Landtag

26.10.2012

"Den Menschen zutrauen, dass sie Demokratie wollen"

Fachgespräch: „Was wird aus Afghanistan?“ diskutierten Experten im bayerischen Landtag

Die 15-jährige Malala Yousafzai ist von Taliban vor wenigen Wochen angeschossen worden, weil sie zuvor vor laufenden Kameras Bildung für afghanische Frauen gefordert hatte. Ein paar Tage später verfolgten 5000 Menschen das erste Finale der neuen Fußballliga in Kabul. Eine symbolträchtige Veranstaltung, hatten doch die Taliban dieses Ballspiel während ihrer Herrschaft verboten. Gegensätzliche Nachrichten wie diese, die bei westlichen Lesern und Zuschauern Entsetzen respektive Freude auslösen, dominieren die Berichte über den Hindukusch.
Dass es im Leben der Afghanen selber viel mehr und vor allem komplexe, ambivalente Facetten gibt, das skizzierten die Teilnehmer an der Veranstaltung „Der Landtag im Gespräch mit“: Susanne Koelbl, Spiegel-Redakteurin (siehe Infokasten), Philip Ackermann, Leiter des Arbeitsstabs Afghanistan-Pakistan im Auswärtigen Amt, und Thomas Ruttig, Co-Direktor des Afghanistan Analysts Network (AAN), erörterten die Frage „Was wird aus Afghanistan?“ Darauf konnte keiner der Teilnehmer antworten – so sehr BR-Moderator Franz Bumeder auch nachhakte.

"Es gibt wahrscheinlich mehr normales als unnormales Leben in Afghanistan"

Der Erkenntnisgewinn der Veranstaltung, zu der Landtagspräsidentin Barbara Stamm (CSU) eingeladen hatte, lag für Außenstehende sowieso woanders: Afghanistan hat schon lange bevor sich ausländische Mächte wie die USA und die ehemalige Sowjetunion in seine Innenpolitik einmischten, existiert. Aus dieser Zeit bestehen Strukturen, die die internationale Staatengemeinschaft weitgehend ignoriert. Beispielsweise, dass es Bürger gibt, die weder Taliban- noch Karsai-Anhänger sind. Und dass deren Vertreter bei wegweisenden Maßnahmen wie dem angestrebten Versöhnungsdialog intensiver beteiligt werden müssten.
Ruttig war es auch, der eine differenzierte Sichtweise in die Diskussion einbrachte und die „westliche Brille“ der beiden anderen Diskutanten wohltuend korrigierte. Das tat er indirekt mit Sätzen wie: „Es gibt wahrscheinlich mehr normales als unnormales Leben, auch wenn es nicht gut ist.“
Ackermann dagegen stellt die zumindest teilweise bevormundende Haltung des Westens nicht in Frage: „Die Wahlen im Jahr 2014 werden ein Meilenstein in der Entwicklung Afghanistans sein. Wir müssen dahin kommen, dass die Afghanen ihre Wahlen fair und frei abhalten“, sagte er. Auch Koelbl setzt auf den bevorstehenden Urnengang: „Wenn die Wahl nicht gelingt, dann ist das das Rezept für Desaster und Bürgerkrieg.“ Ähnlich wie Ackermann bemühte auch die Journalistin mehrfach die Wendung „Wir müssen den Afghanen...“, wenn es um die Rolle der internationalen Staatengemeinschaft ging. „Wir müssen den Versöhnungsprozess vorantreiben, damit er greifbar wird“, sagte sie beispielsweise. Wer die Stimmungslage in europäischen Ländern miterlebt, die ehemals Diktaturen waren – wie Portugal, Griechenland und die ehemalige DDR miterlebt – weiß, dass dies ein langwieriger Prozess ist, der durch Druck gehemmt wird – besonders wenn dieser von außen kommt.
Ruttig wiederum schränkte den Part des Westens ein und rückte das afghanische Volk in den Mittelpunkt: „Lasst uns den Menschen zutrauen, dass sie demokratische Verhältnisse wollen.“ Das könne man im Übrigen aus dem Afghanistan-Einsatz für zukünftige Interventionen in anderen Staaten lernen: „Das sind keine Länder, die aus dem Nichts kommen. Deshalb sollte man nicht dahin gehen und den Völkern sagen, wo es langgeht.“ Auch seine Einschätzung, wie Afghanistans Nachbarn die Situation bewerten, war erhellend relativierend. Manche westliche Experten – darunter Ackermann – erwarten von ihnen Einfluss auf die Regierung in Kabul. Die hätten drängendere bilaterale Sorgen, analysiert dagegen Ruttig: „Pakistan beispielsweise mit Indien. Für die Anrainer-Staaten sind die Probleme in Afghanistan Peanuts.“ (Alexandra Kournioti)

INFO

Susanne Koelbl ist nicht nur die Afghanistan-Expertin des Nachrichtenmagazins Der Spiegel, sondern sie gilt auch als eine der führenden Berichterstatterinnen vom Hindukusch deutschlandweit. Sie betrachtet die Wahlen, die 2014 in Afghanistan stattfinden sollen, als wegweisend für die Zukunft des Landes.
Philip Ackermann leitet den Arbeitsstab Afghanistan-Pakistan im Auswärtigen Amt. Er ist aber nicht wie viele seiner Kollegen Jurist, sondern hat Kunstgeschichte und Wirtschaftswissenschaften studiert. Wie Koelbl hängt auch aus Ackermanns Sicht die Entwicklung am Hindukusch davon ab, ob die Wahlen 2014 demokratisch abgehalten werden können oder nicht.
Thomas Ruttig firmiert als Co-Direktor des Afghanistan Analysts Network (AAN). Bei „Der Landtag im Gespräch mit...“ demonstrierte er, was die Mitglieder eines sogenannten think tank im besten Fall leisten können: eine differenzierte und anschauliche Bewertung komplexer Vorgänge. Ruttig bezeichnet es als Wunschdenken, dass der bevorstehende Urnengang in Afghanisten fair und frei verlaufen wird.
Franz Bumeder kennen BR-Hörer von der Sendung B 5 Aktuell. Im Maximilianeum bewies er, was viele seiner bekannten TV-Kollegen in ihren Talkshows vermissen lassen: Hartnäckigkeit. Der Redaktionsleiter hakte bei vagen Antworten der Diskussionsteilnehmer auch dann noch nach, wenn diese leicht gereizt reagierten. Beispielsweise bei der Frage nach der Bedeutung der nächsten Wahlen in Afghanistan, ließ er nicht locker, bis sich alle eindeutig positioniert hatten. (Aki)

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