Kultur

König Lear (Thomas Schmauser, rechts) mit seinem Narren (Samouil Stoyanov). (Foto: Arno Declair)

04.10.2019

Süffig-sinnliche Shakespeare-Sause

„König Lear“ an den Münchner Kammerspielen reflektiert, wie beinharte Machtkämpfe funktionieren

Von der Bühne leuchtet in großen roten Buchstaben die Inschrift „The End“ herunter. Das Ende ist Stefan Puchers Inszenierung von Shakespeares König Lear allerdings nicht, sondern vielmehr der Beginn der neuen Spielzeit im großen Haus der Münchner Kammerspiele. Und was für ein fulminanter Beginn ist das! Nicht zuletzt dank der klugen, flapsigen, berührenden Textneufassung von Thomas Melle entstand eine süffig-sinnliche Shakespeare-Sause, wie sich’s gehört.

Da zucken Blitze durch einen rosa Wolkenhimmel, König Lear schwafelt über „mein geliebtes Internet“, und endlich schwebt gar ein verstoßener Grafensohn (Christian Löber) als David-Bowie-Verschnitt an Seilen herab, um dabei das Lied von Major Tom zu singen.

Hehre Werte missbrauchen

Aber da sind wir dann schon in der berühmten Szene, wo der verrückt gewordene König mit seinem Narren (als schmieriger Sympathieträger: Samouil Stoyanov) über die Heide irrt. Vor diese traumhaft-surrealen Wahnsinns-Episoden hat Shakespeare die beinharten Machtkämpfe gesetzt. Folglich steht auf der Bühne eine Art Kanzler-Bungalow mit Kommandobrücke auf dem Dach.

Die Stärke der Inszenierung besteht darin, dass sie nicht nur großen Spaß macht, sondern zugleich eine sehr ernsthafte Reflexion darstellt. Sie führt nämlich vor, wie egoistisches Machtstreben immer irgendwelche hehren Werte als Rechtfertigung einspannt. Edmund (Thomas Hauser im Schlangenlederanzug), der uneheliche Sohn aus dem Hause Gloucester, der mit teuflischem Intrigenspiel seinen Halbbruder ausschaltet, stilisiert sich zum Rächer der Unterprivilegierten: Die alte Feudalordnung, wo Herrschaft vererbt wird, will er brechen, behauptet er, und als Diktator ein System etablieren, in dem die Starken und Tüchtigen (also er) gemäß einem darwinistischen Leistungsprinzip ans Ruder kommen.
Trendiger argumentieren die beiden bösen Lear-Töchter (Julia Windischbauer und Gro Swantje Kohlhof als RTL-Zicken): Nachdem sie sich vom Vater mit geheuchelter Liebe sein Königreich erschleimt haben, möchten sie den Alten schnell loswerden und verkaufen ihre kalte Brutalität als Feminismus. Der Vater stehe für die jahrtausendealte Herrschaft des Mannes; und um das Patriarchat endlich zu überwinden, müssten die Frauen genauso rabiat handeln wie die Patriarchen, auf dass nachher alle in eine strahlende Zukunft schreiten könnten: „Kein Paradies ohne Höllenritt.“

Damit aber die Frauen nicht gar zu schlecht wegkommen, wurde die positive Figur Graf Gloucesters in dieser Inszenierung kurzerhand zur Gräfin, die Wiebke Puls als weise Salonschlange in Rosa gibt. Sie durchschaut das Rebellionsgerede der Lear-Töchter und weiß: „Wer die Figuren austauscht, ohne die Regeln zu ändern, der spielt das alte Spiel.“

Gefährlicher Fanatismus

Die beunruhigende Faszination der Inszenierung besteht gleichwohl darin, dass die erkennbar nur vorgeschobenen Gründe, mit denen die Bösewichte ihre Gewalt legitimieren, im Prinzip nicht völlig falsch sind. Die Überwindung ungerechter Strukturen will eigentlich jeder, und so sind die Schurken hier nicht nur im Unrecht. Weil sie sich so auch selbst darüber hinwegtäuschen können, dass sie echte Werte für unredliche Zwecke instrumentalisieren, stehen sie beispielhaft für die Gefährlichkeit des Fanatismus, der sich vorlügt, nach dem Guten zu streben.

Wie leicht man in diesem Wirrwarr irrsinnig wird, zeigt grandios Thomas Schmauser: Sein Lear ist ein Edelhippie im Tropenblumen-Anzug und mit John-Lennon-Brille, in dem der Wahn wie eine Flamme flackert. (Alexander Altmann)

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