Kultur

Eines der prominentesten Exponate der Ausstellung ist Pablo Picassos „La Lecture“ von 1953. (Foto: bpk/Nationalgalerie, Smb, Museum Berggruen/Jens Ziehe)

17.08.2018

Versunken in Lektüren

Das Franz Marc Museum in Kochel zeigt, wie Künstler sich mit dem Thema Lesen auseinandersetzen

Kann man sich ein Motiv und Modelle denken, die Malern lieber wären als all die still dasitzenden, regungslosen Leser oder aufgestapelte Bücher? „Versunkenheit in den Text, Faszination durch das Buch, Fixierung des Malers auf sein Motiv“: Das ist es, was eine Ausstellung im Franz Marc Museum in Kochel zeigen will.
Im Erdgeschoss gibt es eine Einführung in die Symbiose von Schauen und Lesen, dort werden die Dimensionen und Facetten des Themas aufgeblättert: Vom Lesen der Bilder – Bilder vom Lesen.

Wo man überall liest

Dazu gehört auch die Frage nach dem Wo des Lesens. Niemand sonst im Katalog, der zugleich Lese- und Bilderbuch ist, hat das so realitätsnah aufgelistet wie Kurt Tucholsky: nach Bus und Bett kommt er zu dem Ort, dem Örtchen zu sprechen, wo „viele Männer es tun. Sie rauchen dabei und lesen.“ Aber so viele Lese-Orte die Ausstellung auch von Künstlerhand zeigt: Kein Bild ist dabei von diesem verschwiegenen Ort. Auch das von Ernst Ludwig Kirchner, das dessen „Brücke“-Kollegen Erich Heckel sitzend zeigt – nein, es ist doch wohl eher der Kaffeetisch, an dem er mit der Morgenzeitung sitzt.
Das übrigens ist eine Beobachtung, die man in der Ausstellung auch macht: Männer lesen auf Bildern immer (oder fast immer) Zeitung, Frauen ein Buch. Mit ihnen zusammen taucht der Betrachter ein in die geradezu archaische Stille der Lektüre, des Lesens.
Wie verführerisch die sein kann, davor warnt die Ausstellung auch und erinnert an Gustave Flauberts Madame Bovary, die die Welt ihrer Romane langsam mit der Realität verwechselt. Diese Faszination des Lesens zeigt Jean-Étienne Liotard mit seiner Leserin im orientalischen Gewand (1748/52) und Adolf Menzel mit seinem Lesenden Mann: versunken offenbar nicht in einen Roman, vielleicht eher in seine Kontoauszüge.
Max Liebermann kann sich gar nicht genug tun mit dem impressionistischen Zauber einer Ruhenden, lesenden Frau (1897) und all ihren weißen Rüschen und Volants, ihrem verträumten Blick über die Seiten, deren Inhalt wahrscheinlich genau zu dieser Umgebung passt. Exakt so wie bei Pierre-Auguste Renoirs in sommerlichen Farben überbordenden, leuchtenden, lesenden Mädchen.
Man muss sich geradezu losreißen von den Fotos aus den Tempeln stillen, konzentrierten Lesens, die das Erdgeschoss zeigt, von den Lesesälen in Dublin mit hochgeklappten Lesepulten. Dann geht es zu einem der zentralen Bilder dieser inhaltsgesättigten Ausstellung: Pablo Picassos Die Lektüre. Dem hat die Kuratorin und Museumsleiterin Cathrin Klingsöhr-Leroy etwas Poetisches zum Lesen an die Seite gestellt: Rainer Maria Rilkes Vorstellung vom „schnellen Wenden aller Seiten“. Picassos doppelgesichtiges Gemälde, das Francoise Gillot beim Lesen zeigt, macht dessen zwei Bewusstseinsebenen deutlich. Aber auch, dass der Maler eigentlich geradezu indiskret in die hermetisch abgeschlossene Welt des Lesenden eindringt, in die sich seine Geliebte zurückgezogen hat.

Vom Texteschreiben

Die Berliner Nationalgalerie gehört damit zu den vielen prominenten Leihgebern dieser Schau. In der sieht man auch mit großem intellektuellen Vergnügen Lovis Corinths Zeitungsleser – kaffeeumrührend. Und die paar Bücher liegen nur als Staffage herum. Die sind bei Frauen und Mädchen sowieso besser aufgehoben: in blühenden Gärten (Nolde), auf grünen Voralpenwiesen und mit dekorativen Hüten (Franz Marc) sowie in verschiedenen Intensitätsgraden des Lesens.
Immer wieder fragt die Ausstellung auch, wie Texte zum Lesen überhaupt zustande kommen: fragt mit Dichtern wie Marcel Proust oder Rilke, aber auch mit Malern wie Paul Klee und Cy Twombly, deren einzelne Buchstaben man erst zusammensetzen, verdichten muss, um lesen zu können.
Was all die Lesenden da in Händen halten, ist eher nebensächlich: bei Renoir vielleicht ein Poesiealbum, bei Erich Heckel unter einer flauschigen roten Decke etwas Erotisches – egal, die Ausstellung in Kochel ist das Schönste, was man derzeit im Blauen-Reiter-Land sehen und lesen kann. (Uwe Mitsching)

Information: Bis 23. September. Franz Marc Museum, Franz Marc Park, 82431 Kochel. Di. bis So. 10-18 Uhr.

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