Landtag

Im Herzen Münchens wird wohl noch deutlich länger gebaut als geplant. (Foto: dpa/Peter Kneffel)

15.07.2022

"Die Probleme sind nicht über Nacht entstanden"

Die zweite Münchner Stammstrecke wird deutlich später fertig und doppelt so teuer wie geplant

Wer trägt die Verantwortung für die Verzögerungen und Kostensteigerungen beim Bau der zweiten Münchner Bahn-Stammstrecke? In den Augen der Opposition die Staatsregierung. Die wiederum verweist auf Bund und Bahn. Die will’s aber auch nicht sein und gibt dem „äußerst komplexen“ Projekt die Schuld.

Die Inbetriebnahme der zweiten S-Bahn-Stammstrecke in München wird sich voraussichtlich um zehn Jahre bis 2037 verzögern, die Baukosten könnten sich auf 7,2 Milliarden Euro verdoppeln. Das ist das Ergebnis einer Prüfung durch die unabhängige Baubegleitung im bayerischen Verkehrsministerium, die Bauminister Christian Bernreiter (CSU) dem Verkehrsausschuss vorlegte. „Leider verschiebt sich dieses Verkehrsprojekt und wird deutlich teurer“, stellte Bernreiter fest. Wie valide die Zahlen sind, ist allerdings noch offen, da die Deutsche Bahn als Bauherr erst Anfang Oktober eine neue konkrete Kosten- und Terminschätzung vorlegen will.

Im Grunde bestätigte im Ausschuss aber der Bahn-Konzernbevollmächtigte für Bayern, Klaus-Dieter Josel, Verzögerungen und Kostensteigerungen. Als Hauptgrund nannte er die „äußerst komplexe Realisierung“ des Projekts. Zum einen verwies er auf die beengten Platzverhältnisse in der Münchner Innenstadt, zum anderen sei noch nie so tief im Untergrund der Landeshauptstadt gebaut worden. „Wir leisten hier Pionierarbeit“, sagte Josel. Die Bahn überprüfe nun die Kosten- und Terminschätzung auf der Basis der aktuellen Entwicklungen, zu denen neben den stark steigenden Baupreisen auch von Bahn, Land und Stadt gewünschte Projekterweiterungen gehörten. „Wir legen großen Wert auf einen realistischen Zeit- und Kostenplan, der belastbar ist“, betonte er.

Laut Bernreiter geht es in den kommenden Wochen darum, das für die Metropolregion München bedeutende Projekt zur Entlastung des 50 Jahre alten S-Bahn-Netzes „wieder ordentlich aufs Gleis zu bringen“. Nach einem von Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) abgesagten Spitzentreffen am 30. Juni sollen nun Ende Juli neue Gespräche geführt werden. Nach Bernreiters Angaben stammen die Zahlen der Projektgruppe seines Ministeriums aus dem November 2021. Er habe sie nach seiner Amtsübernahme im Februar wegen fehlender Bestätigungen seitens der Bahn nicht kommuniziert. Dies habe er erst getan, als in Medien darüber berichtet worden sei.

Von der Bahn forderte Bernreiter, in Sachen Kosten und Zeitplan „endlich Farbe zu bekennen“. Von der Bundesregierung erwarte er eine belastbare Finanzierungszusage für die Mehrkosten. Bislang hat sich der Bund dazu verpflichtet, 60 Prozent der förderfähigen Kosten zu übernehmen. Ob das auch im Falle immenser Kostensteigerungen gilt, ist unklar. Zudem müsse, so Bernreiter, auch die Stadt München klare Beschlüsse bezüglich ihrer ergänzenden Pläne im U-Bahn-Netz fassen. Der Freistaat stehe zu seinen Verpflichtungen. Einen Abbruch des Projekts lehnte Bernreiter ab. Dies würde wegen Rückbaumaßnahmen und Schadenersatzzahlungen rund zwei Milliarden Euro kosten. Mit der vom Freistaat bereits vorfinanzierten Milliarde wären das im Falle eines Baustopps „drei Milliarden Euro für nichts“, sagte Bernreiter.

Die Opposition übte harsche Kritik an der Informationspolitik des Ministers. Der Freistaat sei Projektträger der Maßnahme, deshalb könne Bernreiter die Verantwortung nicht auf den Bund und die Bahn abwälzen, meinte Markus Büchler (Grüne). „Die zweite Stammstrecke ist ein CSU-Projekt, das der Freistaat entgegen den Mahnungen vieler Fachleute durchgedrückt hat.“ Er warf dem Bauministerium vor, als Auftraggeber beim Controlling versagt zu haben. Dem schloss sich Sebastian Körber (FDP) an. Die 2019 eingerichtete Projektgruppe im Ministerium hätte regelmäßig über den Stand der Maßnahme informieren sollen, offenbar sei das nicht geschehen. Bernreiter habe sich in „billige Ausreden und Ablenkungsmanöver geflüchtet“. Körber befürchtete, dass die Mehrkosten Schienenprojekte in anderen Landesteilen ausbremsen werden.

Kohnen (SPD): "So etwas habe ich in 14 Jahren Parlament noch nicht erlebt"

Als „unerträglich“ bezeichnete Natascha Kohnen (SPD) die Ausführungen Bernreiters. Sie bezog sich dabei auf den Hinweis des Ministers, er sei erst seit Februar 2022 im Amt und habe deshalb keine Kenntnisse über vorher im Haus abgelaufene Vorgänge. „So funktioniert Politik nicht, so etwas habe ich in 14 Jahren Parlament noch nicht erlebt“, ereiferte sich Kohnen. Ihre Fraktionskollegin Inge Aures ergänzte, offenbar habe das CSU-Motto bei der Stammstrecke lange gelautet: „Nichts hören, nichts sehen – und bloß nicht nachfragen.“ Die Kostensteigerungen seien zweifellos „nicht über Nacht entstanden“. „So kann man mit dem wichtigsten Nahverkehrsprojekt Bayerns nicht umgehen“, erklärte Aures.

Franz Bergmüller (AfD) betonte, seine Fraktion stehe zur zweiten Stammstrecke, „doch leider ist bei diesem Projekt keine Transparenz gegeben“. Er forderte einen „genauen Bericht, wie es zu dieser Kostensteigerung gekommen ist“.

Jürgen Baumgärtner (CSU) nahm Bernreiter in Schutz. Er warf der Opposition eine „Hexenjagd“ vor, die tendenziöse Sitzungsleitung durch Ausschusschef Körber sei von „bodenloser Arroganz“ geprägt. Bernreiter sei der falsche Adressat für Kritik, da alle Fragen zu Kosten und Zeitrahmen nur die Bahn als Bauherr beantworten könne. Diese müsse nun „aufzeigen, was zu tun ist, damit das Projekt nicht gestoppt wird“. Ähnlich argumentierte Manfred Eibl (Freie Wähler). Er verortete bei der Bahn ein Problem beim Projekt-Controlling. Aufgedeckt habe die Kostensteigerungen und Verzögerungen schließlich das Bauministerium. (Jürgen Umlauft)

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