Landtag

Simone Strohmayr, frauenpolitische Sprecherin der Landtags-SPD, hier im Plenum des Landtags. (Foto: dpa/Peter Kneffel)

08.03.2024

"Das Parlament ist so testosterongesteuert wie nie"

Interview zum Internationalen Frauentag: SPD-Vizefraktionschefin Simone Strohmayr über Gleichberechtigungsdefizite im Landtag

BSZ: Frau Strohmayr, gemäß Grundgesetz und bayerischer Verfassung sind Frauen und Männer gleichberechtigt. Provokant gefragt: Wo liegt das Problem?
Simone Strohmayr: Ich bin jetzt seit 2003 im Bayerischen Landtag und muss leider feststellen, dass sich seitdem in Sachen Gleichberechtigung nicht viel geändert hat in Bayern. In manchen Bereichen hat es sogar eine Rolle rückwärts gegeben, wenn ich nur daran denke, wie viele Frauen dem Parlament überhaupt angehören. Da lagen wir schon mal besser.

BSZ: Auf einer Skala von 1 bis 10: Wo liegt Bayern aus Ihrer Sicht beim Thema Gleichberechtigung?
Strohmayr: Eher im unteren Bereich. Vielleicht 4.

BSZ: Oh, das ist aber nur knapp über Saudi-Arabien oder Afghanistan!
Strohmayr: Nein, wenn man es weltweit betrachtet, ist bei uns natürlich viel passiert. Ich habe die deutschen Bundesländer als Vergleichsmaßstab herangezogen. Da hinkt Bayern hinterher und ist in vielem auf dem Stand der 70er- und 80er-Jahre stehen geblieben. Bei den Einkommensunterschieden zwischen Männern und Frauen ist Bayern zum Beispiel Zweitletzter. Brandenburg hat ein Gender-Pay-Gap von 4 Prozent, bei uns sind es 21. In Bayern arbeiten traditionell weniger Frauen in gut bezahlten technischen Berufen, dafür viele in Teilzeit oder schlechter bezahlter Care-Arbeit.

BSZ: Plädieren Sie für Gleichberechtigung, also gleiche Chancen und gleichen Zugang für alle, oder Gleichstellung, also 50/50-Teilhabe in allen Bereichen?
Strohmayr: Das kommt auf die genaue Definition an. Ich glaube, die Gesellschaft würde besser funktionieren, wenn es auf allen Feldern mehr Gleichberechtigung gäbe. Die ehrenamtliche Sorge- und Pflegearbeit in den Familien leisten immer noch überwiegend die Frauen, genauso sieht es in den Erziehungs- und Pflegeberufen aus. Das verfestigt die ungleiche Verteilung von Einkommen zwischen den Geschlechtern. Würde das gerechter verteilt, würden auch die Männer davon profitieren, zum Beispiel dadurch, dass sie nicht mehr die finanzielle Hauptverantwortung für die Familien haben. Wenn wir da nichts ändern, wird auch das Problem der Altersarmut bei Frauen immer weiter tradiert. Ich plädiere deshalb für die Einführung getrennter Rentenkonten auch in Alleinverdienerehen. Damit jeder Partner von Anfang an sieht, wie er oder sie im Alter abgesichert wäre. Das würde sehr zur Bewusstseinsbildung für die Bedeutung von Gleichberechtigung beitragen.

BSZ: Welche Felder sehen Sie noch?
Strohmayr: Ich will versuchen, meinen Standpunkt an drei Beispielen zu verdeutlichen. Beim Anteil der Frauen im Landtag liegen wir in Bayern bei nicht einmal mehr 25 Prozent. Wissenschaftliche Studien belegen, dass eine Gruppe erst ab einem Anteil von 30 Prozent in den für sie relevanten Gremien die Chance hat, ihre Interessen wirkungsvoll durchzusetzen. Deshalb muss sich in der Frage der Parité im Landtag dringend etwas tun.

"Ich plädiere für die Einführung getrennter Rentenkonten auch in Alleinverdienerehen"

BSZ: Vor Verfassungsgerichten ist eine gesetzliche Regelung zur Gewährleistung eines paritätisch mit Männern und Frauen besetzten Parlaments bislang gescheitert. Wollen Sie trotzdem dranbleiben?
Strohmayr: Auf alle Fälle. Es sind zu der Thematik auch aktuell mehrere Gutachten in Arbeit. Rechtsprechung ist nicht in Stein gemeißelt, sie kann sich auch verändern. Letztlich ist es eine Abwägung, was als wichtiger bewertet wird: die Freiheit der Parteien, ihre Kandidatenlisten nach eigenen Vorstellungen aufzustellen, oder das Recht der Frauen, in den Parlamenten zahlenmäßig genauso vertreten zu sein wie Männer. An dieser Frage müssen wir Frauen weiter arbeiten.

