Kultur

Das narzisstische Ich rückt zunehmend in den Mittelpunkt – auf den glitzernden Buchstaben tanzen Kaspar und die Einsager herum (Janning Kahnert, Maximilian Pulst, Felix Mühlen). (Foto: Konrad Fersterer)

06.12.2019

Virtuose Sprechoper

Das Staatsschauspiel Nürnberg bringt Peter Handkes „Kaspar“ als Satyrspiel auf die Bühne

Der FC Nürnberg, schlicht „der Club“, spielte blamabel 0:2 gegen Schlusslicht Wiesbaden – am gleichen Abend erinnerte aber das Staatstheater Nürnberg auf dem Eisernen Vorhang im Schauspielhaus tapfer an die Club-Aufstellung vom 27. Januar 1968, die dem Nobelpreisträger Peter Handke damals eine Art Gedicht wert war (Angst des Tormanns beim Elfmeter). Im gleichen Jahr wurde auch Handkes Kaspar uraufgeführt. Der beginnt mit dem Hinweis, dass nicht gezeigt wird, wie es mit Kaspar Hauser wirklich war, sondern „was möglich ist mit jemandem.“ Zu Beginn steht auch der – allerdings abgewandelte – Satz, den Kaspar, das 1828 in Nürnberg aufgetauchte Findelkind, sagen konnte: „Ich möcht ein solcher werden, wie einmal ein anderer gewesen ist.“

Schauspielchef Jan Philipp Gloger hat in der Wiederauflage seiner Mainzer Inszenierung von 2013 aus dem Text mit seinen 65 Stationen eine virtuose Sprach- und Sprechoper gemacht: über Spracherwerb, Wahrheit und Veränderung, Anpassung durch Sprache und eine Menge philosophischer Erkenntnisfragen.

Aus Kaspar wird Handke

Die peniblen, seitenlangen, bis zu den sieben Metallknöpfen an Kaspars Jacke sich versteigenden Anweisungen Handkes waren ihm dabei ziemlich egal. Denn inzwischen ist Handke Nobelpreisträger, und irgendwie musste ja wohl auch seine Haltung zum Jugoslawien-Krieg thematisiert werden, wollte man nicht nur in der 68er-Jahre-Textmasse versinken. Handke hatte in Kaspar ohnehin eine detailliert beschriebene Pause vorgesehen, Gloger macht in seiner 90-Minuten-Aufführung ein Handke-Satyrspiel daraus, zeigt ihn zwischen „Klarsichtigkeit und Narzissmus“ (Gloger) und referiert unreflektiert die Mainstream-Meinung, die Handke derzeit um die Ohren geklatscht wird.

Da hat sich der klobige Kaspar von Felix Mühlen in Handke verwandelt, der stolz seine Bücher signiert und es zu einer Brille gebracht hat. Statt eine Stellungnahme zu Serbien abzugeben, erzählt er artistisch von der ersten Benutzung einer Parkuhr bei den Bayreuther Festspielen: Selbstbespiegelung bis zur boshaften Karikatur. Das narzisstische „Ich“ rückt immer mehr in den Mittelpunkt der Aufführung, steht in riesigen, silbern glänzenden Lettern auf der Bühne, auf denen Kaspar und die „Einsager“ in Scheinwerferspots herumturnen, als wäre Kaspar Heidi Klums „Next Topmodel“, das zugeben muss: „Ich weiß die Wahrheit nicht.“ Auch die beiden „Einsager“ oder Handke-Klons, in die Janning Kahnert und mit besonderer Virtuosität Maximilian Pulst all ihre schnellzüngige Eloquenz investieren, begnügen sich mit Plattitüden wie: „Jeder muss seinen Mann stehen.“

Kaspar will Mitglied der Gesellschaft sein: Bis hin zu Schlips und synchronen Bewegungen, wird er zum funktionierenden Sprachhülsenbenutzer. Am besten soll das Publikum auch noch rhythmisch dazu klatschen.

Gegen Ende wird noch einmal Glogers Geschick spürbar mit der Umwandlung des langen Monologs „Weil der Schnee weiß gewesen ist“ in einen flotten Gesprächs-Dreier – danach etwas beiläufig ab ins dunkle Proszenium, während das große Ich immer noch durchs Dunkel glitzert.
Zu Recht holte man offenbar auch die Souffleuse Mariana Schütz zum Schlussapplaus mit auf die Bühne. (Uwe Mitsching)

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