beiläufig über die praktizierten Beiläufigkeiten. Auch das Publikum kann offenbar mitposten; bei der Premiere blieb dieses Unterfangen allerdings ein bisschen undurchsichtig.

Bücker, Kachel, DJ (Lilijan Waworka) und Social-Network-Autor Andreas Hillger haben also ganz schön und so viel Drumherum gebastelt, dass das eigentliche Spielgeschehen ein bisschen an Zentralität einbüßt. Der stylische „Text-Entsafter“ lenkt nicht ganz unwesentlich vom Aroma des Saftes ab. Und so bleibt die eigentliche Geschichte in leichter Ferne hinter dieser ambitionierten Schaufenster-Ausstattungs-Ausstellung.

Wenn Dichtkunst wehtut

Wobei die vortreffliche dandyhafte Darstellungsgemeinschaft auf der Bühne trotzdem immer wieder an die Kernelemente der eigentlichen Erzählung rangeht. Es ist schon von großem Witz, wie Kai Windhövel als Alceste und Klaus Müller als megaeitler Oronte im Hin und Her Schmerzpunkte der Lyrik erkunden und dahin gehen, wo Dichtkunst wehtut. Es ist von schöner Eindringlichkeit, wenn Paul Langemann als Alcestes Freund Philinte und Mirjam Birkl als Alceste anschmachtende Éliante ihre gegenseitige Zuneigung freundschaftlich ausloten. Und es ist voll Power, wie Mirjana Milosavljevi(´c) als Célimène alle Männer an sich klebt, bis das Netz reißt und sie nicht mehr im Zentrum, sondern im Abseits steht. Zwischendurch gibts reichlich Kuddelmuddel – als Mobile der schönen Dinge. (Christian Muggenthaler)

 

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