Kultur

Der kleine Astyanax (Lenni Kaniewski) klammert sich an seine Mutter Hekabe (Annette Büschelberger), doch am Ende wird er von den Mauern gestürzt. Im Vordergrund Julia Bartolome als Andromache und Sascha Tuxhorn als Talthybios. (Foto: Petra Herrmann)

12.10.2018

Vom Unheil zerschmettert

„Die Troerinnen“ am Staatstheater Nürnberg: Ein zeitlos aktuelles Stück

Wie die Geschichte mit Menschen umgeht, ist brutal. Dass es die Menschen selbst sind, die diese Geschichte machen, ist noch brutaler. Da müssen sich sogar die Götter wundern: In der Bearbeitung der Troerinnen des Euripides durch Konstantin Küspert für das Staatstheater Nürnberg ist Poseidon, der Gott des Meeres, fassungslos: Schaut man nur mal kurz weg, hat sich schon wieder ein Haufen Leute gegenseitig niedergemetzelt. Diesen Poseidon-Monolog hat Küspert seiner Neuübersetzung vorangestellt, die ohne Chor auskommt und sprachlich ganz im Gegenwärtigen liegt. Das Stück ist thematisch ohnehin dauerhaft aktuell, weil Die Troerinnen – wie so viele altgriechische Stücke – moralische Grundfragen des Menschseins verhandelt.

Rache an Überlebenden

Damals, als Euripides das Stück dem Volk Athens vorstellte, mutmaßlich im Jahr 415 vor Christus, trommelte man gerade für einen neuen Krieg gegen Sparta – der für die Athener übel ausging. Euripides hatte seine Mitbürger mit seinem Antikriegsstück der Troerinnen explizit gewarnt: Krieg ist immer für alle Seiten von Übel. Das zeigt, wie politisch Theater immer schon war: In diesem Fall Propaganda gegen die Kriegstreiber. Sobald einmal Hass und Feindschaft in der Welt sind, folgt automatisch Grausamkeit. Die griechischen Gewinner des Trojanischen Krieges, die eine Unzahl Kämpfer verloren haben, rächen sich übelst an den überlebenden Frauen und Kindern und verlieren auch noch ihre Seelen.
In Nürnberg kommt der Stoff so überzeugend massiv daher, wie es die Monstrosität der Handlung verlangt. Ausstatterin Marie Roth hat eine voluminöse Rampe auf die Bühne gestellt, die sich nach rechts oben verjüngt, dorthin, wo der Eingang zum jetzt zerstörten Troja ist und woher alles Unglück kommt. Auf diese Rampe wird Bewegung projiziert, subkutan wirkende Musik unterstützt die Härte der Handlung: Die Männer sind abgeschlachtet, die Frauen werden versklavt, der Enkel des gestürzten Königs – ein Kind – wird von der Festungsmauer gestürzt. Euripides konzentriert sich auf das Leid, das Krieg mit sich bringt. Küspert folgt ihm darin, übersetzt die klassischen Verse in bissige und zubeißende Sprache.
Schauspieldirektor und Regisseur Jan Philipp Gloger hat mit dieser Inszenierung seine frühere vom Badischen Landestheater Karlsruhe übernommen und mit neuen Spielern bestückt. Ihre Kleidung ist Abendgarderobe. Die Spieler plumpsen nach dem Empfang ihres Geschicks einfach von der Rampe. Die Schauspielerin Annette Büschelberger spielt wie schon in Karlsruhe die Hauptrolle: die der Königin Hekabe, die nun dem Odysseus als Dienerin zugesagt wird. Zunächst noch ganz Aristokratin, bricht sie allmählich zusammen unter der Last des Geschicks, das ihr und ihrer Familie beschieden ist.

Geschmeidiger Gott

Die Spieler zeigen, wie durch ein Zusammenwirken aller Grausamkeit entstehen kann, die weit über das hinausgeht, was ein Einzelner anstiften könnte. Sascha Tuxhorn wird als Unglücksbote Talthybios immer mehr zerschmettert von dem Unheil, das andere befohlen haben und das er umsetzen muss – er tut es trotzdem. Thomas Nunner ist als König Menelaos, dessen Frau Helena der eigentliche Kriegsgrund war, weil sie sich vom Trojaner Paris entführen ließ, blind vor Rachedurst. Michael Hochstrasser ist ein Poseidon, dessen Göttlichkeit in seiner geschmeidigen Eleganz liegt.
Ausbaden müssen die ganze Chose die Frauen. Julia Bartolome ist eine herbe, bitter-wütende Andromache, die miterleben muss, wie ihr Sohn hingerichtet wird. Pauline Kästner ist die Seherin Kassandra, auf die niemand hören mochte und die schließlich mit Lust am Untergang umhergeht. Lisa Mies ist eine Helena, die alle ihre Reize und Rhetorik einsetzt, um aus dieser Nummer irgendwie heil rauszukommen. Schicksal ist menschgemacht. Denn sonst müssten die Götter ja verrückt sein. (Christian Muggenthaler)

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