Kultur

Nele Ströbel lauscht immer wieder mal selbst an einem der Audiokoffer, aus denen zur Zeit CDs der Musikhochschule zu hören sind. (Foto: Dütsch)

21.04.2011

Unterwegs mit allen Sinnen

Wie Piktogramme erschließen Nele Ströbels Kunst-Koffer das Münchner Kulturzentrum am Gasteig in seinem Jubiläumsjahr

Verreisen, verwalten, verzaubern, vertreiben – nein, letztere Assoziation an eine Flucht aus dem Gasteig verflüchtigt sich schnell. Ganz im Gegenteil: Die Koffer, die seit vergangenem Herbst durch Münchens Kulturzentrum wandern, reizen immer wieder aufs Neue mit einem quasi nach außen gestülpten Innenleben, das zum verweilenden Gucken animiert.
„Der Koffer ist ein Gefäß, in das ich einpacken kann, was ich unbedingt brauche, wenn ich unterwegs bin. Und dazu gehört auch, was zu unserem kulturellen Bedürfnis gehört“, sagt die Münchner Bildhauerin Nele Ströbel über ihre Installation Kunst-Koffer Gasteig zum 25-jährigen Bestehen des Kulturzentrums. Das ist die eine Sicht, die der Besucher im Kulturzentrum. Und die bezieht sich nicht nur auf das räumliche Unterwegssein, sondern auch auf die geistige Mobilität: Bücher ausleihen, Zeitungen lesen, Gesprächsrunden mit prominenten Kulturschaffenden und Künstlern verfolgen, mitdiskutieren, sich in Fotoausstellungen an unbekannte Perspektiven heranführen und von Musikern in Notenwelten entführen lassen, schließlich in der Volkshochschule den Bildungshorizont erweitern. Das Kulturzentrum ist wie ein riesig großer Koffer, aus dem man schöpfen kann.
Der aber erst gefüllt sein will. Und das ist die Seite der Macher: „Auch für die ist der Koffer typisch“, sagt Nele Ströbel. Im Sinne des Wortes versteht die Bildhauerin, die sich auf Projekte im öffentlichen Raum spezialisiert hat, den Koffer als „Platzhalter“ für künstlerische Ideen, als Medium, etwas in den Raum zu bringen. Hinzu kommt die Begegnung mit einem ganz praktischen Alltagsgegenstand: Da eilen Verwaltungsangestellte mit Aktenkoffern durch die Gänge, Musiker mit Instrumentenkoffern, wenn für Auswärtsauftritte gepackt werden muss, rollt die Garderobe in Schrankkoffern Richtung Künstlerausgang, Handwerker rücken mit Werkzeugkoffern an, die Sanitäter zum Präsenzdienst bei Konzerten mit Rettungskoffern, und bei Sonderveranstaltungen hat sich auch schon mal ein Zauberkoffer aufgetan.
Dazu jetzt Nele Ströbels Kofferparade. Große glänzende Koffer schon gleich auf dem Celibidache-Forum vor dem Haupteingang zum Gasteig oder in einem der terrassenartigen Lichthöfe in den oberen Stockwerken des Gebäudes: „Ziehkoffer“ nennt die Bildhauerin diese Skulpturen, die im Laufe des Jubiläumsjahres durch viele Winkel des Zentrums „wandern“. Es sind dünne Aluplatten, Kofferdeckel und -boden in einem, mit konzentrischem Schnittmuster, das an Plattenteller ebenso wie an Lautsprecher denken lassen mag, Nele Ströbel vor allem aber dazu dient, die Form ins Dreidimensionale aufzuziehen: prall gefüllte Koffer mit Durchblick auf immer neue Facetten des Kulturzentrums; Lichtstrahler sorgen für farbigen Stimmungswechsel.
Vor allem in den Lichthöfen sorgt der Kamineffekt dafür, dass sich die Skulpturen, deren feiner Musterziselierung man wegen des harten Materials nur mit Wasserstrahlsägen beikommt, sanft bewegen – als wären sie Windspiele aus hauchdünnem Stanniol. „Auch den Musikern gelingt es, manch schwere Partitur so leicht rüberzubringen, dass der Konzertbesucher nichts von dem vielleicht ebenfalls spröden Notenmaterial mitbekommt“, vergleicht Nele Ströbel.

