Kultur

Die Rolle des Erwin fordert Frank Siebenschuh nicht nur Sprachkunst beim Monologisieren ab, sondern auch Kletterkünste. (Foto: Jim Albright)

20.10.2023

Unausweichlicher Absturz

Frank Siebenschuh überzeugt in „Der Trinker“ am Theater Ansbach

Nein, ein Premierenabend zum entspannt zurücklehnen war Robert Arnolds Inszenierung nach Hans Falladas autobiografisch gefärbtem Roman Der Trinker im Theater Ansbach keineswegs. Und doch kam das Publikum im Kleinen Haus voll auf seine Kosten, blitzten in der Tragik doch auch Momente von Komik hervor. Der Grat ist schmal. Der Regisseur, seit 2020/21 Ensemblemitglied des Theaters, und der Schauspieler Frank Siebenschuh zirkelten ein fulminantes Kammerspiel auf die kleine Bühne: den Monolog eines Abgestürzten, der im Sog der Sucht nach unten gerissen wurde – ohne Rührseligkeit und Mitleidsgeheische.

Erwin Sommer, der durchaus auch Züge aus Falladas Leben spiegelt, sitzt blass und einsam auf einem überdimensionalen Stuhl – ein Küchenmodell, Marke Retro, gut bürgerlich, beige und abwaschbar der Bezug. Erwin starrt auf die durchscheinende Folienwand seiner Zelle in einer Heilanstalt. In die hatte man ihn nach vielen Abstürzen eingewiesen: Endstation der Suche nach Glück. Das hatte er mit seiner Frau Magda gefunden, auch das Berufliche passte. Bis Ehe und Geschäft Risse bekamen, das Leben ins Trudeln kam.

Gnadenloser Tröster

Und da war er, der erste Schnaps seines Lebens. Es war der Beginn einer zerstörerischen Beziehung zwischen Glücksverheißung und Untergang. Das wohlige Momentgefühl im Bauch ließ die Probleme für kurze Zeit vergessen, bis das Verlangen erneut da war. Der Verlockung widerstehen? Allein kaum möglich. Schnaps als gnadenlos fordernder Tröster in schweren Zeiten.

Nach und nach rollt Frank Siebenschuh das Psychogramm eines Suchtkranken aus, das sich collagenartig aus markanten Lebensszenen und rezitierten Gefühlszuständen zusammensetzt. Spielpartner auf der karg eingerichteten Bühne ist der Stuhl-Riese, der den Protagonisten winzig klein erscheinen lässt. Erwin ist einer, der vom Leben überfordert ist, daran scheitert und sich den Versprechungen des Alkohols überlässt, dabei alles verliert – letztlich auch die Achtung vor dem eigenen Leben, als er sich wissentlich mit Tuberkulose infiziert und auf sein Ende wartet.

Der Stuhl ist wichtig in diesem variantenreichen Kammerstück: Er ist Klettergerüst, Esstisch und vieles mehr. Er ist geradezu ein Symbol für das gesellschaftliche Sein oder den sozialen Abstieg. Siebenschuh sitzt mal hoch oben, dann fällt er herunter, versucht sich wieder hinaufzuhangeln – ehe unweigerlich der nächste Absturz folgt. Das verlangt viel Kraft, Beweglichkeit und Körpereinsatz. Siebenschuh stemmt das. Krampft sich zusammen, wenn die Sucht ruft, schiebt sich provokant durch das Gestänge der Rückenlehne, über der Sitzfläche baumelnd, um sein kleines, trauriges Leben Revue passieren zu lassen.

Elektrobeats begleiten den Rückblick atmosphärisch, ehe am Ende ganz klar die Bach-Arie „Bleibt, ihr Engel, bleibt bei mir“ von Ferne erklingt. Versprechen eines jenseitigen Glücks? Die Sehnsucht ist da. (Elke Walter)

 

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