Kultur

Alkoholhaltiges illyrisches Idyll: Maria (Kerstin Hänel), Malvolio (Tobias Bode), der Narr (Nils Svenja Thomas) und Sir Andrew (Nils Liebscher). (Foto: Annemone Taake)

20.10.2023

Stürmischer Liebeswirrwarr

Das Landestheater Coburg eröffnet seine neue Spielstätte mit einer grandiosen Inszenierung von Shakespeares „Was ihr wollt“

Neue Spielstätte, neue Herausforderungen: Klar fängt ein Landestheater wie jenes in Coburg, wenn es denn schon eine völlig neue Spielstätte hat, die sich Globe nennt, mit William Shakespeare an. Denn so heißt auch das Londoner Theater, für das der Engländer (1564 bis 1616) einst seine Stücke geschrieben hat. Und so startet man im Norden Oberfrankens logischerweise mit Was ihr wollt. Was sich drei Stunden lang darbietet, ist erfrischend: Theater, das Appetit auf mehr macht.

Das muss man erst einmal schaffen: nicht nur den Druck einer Premiere auszuhalten, sondern den einer Premieren-Premiere, und dabei das ganze Shakespeare-Illyrien so frei, frisch und mit allen möglichen Geschmacksrichtungen und Facetten zu präsentieren. Regisseurin Jana Vetten, ihr Produktionsteam und das Schauspielensemble zeigen eine Shakespeare-Inszenierung, die in selbstverständlicher Ausführlichkeit viele Ebenen bereist, die das raffinierte und vielschichtige Stück bietet.

Im Kern geht es um die Liebe und ihren in mehrerer Hinsicht doppelbödigen Charakter: zarte Sehnsucht, die in radikale Überwölbung umschlägt, Unklarheit über Geschlechtergrenzen, Zweisamkeit aus Panik vor Einsamkeit.

Das Geschlecht ist egal

Das Liebesquartett Orsino, Olivia, Viola, Sebastian erzählt das ausführlich: Das Zwillingsgeschwisterpaar Viola und Sebastian wird bei einem Schiffsuntergang auseinandergerissen. Erstere verkleidet sich als Mann, wird von Orsino, in den sie sich zügig verliebt, zum Liebesboten für die von ihm angebetete Olivia eingesetzt, die sich wiederum in den falschen Jüngling verknallt. So geht das zu, wie im Rocksong Lola (1970) von den Kinks: „Girls will be boys and boys will be girls.“ Oder, wie es in Coburg heißt: „Du bist kein Mann, du bist keine Frau/Du bist einfach, was Du gerade bist.“

Es ist ein glücklicher Einfall, mit Ö(g)ünç Kardelen einen Musiker in die Produktion genommen zu haben, der mit den Liedern à la Elektro-Schlager-Pop neue Räume für das Bühnengeschehen aufmacht. Das Illyrien, in dem die Schiffbrüchigen landen, wird ohnehin als Land vorgestellt, in dem seltsame Klänge herrschen. Also begleitet die Musik nicht nur die Handlung, sondern kommentiert sie, weitet sie; es gibt Schlüsselmelodien wie das Lied L’Amour, immer wenn es um Liebe geht. Nils Svenja Thomas als Narr intoniert das alles und ist musizierender, singender und damit durchgehend auch philosophierender Interpret des Bühnengeschehens.

Und in diesem geht es um Sinnlichkeit und das Recht auf Sinnlichkeit. Nicht nur die Musik, auch die Bühne (Ausstattung von Eugenia Leis) eröffnet diesem Thema neue Räume: Vom Schnürboden hängt ein Stangenwald herab, durch den sich irren lässt, der aber auch Raum für Verstecke bietet. Im Bühnenvordergrund gibt es Wasserbecken für Schiffbrüche und für spritzende und spritzige Emotionen.

Der Shakespeare-Text selbst – in Coburg in der zupackenden Übersetzung von Thomas Brasch – bietet natürlich Räume genug für Debatten über die Sinnlichkeit, vor allem mit dem sauf- und rauffreudigen Trio Sir Toby, Sir Andrew und Maria und ihrem puritanischen Gegenspieler Malvolio. Dieser Teil der Handlung ist in Coburg ausgesprochen witzig und gewitzt.

Aber es geht auch um die Untiefen des Textes, die Schattenseiten, die er thematisiert. Die Verzweiflung darüber, dass nichts so ist, wie man will, bietet den Darstellenden des Liebesquartetts – Florian Graf, Marina Schmitz, Annelie Straub, Hans Ehlers – in dieser raumgreifenden Inszenierung genug Möglichkeiten, die dunklen Seiten ihrer Figuren ausführlich auszuloten. Diese Selbstreflexionen ergeben zusammen mit dem Schwung des dauerkecken Gesindetrios Ines Maria Winklhofer, Nils Liebscher, Kerstin Hänel die Dynamik der Aufführung. Nahtstelle und Scharnier zwischen dem Glück der Liebe und dem Unglück des Seelenschattens ist Tobias Bode als Malvolio: eine zutiefst tragikomische Figur. (Christian Muggenthaler)

 

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