Vor und hinter den Kulissen

Nicht nur diese Ziehkoffer sind signifikante Wegmarken im Kulturzentrum, die das beziehungsreiche Wechselspiel von Drinnen und Draußen, Füllen und Entnehmen, Machern und Nutzern symbolisieren. Andere Alukoffer sind Projektionsflächen für Filme und Fotos, die Nele Ströbel bei ihrer Spurensuche durchs Kulturzentrum selbst gemacht hat, im hauseigenen Archiv entdeckt oder aus den privaten Erinnerungsalben der Mitarbeiter entliehen hat.
Arrangiert sind sie zu einem kurzweiligen Mosaik aus Episoden, die vom Vor und Hinter den Kulissen erzählen, von Ausstellungen und Konzerten ebenso wie von Arbeiten der Garderobieren und Haustechniker, die zum Beispiel die auf den Gasteigdächern brütenden Enten durch den Aufzug und über den roten Teppich hinaus in die benachbarten Grünanlagen geleiten; man begegnet auch „guten Geistern“, die Besucher normalerweise nie sehen, etwa jenen Mitarbeitern, die Bücher registrieren und „ausleihfähig“ machen, oder den Angestellten im Musikarchiv, die die Notenblätter der Musiker wieder „sauber“ radieren, nicht ohne vorher manch besonders originell „verziertes“ Blatt fotografiert zu haben.
Nele Ströbel erzählt auch von der Kunst am Bau. Im Mittelpunkt steht derzeit das Gerundete Blau von Rupprecht Geiger, die große Scheibe vor dem ziegelroten Gebäude des Gasteig. Fotografisch hat die Bildhauerin ihre Eindrücke festgehalten, als sie bei einem Besuch in der Geiger-Werkstatt auf Skizzen und – umgeben von Eimern und allerlei Tiegeln und Töpfen mit den für Geiger typischen Rottönen – auch auf die leuchtendblauen Modelle des Kunstwerks stieß, die nun in einer Vitrine ausgestellt sind.
Die Fensterfront gegenüber dieser Vitrinen- und Videokofferinstallation ist mit weißem Tuch verhängt. Es ist ein paradoxes Spiel mit der Zeit und dem Raum: Hier die Werkstatt, in der die Idee zum Gerundeten Blau gerade Form annimmt – dort bereits das verhüllte fertige Kunstwerk, das doch schon seit über zwei Jahrzehnten eine weithin sichtbare, feste Wegmarke am Rosenheimer Berg ist. Kleine Öffnungen im Vorhang erlauben den neugierigen Blick aufs scheinbar noch gehütete Geheimnis: Auf einmal steht man mitten im Kulturzentrum „draußen“ und lugt unter das Verhüllte, das Drinnen, das letztlich der öffentliche Raum selbst ist.
Aus einigen der Koffer ertönt auch noch Musik zwischen „E“ und „U“ – da glaubt man, dass die Sonnenstrahlen, die durch die Vorhangfensterchen fallen, geheimnisvolle Notationen auf den Foyerboden skizzieren.

Kalkulierte Zurückhaltung

Die Sinne können schier ins Wirbeln geraten – da ist es wohltuend, dass die Bildhauerin keine avantgardistische Kofferkollektion designt hat. Beim Koffermodell ist Nele Ströbel völlig puristisch geblieben, hat für alle Variationen von Zieh-, Projektions- oder Audiokoffern und selbst „Koffer-Ansichtskarten“ die einfache Form von Rechteck und Henkel in der oberen Mitte gewählt: „Wenn man in einen auch architektonisch so massiven Ort zu differenziert reingeht, dann geht man formal unter“, sagt sie über ihre kalkulierte Zurückhaltung. Und so erschließen diese Kunst-Koffer wie zeitlos verständliche Piktogramme das Haus – eine Idee, die dem Gebäude auch über das Jubiläumsjahr hinaus gut anstehen könnte.
Die Mobilität des Kulturzentrums bekommt nämlich notwendigerweise eine weitere Dimension: Umfassende Renovierungs- und Sanierungsarbeiten werden in den nächsten Jahren den Betrieb prägen – da ist viel Kofferpacken zu erwarten: Abteilungen wie die Bibliothek müssen wohl vorübergehend umgesiedelt oder gar geschlossen werden. Auch das erfordert von Machern und Nutzern räumliche und geistige Beweglichkeit. Die Kofferpiktogramme, gar noch mit Ein- und Ausblicken zum Betrieb des Kulturzentrums bespielt, könnten da eine verlässliche und konstante Orientierung bieten. (Karin Dütsch)

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