BSZ: Frau Triebel, gut ein Drittel der frisch ausgebildeten Gymnasiallehrkräfte hat heuer die angebotene Stelle nicht angetreten, an anderen Schularten ist es ähnlich. Ist der Lehrkräftemangel in Bayern zum Teil hausgemacht?
Gabriele Triebel: Ja, hier steht die Söder-Regierung in der vollen Verantwortung. Sie muss endlich gezielte Maßnahmen umsetzen, um den Lehrerberuf attraktiver zu machen. Wir stehen in Zeiten des Fachkräftemangels mit unseren Schulen in direkter Konkurrenz zur freien Wirtschaft. Das hat das Kultusministerium noch nicht richtig auf dem Schirm. Die Zeit der Überversorgung ist aber längst vorbei!
BSZ: Hauptgrund für die Ablehnung der Stellen ist offenbar, dass die Schulbehörden eine möglichst wohnortnahe Anstellung nicht hinbekommen. Sind die Verteilregeln zu starr?
Triebel: Meine Erfahrungen bestätigen diese Einschätzung. Meine Fraktionskolleginnen und -kollegen haben heuer genauso wie ich viele Zuschriften von angehenden Lehrkräften erhalten, die genau solche Situationen schildern. Ein Beispiel: Eine junge Lehrerin aus Mittelfranken hat um wohnortnahen Einsatz gebeten, weil sie ihre pflegebedürftige Mutter betreuen muss und im Sportverein als Trainerin engagiert ist. Das Angebot des Kultusministeriums: ein Einsatzort in Schwaben. Einer anderen Lehrkraft hat das Kultusministerium am Telefon gesagt, sie habe jetzt genau 10 Minuten Zeit, ein Stellenangebot in einer anderen Ecke Bayerns anzunehmen oder nicht. Wenn nicht, würde sie in der Warteliste wieder nach unten rutschen. So kann man mit Menschen allgemein nicht umgehen, und in einer Situation mit Lehrermangel schon gar nicht.
BSZ: Was könnte man tun, um das seit Jahrzehnten leidige Versetzungsproblem von Junglehrkräften abzumildern?
Triebel: Wir Grüne plädieren seit Langem dafür, die Eigenverantwortung der Schulen zu stärken. Wir finden, Schulen sollten sich ihr Personal vorrangig selbst aussuchen können. An den beruflichen Schulen wird das teils bereits so gehandhabt. Die Schulen sollten sich bis zu einem jährlichen Stichtag selbst um ihr Personal kümmern, erst dann sollte das ministerielle Verteilsystem greifen, um Lücken zu schließen. Ich halte das für einen großen Schlüssel, um die Problematik zu entschärfen.
BSZ: Wohnortnahe Versetzungen würden damit wohl weniger, aber es gäbe sie weiter.
Triebel: Ja, aber auch das kann man besser managen. Wenn wirklich jemand an einen Standort versetzt werden muss, an den er oder sie eigentlich nicht will, dann könnte man das zeitlich befristen und mit einer Rückkehrgarantie versehen. Man könnte das auch mit einer Prämie versüßen, die es für manche Bereiche ja schon gibt.
BSZ: Besonders unbeliebt sind die Ballungsräume mit ihren hohen Mieten und Lebenshaltungskosten. Welche Anreize könnten da helfen?
Triebel: Es geht da ja hauptsächlich um den Ballungsraum München, in dem viele Lehrkräfte fehlen. Da könnte ich mir zum Beispiel einen finanziellen „München-Bonus“ vorstellen. Hilfreich wäre auch, Staatsbedienstetenwohnungen für Lehrkräfte zu öffnen. Und man muss die vor Ort vorhandenen Personalressourcen nutzen: Ich kenne den Fall eines Junglehrers aus München, der in der Stadt bleiben wollte und dann eine Stelle an der Grenze zu Niederbayern angeboten bekommen hat. Da fehlt mir jedes Verständnis.
BSZ: Ungeachtet dessen wird sich der Lehrkräftemangel laut Bedarfsprognose des Kultusministeriums weiter verschärfen. Wie könnte aus Ihrer Sicht gegengesteuert werden?
Triebel: Wir müssen – was wir schon seit Jahren fordern – die Arbeitsbedingungen für die Lehrkräfte verbessern. Diese müssen sich vor allem auf ihr Kerngeschäft, also das Unterrichten und die pädagogische Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen konzentrieren können. Sie brauchen endlich spürbare Entlastung von Verwaltungsaufgaben, mehr Unterstützung durch multiprofessionelle Teams. Was da bislang geschehen ist, ist leider nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Außerdem muss die Ausbildung modernisiert werden, vor allem das Referendariat. Das muss aus unserer Sicht strukturierter und modularer werden. Und es braucht die Trennung Beratung und Coaching auf der einen und Prüfung und Bewertung auf der anderen Seite. Weil bisher beides zumeist eine Person macht, fühlen sich viele angehende Lehrkräfte vom Wohlwollen ihrer Ausbilder abhängig und teils ausgeliefert. Nicht wenige springen deshalb ab.
BSZ: Wie stehen Sie zu dienstrechtlichen Maßnahmen wie der Einschränkung von Teilzeitmöglichkeiten?
Triebel: Es fehlen bis heute konkrete Daten, ob das 2020 umgesetzte Piazolo-Paket wirklich etwas gebracht hat. Da habe ich meine Zweifel. Ich habe letztes Jahr im Herbst durch eine Anfrage im Kultusministerium erfahren, dass sich seit 2020 die Zahl der teildienstunfähigen Lehrkräfte mehr als verdoppelt hat und der Anteil der dienstunfähigen Lehrkräfte um 36 Prozent gestiegen ist.
"Imm häufiger wird an den schönen Dingen gekürzt wird, die für das Schulleben und die Persönlichkeitsentwicklung wichtig sind"
BSZ: Vielerorts sind heute schon Quer- und Seiteneinsteiger ohne vollwertige Lehrerausbildung im Einsatz. Was halten Sie davon?
Triebel: Das ist eine Möglichkeit zur Bekämpfung des Personalmangels. Wir müssen dabei aber unbedingt darauf achten, dass die Qualität bei dieser Zusatzausbildung stimmt. Absolventen berichten mir unisono, dass sie sich eine engere Begleitung und eine insgesamt bessere Vorbereitung auf den Schuldienst gewünscht hätten. Diesen Menschen muss vor allem noch intensiver das pädagogische Rüstzeug mit auf den Weg gegeben werden.
BSZ: Sehen Sie durch den Lehrkräftemangel und die offenbar nicht ausreichende Vorbereitung von Quereinsteigenden die Bildungsqualität in Gefahr?
Triebel: Ja. Deshalb braucht es dringend einen Kulturwandel in der ministeriellen Personalentwicklung. Die Staatsregierung muss alles daran setzen, für die Zukunft genügend und gut ausgebildete Lehrkräfte zu gewinnen.
BSZ: Wäre für Sie auch die Anhebung der Klassenstärken eine Option, um dem Lehrermangel zu begegnen?
Triebel: Das wird vor Ort aus der Not heraus ja schon getan. Für bedenklicher halte ich, dass zunehmend an den schönen Dingen gekürzt wird, die für das Schulleben und die Persönlichkeitsentwicklung wichtig sind. Da gibt es dann einfach keine Wahlkurse mehr oder die Theater-AG fällt weg. (Interview: Jürgen Umlauft)
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