Trump und Brexit, Pegida und Populismus – angst und bange kann einem werden, denkt man an den Zustand der Demokratie in aller Welt. Es herrscht überall, also auch hier in Deutschland: „Handlungsbedarf“. Das ist Titel einer Veranstaltung der Akademie für politische Bildung im bayerischen Landtag. Es geht um die „Gestaltung der freiheitlichen Demokratie im 21. Jahrhundert“.
Was also tun in Politik und Gesellschaft? „Wir müssen wieder mehr Vertrauen schaffen“, sagt Gerhart Baum, von 1978 bis 1982 Bundesinnenminister und seit Jahrzehnten ein sozialliberaler Wortführer in Deutschland. „Die Demokratie hat in Krisen stets ungeahnte Kräfte entwickelt“, erklärt Baum, den Akademie-Direktorin Ursula Münch zum Vortrag gewinnen konnte. Baum kennt sich aus mit Krisen.
Den RAF-Terror erlebte FDP-Mann Baum als Staatssekretär im Kabinett Schmidt. Baum war immer ein großer Gegenspieler von Franz Josef Strauß, die Grabenkämpfe um die Ostpolitik focht Baum an der Seite von Scheel und Brandt aus. „Auch damals gab es Hass“, erinnert sich Baum. Dazu brauchte es kein Internet. Und dennoch hat sich vieles geändert: „Wir leben in unsicheren Zeiten“, sagt Baum. Im Oktober ist er 84 geworden. Ungebrochen, vital und optimistisch tritt er im gut gefüllten Senatssaal auf.
Unter den Zuhörern ist Parteifreundin und Ex-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Landtagsvizepräsidentin Inge Aures (SPD) oder Verfassungsgerichtshofs-Präsident Peter Küspert.
Den Wert der Währung Vertrauen erklärt Baum am historischen Beispiel. „In der Ostpolitik haben wir Vertrauen nach beiden Seiten gebildet. Dadurch kam es zur Abrüstung und schließlich zur deutschen Einheit.“ Eine Erfolgsgeschichte, nach der man sich sehnt in diesen Zeiten. „Der Traum von einem Zeitalter des Friedens nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion hat sich nicht erfüllt“, sagt Baum. Mit dem Kollaps der Finanzmärkte 2008 sei eine Zeitenwende eingetreten und ein großer Vertrauensbruch. Unter den Folgen leide man heute noch. „Viele Menschen verloren ihre Existenz, zugleich ging das Vertrauen in die Gestaltungsfähigkeit der Politik verloren.“ Die digitalen Veränderungen verstärken die Krise, Computer entscheiden auf dem Börsenparkett. In Zukunft wird „Software über Krieg und Frieden entscheiden“, zitiert Baum Henry Kissinger. Und dazu kommt das Internet als „Hassmaschine“. Die Rahmenbedingungen begünstigten „Rattenfänger und schreckliche Vereinfacher.“ Umfragen in Deutschland und US-Wahlergebnisse belegten eine verhängnisvolle „Sehnsucht nach dem starken Mann“. Baum sorgt sich um die grassierende „Politikerverachtung“. Es seien „nicht nur die Pegida-Pöbler vom Opernplatz“ in seiner Geburtsstadt Dresden, so Baum. „Es gibt eine zunehmende Verrohung von Teilen der Mittelschicht.“
Zu beobachten sei eine „zerstörerische Wirkung von Angst“, sagt Baum, Mitinhaber einer Anwaltskanzlei in Köln. Dabei werde zu wenig unterschieden: „Berechtigter Angst – beispielsweise vor Altersarmut – stehen ungerechtfertigte Ängste gegenüber.“ Wie in der Flüchtlingsfrage: „Weder der Islam noch Flüchtlinge sind eine Bedrohung“, glaubt Baum und zitiert Bert Brecht: „Flüchtlinge sind Boten des Unglücks.“ Lange, zu lange hätten die Deutschen geglaubt, das Unglück der Welt gehe sie nichts an. Weil sich diese Illusion nicht mehr aufrechterhalten lässt, tritt das demütigende Gefühl der Unsicherheit auf. Jetzt hätten wir die Verantwortung, die Fremden kennenzulernen. „Ich habe viel mehr Angst vor den Reaktionen auf Flüchtlinge als vor den Flüchtlingen selbst“, sagt Baum in der anschließenden Diskussion.
Professorin Münch will konkreter hören, was Politiker ändern müssen, um das Vertrauen der Bürger zurückzugewinnen. „Grosso modo werden wir gut regiert“, sagt Baum. „Wir leben in einer geglückten Demokratie wie nie zuvor in Deutschland.“ Allerdings sei der Eindruck, Politiker dächten in erster Linie an sich selbst, „ein schrecklicher Befund“. Diese Einschätzung entspreche nicht der Realität, „auch wenn sich die Parteien den Staat zum Teil zur Beute gemacht“ hätten. Vieles an „Ungerechtigkeiten“ werde der Politik in die Schuhe geschoben, sagt Baum und nennt die Boni für betrügerische oder unfähige Manager.
Dennoch müssten Politiker die Menschen ernster nehmen: „Prüfen wir uns selbst: Wie sehr haben wir uns um die Nöte der unteren Mittelschicht gekümmert?“ Und: „Wir dürfen nichts versprechen, was wir nicht halten können.“
Hoffen auf den Trump-Effekt
Zur Vertrauensbildung seien neue demokratische Elemente durchaus sinnvoll. So hätten die Vorwahlen, wie jetzt in Frankreich zur Präsidentschaft, ihren Reiz. Skeptischer ist er beim Thema direkte Demokratie. Auf kommunaler Ebene habe sie ihre Berechtigung: „Aber es gibt Situationen, in denen darf man die Gewählten nicht aus Ihrer Verantwortung entlassen.“ Bestes Beispiel sei der Brexit: „Das Volk hat gesprochen, die Antreiber sind weg, wen kann man jetzt zur Verantwortung ziehen?“, fragt Baum. „Nur in einer Demokratie kann man gewählte Politiker unblutig wieder loswerden.“
Es gebe keinen Grund, sich klein zu machen als Demokrat: „Wir haben die Krisen um den RAF-Terror bewältigt, ohne unsere Freiheit zu opfern“, sagt er: „Wir müssen Haltung zeigen und das Grundgesetz leben.“ Dann seien wir „weiter auf festem Boden“. Und das Beispiel Österreich zeige, dass Populismus kein Selbstläufer sei: „Ich hoffe auf den Trump-Effekt“, sagt Baum: „Manchmal müssen sich die Leute richtig erschrecken.“ (Matthias Maus)
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