Kultur

Daniel Grossmann mit dem Orchester Jakobsplatz München. (Foto: Florian Jaenicke/Stadt Fürth, Kulturamt)

20.03.2018

Spurensuche im Schtetl

Zum Ende des Klezmer-Festival Fürth belebt Daniel Grossmann mit "Nigunim" eine untergegangene Musikkultur wieder

Ausgerechnet da, wo das Klezmer-Festival Fürth zu Ende geht, beleuchtet ein Konzert, wie es mit Klezmer angefangen hat. Oder besser: was vor Klezmer war. Denn Daniel Grossmann, Gast vom Münchner Jakobsplatz, sagt, was Sache ist: Die alte Schtetl-Musik, durch den Holocaust untergegangen, ist aufgemischt mit amerikanischen Elementen als „Klezmer“ in den USA erst nach dem Krieg entstanden. Aber es gibt sie doch noch: ein paar uralte Aufnahmen einer nur mündlich überlieferten Musik, die die Klezmorim zu jedem Fest, jeder Hochzeit gespielt haben – in einer Besetzung, wie sie sich die Familie leisten konnte. Und Grossmann hat die Reste einer untergegangenen Musikkultur an den Komponisten Moritz von Gagern weitergegeben, um daraus die Fortsetzung fürs Heute zu machen: „jewish music of today“. Soweit der Plan, das fertige Stück heißt „Nigunim“, wurde voriges Jahr schon in München gespielt und jetzt nahezu abendfüllend im Stadttheater Fürth. Festivalleiterin Claudia Floritz hatte sich zwar gefragt: „Kann ich das meinem Klezmer-Publikum zumuten?“, sich aber gleich die Antwort selbst gegeben: „Wenn nicht wir, wer sonst ?“ Also hat sie Grossmann samt Orchester Jakobsplatz eingeladen.

Klezmer-Fremdgänger mit beträchtlichem Abstand zur Klezmer-Masche

Der lang anhaltende Applaus gab Floritz recht, und so erlebte man, am besten nachvollziehbar etwa nach der Halbzeit, eine jüdische Hochzeit und ihre Musik mit: vier Stationen, einem Traum in die Vergangenheit und einem Vorschlag, wie jüdische Musik heute klingen könnte. Gagern nimmt zur üblichen Instrumentierung noch Xylophon und Grammophon dazu. Die Orientierung wird durch das Programmheft ein bisschen erleichtert. Besonders nach dem rituellen Zertreten des Glases und der fröhlichen Prozession durchs Dorf. Grossmann macht einem vor, was „freilach“ heißt – fast chaplinesk. Sein Orchester zeigt sich all seinen Aufgaben authentisch gewachsen, klopft schon mal ein Pizzicato mit dem Bleistift auf die Saiten. Immer hinreißender wird die Musik: ein Klezmer- Fremdgänger mit beträchtlichem Abstand zur Klezmer-Masche.  Und manchmal richtig „gassenhauerisch“.  Es wäre mehr als schade gewesen, hätten die Fürther Programmmacher nicht noch eine einzelne „Nigum“ (= Melodie) dem Ganzen vorausgeschickt. Die war 2017 bei den Bregenzer Festspielen uraufgeführt worden. Dass sie jetzt nach Fürth kam, liegt daran, dass der Komponist und Interpret Pavel Zalejski dort lebt. Ansonsten ist er viel unterwegs: als Primarius des berühmten Apollon-Musagète-Streichquartetts, als Konzertmeister beim Symphonieorchester Vorarlberg und des Nürnberger Ensembles Kontraste. Erinnerungen an das polnische Bromberg, an seine Menschen und seine Musik hat Zalejski da komponiert, Erinnerungen an Juden, die mit bloßen Händen ihre Synagoge abreißen mussten, bevor sie deportiert wurden. Viele Elemente jüdischer Musik erkennt man in dieser „Melodie“: mitreißend Tänzerisches in geradezu trotzigen Rhythmen, Poetisches in extremen Piano-Regionen – exzellent und mit viel Herzblut auf Geige und Bratsche gespielt. Es ist ein Epilog des Verstummens, Ersterbens auf leeren Saiten, in einer einsamen Melodie, aber auch ein Aufbäumen, das den Untergang nicht wahrhaben will. Ohne dieses Stück hätte dem Festival viel gefehlt.
(Uwe Mitsching)

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