Landtag

Am 19. Dezember demonstrierten in Nürnberg 10 000 Menschen gegen die Corona-Maßnahmen. (Foto: dpa)

28.01.2022

Aufstand des bürgerlichen Milieus

Laut bayerischem Verfassungsschutz sind lediglich bei 6,7 Prozent der Proteste gegen Corona-Maßnahmen Extremist*innen unter den Demonstrierenden

Oft wird im Zusammenhang mit Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen über Extremisten und Gewalt berichtet. Im Ausschuss für Innere Sicherheit zeigt sich ein anderes Bild: Laut Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sind die meisten Versammlungen friedlich und die Demonstrierenden aus dem bürgerlichen Milieu.

Seit November 2021 stieg die Zahl der Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen in ganz Deutschland exponentiell an. Allein am Montag dieser Woche hätten in Bayern 160 Protestaktionen stattgefunden, berichtete Innenminister Joachim Herrmann (CSU) dem Ausschuss für Innere Sicherheit im Landtag. „Neben den Verschärfungen der Infektionsschutzbestimmungen mobilisiert vor allem die mögliche Einführung einer Impfpflicht die Menschen massiv.“ Dagegen auf die Straße zu gehen sei das verfassungsrechtlich garantierte Recht der Bürgerinnen und Bürger. Allerdings gibt es laut Herrmann klare Regeln. So müssten Demonstrationen vorher angemeldet werden. Was allerdings nicht bedeute, dass unangemeldete Versammlungen automatisch immer unzulässig seien.

Ein neues Phänomen sind laut Herrmann die sogenannten Corona-Spaziergänge, zu denen sich teilweise mehrere Hundert Menschen spontan über die sozialen Medien verabreden würden. Dies seien auch politische Versammlungen – egal, wie es die Betroffenen deklarieren. Das sehe auch das Bundesverfassungsgericht so. „Dabei werden oftmals Corona-Regeln wie Mindestabstände oder die Maskenpflicht missachtet und es wird Einsatzkräften gegenüber sehr aggressiv aufgetreten“, sagte Herrmann. Betroffen seien besonders München und Schweinfurt. Kommunen könnten in solchen Fällen mit einer Allgemeinverfügung Einschränkungen bei Ort, Zeit oder Teilnehmerobergrenzen erlassen. Dies sei aber nur möglich, wenn konkrete Gefahr drohe. 

Die meisten Veranstalter verhalten sich laut dem Innenminister gesetzeskonform. So sei es auch bei der Demonstration mit 10 000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern am Dezember in Nürnberg gewesen. „In der Regel finden sie einvernehmliche Lösungen mit Polizei und Kommunen.“ Das Teilnehmerfeld sei überwiegend aus dem bürgerlichen Milieu und friedlich. Eine Sonderauswertung des bayerischen Verfassungsschutzes von 1011 Veranstaltungen mit Corona-Bezug zeige, dass „vergleichsweise wenig“ Extremisten beteiligt waren. Lediglich bei 6,7 Prozent der Demonstrationen seien Rechtsextremisten, Reichsbürger, Selbstverwalter oder Personen mit demokratiefeindlichen Bestrebungen gesichtet worden. Besonders aktiv sei der III. Weg, aber auch eine neue Gruppierung aus Nordbayern. 

Eine Prognose über die zukünftige Entwicklung der Demonstrationen wollte Innenminister Herrmann nicht abgeben. Das hänge von der Entwicklung der Impfpflicht ab. Aktuell hätten sich die Proteste auf einem hohen Niveau verstetigt. „Bei einer Einführung ist aber durchaus eine Steigerung zu erwarten“, sagte er. Polizei und Verfassungsschutz würden sich auf alle denkbaren Maßnahmen vorbereiten. Allerdings räumte er ein, dass die Sicherung der Versammlungen ein „gigantischer Personalaufwand“ sei. Es hätten zwischen den Jahren sogar schon Polizeibeamt*innen aus dem Weihnachtsurlaub zurückgerufen werden müssen. 

Grünen-Chefin Katharina Schulze betonte in der anschließenden Aussprache das hohe Gut der Versammlungsfreiheit. Teile der Szene würden sich aber radikalisieren. Schulze warf Herrmann vor, diese Tatsache zu lange ignoriert zu haben, obwohl sie seit Mai 2020 bekannt sei.

FDP: „Dass Spaziergänge wegen mancher Exzesse in Misskredit geraten sind, ist auch für die, die sich friedlich versammeln wollen, ein Problem.“

Stefan Schuster (SPD) befürchtet, dass kleinere Kommunen bei der Allgemeinverfügung überfordert seien. Nicht nur in Erding würden Kommunen unangemeldete Spaziergänge von Kritikerinnen und Kritikern gewähren lassen, während die angemeldeten Gegenveranstaltungen ausweichen müssen.

Alfred Grob (CSU) berichtete, dass es in vielen kleinen bayerischen Städten mehrmals pro Woche zu unangemeldeten Spaziergängen mit über 1000 Demonstrierenden käme. „In der überwiegenden Zahl sind diese ohne Beanstandung verlaufen.“ Solche Proteste müsse eine wehrhafte Demokratie aushalten. Die Grenze sei erreicht, wenn Kinder als Schutzschilde missbraucht würden.

Richard Graupner (AfD) mahnte bei den Allgemeinverfügungen zu mehr Augenmaß, um das Versammlungsrecht weiterhin zu gewährleisten. Die meisten Demonstranten seien gewöhnliche Menschen aus dem Einzelhandel, der Pflege oder der Kultur, Ausschreitungen nannte er „Einzelfälle“.

Alexander Muthmann (FDP) appellierte an die Veranstalter, sich an die Spielregeln der Demokratie zu halten. „Dass Spaziergänge wegen mancher Exzesse in Misskredit geraten sind, ist auch für die, die sich friedlich versammeln wollen, ein Problem.“
„Die Zahlen zeigen, dass die meisten Versammlungen friedlich verlaufen“, resümierte Wolfgang Hauber (Freie Wähler). Er schlug vor, die Personen, die zu nicht angemeldeten Versammlungen aufrufen, offiziell als Ansprechpartner zu werten.

(David Lohmann)

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