BSZ: Offenbar ist den Wählerinnen und Wählern diese Frage gar nicht so wichtig. Bei der Landtagswahl haben mit SPD und Grünen genau die Parteien verloren, die paritätische Listen aufgestellt haben.
Strohmayr: Ich denke, das ist eine Folge des allgemeinen Rechtsrucks in unserer Gesellschaft. Man muss den Menschen klarmachen, dass dieser mit Rückschritten bei der Gleichstellung verbunden ist. Ungeachtet dessen ist es so, dass SPD und Grüne überdurchschnittlich stark von Frauen gewählt werden. Viele Frauen achten also darauf, aber eben nicht alle. Und die konservativen Parteien wie CSU und Freie Wähler sind in der Pflicht, der gerechten Repräsentanz von Frauen mehr Beachtung zu schenken.

BSZ: Sie sprachen von drei Themenbereichen. Welche neben der Parität sind das?
Strohmayr: Das eine ist das Bayerische Gleichstellungsgesetz. Das ist jetzt bald 30 Jahre alt und erweist sich mehr und mehr als zahnloser Tiger. Da ist eine Reform überfällig. Zentraler Punkt ist für mich die Verbesserung der Position der Gleichstellungsbeauftragten. Die müssen die Zeit und den Einfluss bekommen, dass zum Beispiel bei Einstellungsgesprächen Frauen bei gleicher Eignung öfter zum Zug kommen, mehr in Führungspositionen gelangen. Wenn niemand auf solche Aspekte achtet, passiert oft auch nichts. Gleichstellungsbeauftragte sollen auch – und das ist auch gleich mein dritter Punkt – Präventionsarbeit bei Gewalt gegen Frauen leisten. Auch dafür brauchen sie eine starke Stellung.

BSZ: Beim Thema Gewalt gegen Frauen setzen Sie sich für mehr Plätze in Frauenhäusern ein. Wie groß ist da das Defizit?
Strohmayr: In Bayern drehen sich die Räder leider sehr langsam. Die zur Verfügung stehenden Plätze und Beratungsangebote reichen bei Weitem nicht aus. Unsere Forderung ist mindestens ein Frauenhaus in jedem Landkreis. 2019 gab es ein Programm zum Bau von immerhin 100 zusätzlichen Plätzen, aber selbst das ist noch lange nicht umgesetzt. Erschwerend kommt der überlastete Wohnungsmarkt dazu. Viele Frauen finden keine eigene Wohnung, um einen Platz im Frauenhaus wieder frei machen zu können. Auch hier muss dringend gehandelt werden.

BSZ: Es verstärkt sich der Eindruck, dass auch der Ton gegenüber Frauen rauer und verachtender wird. Stellen Sie das auch fest?
Strohmayr: Absolut. Man sieht das schon im Landtag. Das Parlament ist so testosterongesteuert wie noch nie, seit ich 2003 in den Landtag gekommen bin. Auch das hat mit dem Rechtsruck zu tun. Aber auch bei Posts im Netz ist es fast schon Normalität, dass man wüst beschimpft wird, wenn es um Frauenthemen geht.

BSZ: Was kann man dagegen tun?
Strohmayr: Wir müssen mehr in die Prävention investieren und die Probleme klar benennen. Durch die Stärkung der Gleichstellungsbeauftragten, durch Fortbildungen und Workshops für Berufsgruppen, zu deren Aufgaben Gewaltprävention gehört, kann man einiges erreichen. Länder im Norden Deutschlands machen uns das mit einigem Erfolg vor.

BSZ: Aber erreicht man damit auch die schlimmen Hetzer?
Strohmayr: Wenn man dafür breites Bewusstsein weckt, dann schon. Wir müssen endlich auch die Istanbul-Konvention des Europarats zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen bekannter machen und in Bayern eins zu eins umsetzen. Dazu gehört zum Beispiel die Einrichtung des Betroffenenbeirats in Sachen häuslicher Gewalt auf Landesebene.

BSZ: Wenn Sie zum Weltfrauentag einen Wunsch frei hätten – welcher wäre das?
Strohmayr: Mehr Frauen in die Parlamente! Das ist nach meiner Erfahrung der Dreh- und Angelpunkt, um bei Frauenfragen weiter voranzukommen. (Interview: Jürgen Umlauft)

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