Kultur

Die Liebe zwischen Maria (Ekaterina Isachenko) und dem Feldherrn beziehungsweise ihrem Paten Mazeppa (Torsten Petsch) geht nicht gut aus. (Foto: Aylin Kaip)

06.09.2024

Tragische Mesalliance

Andreas Wiedermann und seine Opera Incognita spielen Tschaikowskys Oper „Mazeppa“ in der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität

Diesmal hat sich Andreas Wiedermann mit seiner Opera Incognita die Uni ausgesucht für eine Geschichte aus der und über die Ukraine. Peter Tschaikowsky hat ihm die Vorlage geliefert, und der Regisseur aus Dorfen (Landkreis Erding) kann sich in guter Gesellschaft fühlen: Die Oper Mazeppa (1883) wurde jüngst auch in Frankfurt und bei den Tiroler Festspielen Erl gegeben und steht in New York auf dem Spielplan der Metropolitan Opera. In der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) sieht man sie als Vorlesung eines stummen Professors für Geschichte und Volkskunde, der durch Übertitel unterstützt am Ende der dreieinhalb Stunden von einer Art KGB abgeschleppt wird.

Zunächst hatte dieser Professor das Publikum über die logistischen Modalitäten des Abends informiert. Denn der fängt im durch die Geschwister Scholl geschichtsträchtigen Lichthof der LMU an, dann wandert das Publikum ins Audimax und schließlich wieder zurück für ein kitschiges Show-Ende auf der Treppe: für das unglückliche ukrainische Volk, den toten Kämpfer Andrej und die wahnsinnig gewordene Maria.

Verknallt in den Taufpaten

Dass Maria den Heerführer Mazeppa liebt, der eigentlich ihr Taufpate ist, ist die eine Seite der Geschichte. Die andere ist der Große Nordische Krieg (1700 bis 1721), in dem der schwedische König Karl XII. seine imperialen Gelüste bis hinunter zum Schwarzen Meer auslebt. Poltawa in der Zentralukraine war dabei einer der wichtigsten Schlachtorte (1709) – und steht heute erneut als Ort aktueller Kämpfe in den Zeitungen.

Die Mesalliance seiner Tochter gefällt dem robusten Feldherrn Kotschubej überhaupt nicht. Tschaikowsky mochte in der Geschichte Marias vielleicht ein Pendant zu seinem eigenen unerfüllten Gefühlsleben gesehen haben. Seine Oper reicht weit ins 19. Jahrhundert zurück: hörbar bis zu Wagners Fliegendem Holländer und vielem anderen konventionellen Jungfernkranz-Gehabe und bühnengerechter Folterkammer.

In den engen Reihen des Audimax hat der Zwist der beiden Ukraine-Rivalen Mazeppa und Kotschubej kaum Raum für Flucht und Hinrichtung. Und dabei möchte Andreas Wiedermann doch große Oper nach alter Väter Sitte machen, keine Spur von bluttriefendem Regietheater oder Gegenwartsbezug im Straßenanzug. Die LMU-Schauplätze sind Wiedermann Szene genug, und die musikalische Realisierung ist auf zwei Orchester verteilt: eine kleine Sextettbesetzung für Vor- und Nachspiel im Lichthof, das doppelt so große Orchester platziert im Audimax, wo der Dirigent Ernst Bartmann von einem seitlichen Podest aus guten Überblick über die Schauplätze hat. Der Chor der Opera Incognita ist so intensiv präpariert, dass er auch ohne eine lenkende Hand oder Sichtkontakt auskommt. Im Lichthof passt der übermäßige Nachhall höchstens zum Kitsch des Finales mit Maria im Stil einer Pietà. Aber das Publikum mag nicht mäkeln.

Das Sängerquartett ist, wie man es für ein romantisches Schauerdrama erwartet: mit zwei mächtig tönenden und vor Rache rauchenden, typisch russischen Bässen (Torsten Petsch und Robson Bueno Tavares mit gleichförmiger Stimmgewalt) oder mit dem Jugendfreund Marias und intriganten Mittelsmann Andrej, den Karo Khachatryan mit Wickelwaden und festem Tenor gibt. Die Mutter Marias (Carolin Ritter) darf ausführlich unglücklich sein über das Faible ihrer Tochter für ältere Herren, und Ekaterina Isachenko singt sich als Maria auch operngemäß in den Wahnsinn.

Zwar heißt es im zweiten Akt dieser Oper: „Noch ist die Ukraine nicht gestorben“, aber Tschaikowsky komponierte die Geschichte in eine ausweglose Katastrophe hinein, als wär’s seine 5. Sinfonie.

Was Andreas Wiedermann mit seiner Inszenierung (Ukraine-Heimatkundestunde, romantisches Liebes- und Erlösungsdrama) konkret wollte, bleibt eher unklar. Immerhin merkt man: Auch Tschaikowsky konnte Kitsch, und Wiedermann spricht seine Sprache. (Uwe Mitsching)

 

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