Kultur

Grandios erlebt man Markus Brück als Alberich. (Foto: Wilfried Hösl)

31.10.2024

Thriller mit veritablem Showdown

Tobias Kratzers „Das Rheingold“ markiert den Auftakt zum neuen Wagner-„Ring“ an der Bayerischen Staatsoper in München

Bei dieser Oper am Pult dieses Orchesters kann man eigentlich auf Autopilot schalten. Jedenfalls zählt Richard Wagner zur DNA des Bayerischen Staatsorchesters. Noch dazu wurde Das Rheingold, der erste Teil des Ring des Nibelungen, 1869 am Münchner Nationaltheater uraufgeführt. Leider rumpelte es bei der aktuellen Rheingold-Premiere, dem Auftakt zur neuen Ring-Inszenierung der Bayerischen Staatsoper, bereits im Vorspiel bei den Bläsern – auch im weiteren Verlauf gab es Unstimmigkeiten, so in den tiefen Streichern.

Penibel kleinteilig

Gleichzeitig wurden einmal mehr die Schwächen von Generalmusikdirektor Vladimir Jurowski deutlich. Es werden kleinste Details seziert, mit durchaus hörenswerten Ergebnissen. Derart zupackend und in der Klanglichkeit vielfach die Moderne vorwegnehmend, erlebt man das Rheingold selten – aber die Kleinteiligkeit entwirft keine weiten Bögen. Jurowski will alles kontrollieren, gewährt dem Orchester kaum Raum zur freien Entfaltung – das hört man.

Immerhin ist die dramatische Wirksamkeit der passende Soundtrack für eine Regie, die manche Register zieht. Da versprühen die drei Rheintöchter (Sarah Brady, Verity Wingate, Yajie Zhang) reichlich Theaternebel. „Gott ist tot“ prangt in großen Lettern: Ein böser Seitenhieb auf Wotan. Noch verspotten die Rheintöchter den Alberich (Markus Brück), bis dieser das Rheingold stiehlt.

Der Thriller kann beginnen, und so inszeniert Tobias Kratzer das Rheingold. Mit dem phantastischen Ausstatter Rainer Sellmaier knüpft er an seine Tannhäuser-Inszenierung in Bayreuth an, allerdings linearer erzählt und mit gemäßigter Ironie.

Erneut wird mit Videosequenzen gearbeitet. Wenn sich Nicholas Brownlee als Wotan mit Loge (großartig: Sean Panikkar) zu Alberich und dessen Bruder Mime (packend: Matthias Klink) aufmacht, um sich selbst des Rheingolds zu bemächtigen, sieht man sie von München nach New York reisen – auch im Flugzeug. Bei der Rückreise haben sie Alberich als Kröte in der gläsernen Jausendose und zum angewiderten Entsetzen eines Passagiers. Das zählt zu den originellsten, witzigsten Umsetzungen der orchestralen Zwischenspiele.

Was folgt, ist ein veritabler Showdown. Wenn die Kröte wieder zu Alberich wird, sitzt dieser nackt und gefesselt auf einer Bank. Ihm wurde buchstäblich seine Würde geraubt – ein starkes Bild. Den machtvollen Ring schneidet Wotan von Alberichs Finger. Dieser Alberich geht als Gebrochener, aber nicht ohne den Ring und seine künftigen Träger zu verfluchen. Als „Liebesgruß“ pinkelt er zum Abschied auf den Boden. Wie das alles Markus Brück als Alberich meistert und dabei im Gesang eine klare Artikulation und Textverständlichkeit erreicht, das ist ein packendes Erlebnis.

Starkes Rollendebüt

Nicht minder stark ist das Rollendebüt von Nicholas Brownlee als Wotan: Dieser Gott ist zu machtbesessen und irdisch, um ein solcher zu sein. Für seinen Machterhalt verkauft er Freia (Mirjam Mesak), die Schwester seiner Frau Fricka (Ekaterina Gubanova), an die Riesen Fasolt (Matthew Rose) und Fafner (Timo Riihonen). Um sie wieder freizukaufen, braucht Wotan das Rheingold, doch die Riesen wollen auch den Ring. Während Freia am Strick baumelt, kommt die große Wiebke Lehmkuhl als prophetische Erda in die Szene und warnt Wotan vor dem Ring: ein magischer Moment, im Publikum auf der Premiere herrscht absolute Stille. Als Wotan auch den Ring abgibt, entbrennt zwischen den Riesen-Brüdern ein tödlicher Streit.
Doch das alles ist erst der Anfang. Bis zur Götterdämmerung, die 2027 über die Bühne gehen soll, wird noch viel geschehen. Aber mit dem Rheingold hat Kratzer schon einmal ein ganzes Repertoire an schaurigen, unheilvollen Vorgeschichten in den Ring geworfen. Man darf gespannt sein, und vielleicht finden auch Jurowski und das wunderbare Staatsorchester besser zusammen. (Marco Frei)

 

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