Landtag

Im Europaparlament sitzen immer mehr EU-Kritiker und EU-Feinde – das verändert Arbeit und Klima in Brüssel. (Foto: dpa/Laurent Dubrule)

08.03.2019

"Europa nicht den Zerstörern überlassen"

Europaausschusschef Tobias Gotthardt (Freie Wähler) über die Europawahl, Grenzkontrollen, Uploadfilter, den Brexit und die Zeitumstellung

Tobias Gotthardt (FW) ist Vorsitzender des Europaausschusses im Landtag. Die Abläufe in Brüssel kennt er von seiner Zeit als parlamentarischer Mitarbeiter. Jeder ist von der europäischen Gesetzgebung betroffen, sagt er. Und mahnt zum Urnengang am 26. Mai.

BSZ: Herr Gotthardt, Ihr CSU-Koalitionspartner gibt sich derzeit europafreundlich wie nie. Selbst der ungarische Regierungschef Orbán wird nicht mehr hofiert. Erleichtert?
Tobias Gotthardt: Wie sich die CSU zu Europa positioniert, ist ihre Sache. Wichtig ist, dass wir konstruktiv zusammenarbeiten können. Wir sind uns einig, dass die Kommunikation zwischen Ost und West in Europa entscheidend ist, wenn wir Europa zusammenführen wollen. Miteinander reden, nicht übereinander, daran müssen wir als Koalition festhalten.

BSZ: Russland soll durch Desinformationskampagnen das Brexit-Referendum beeinflusst haben. Ist das auch eine Gefahr für die Europawahl?

Gotthardt: Ja. Die Gefahr ist auch greifbar. Die EU-Kommission veröffentlicht regelmäßig Berichte zum Bereich Desinformation. Darin zeigt sich: Die Beeinflussung läuft bereits. Dort, wo sie illegal ist, müssen wir uns vorbereiten, dagegen vorzugehen. Und wir müssen Menschen sensibilisieren, was News und was Fake News sind.

BSZ: Experten rechnen mit einem deutlichen Stimmenzuwachs für EU-Kritiker. Welche Konsequenzen hat das für die Arbeit in Brüssel?

Gotthardt: Wir haben dort schon jetzt eine deutlich höhere Anzahl an EU-Kritikern und EU-Feinden als früher. Daher ist es wichtig, dass die demokratischen Kräfte zusammenarbeiten. Spannend wird, wie die Fraktionsbildung im EU-kritischen Lager sein wird. Also zum Beispiel, ob „Rassemblement National“ von Le Pen sich als einzige Kraft etablieren kann oder ob es Konkurrenz gibt.

BSZ: Jeder zweite Wahlberechtigte nennt Einwanderung als wichtigstes Thema bei der Wahl. Warum kommt der Schutz der EU-Außengrenzen nicht voran?
Gotthardt: Die Vorgabe gibt es schon lange. Aber für die Umsetzung sind Rumänien, Bulgarien und Griechenland zuständig. Da hapert es. Allerdings fordern wir in Europa auch gern vieles und bleiben dann selber hinter unseren eigenen Forderungen zurück. Der Aufbau der Grenzschutzagentur Frontex hat zwar funktioniert. Von den 10 000 Grenzschutzbeamten steht aber bislang kein einziger Mann. In diesem Bereich ist Europa gescheitert.

BSZ: Viele Bürger nehmen auf dem Weg von Österreich nach Bayern die Landstraße, um die Grenzkontrollen zu umfahren. Sie auch?

Gotthardt: Ich fahre meistens mit dem Zug. Aber ich verstehe es, wenn Pendler das machen.

BSZ: Was bringen Grenzkontrollen, wenn sie umfahren werden können?
Gotthardt: Der Schengenraum ist gerade aus berechtigten Gründen außer Kraft gesetzt. Schleuseraktivitäten können dadurch zwar nur eingeschränkt aufgehalten werden. Grenz- und Bundespolizei konnten aber vieles an Grenzkriminalität aufdecken. Wann die Grenzkontrollen abgeschafft werden, ist eine Frage, die man sich stellen muss. Ich halte die Schleierfahndung für die bessere Lösung.

BSZ: Bei jeder Europawahl ist die Wahlbeteiligung gesunken. In Deutschland gab 2014 nicht mal jeder zweite seine Stimme ab.
Gotthardt: Da wir keine Wahlpflicht haben wie zum Beispiel in Belgien, müssen wir die Menschen überzeugen, dass Europa sie direkt betrifft. Viele Landesgesetze basieren auf europäischem Recht. Jeder Mittelständler kämpft mit EU-Gesetzen. Es ist daher immens wichtig, in Brüssel vertreten zu sein. Außerdem müssen wir den Menschen klarmachen, dass kaum eine Wahl wichtiger war als diese. Wir haben es in der Hand, ob wir Europa weiterentwickeln. Oder es den Leuten überlassen, die es zerstören wollen.

"Die einzig vernünftige Lösung bei der Zeitumstellung ist die Rückkehr zur Normalzeit"

BSZ: Ist es in dieser instabilen Phase der richtige Zeitpunkt, über eine EU-Erweiterung zu sprechen?
Gotthardt: Was ich schwieriger finde, ist die Entwicklung in Richtung Zentralisierung. Wir müssen realistisch bleiben. Dass die Balkanländer eine Beitrittsperspektive brauchen, ist unstrittig. Sie müssen aber auch die entsprechenden Kriterien erfüllen. Ich werde mich diese Woche in Albanien informieren, wie zum Beispiel die Justizbehörden funktionieren. Wenn alle Kriterien erfüllt werden, habe ich kein Problem mit einem Beitritt.

BSZ: Apple, Google und Facebook verdienen Milliarden. Dennoch lehnt Deutschland die Einführung einer EU-weiten Digitalsteuer ab. Frankreich führt sie jetzt eigenständig ein.

Gotthardt: Das Thema Steuer hat zwei Dimensionen. Inhaltlich gehe ich mit Frankreich: Wir brauchen die Digitalsteuer. Und übrigens auch dringend eine Finanztransaktionssteuer. Organisatorisch bin ich bei Deutschland: Die Steuerhoheit muss bei den Nationalstaaten bleiben. Nur so können wir die Finanzlöcher stopfen, die durch den Brexit entstehen werden.

BSZ: Tritt denn Großbritannien am 29. März aus der EU aus?
Gotthardt: Ich kann keine Frage beantworten, die selbst die britische Regierung nicht beantworten kann. Mein Gefühl sagt mir, dass die Planungen nicht so ausgereift sind, wie sie scheinen. Im Parlament des Unterhauses gibt es derzeit eine erstaunliche Dynamik, die viele Umbrüche mit sich bringen wird.

BSZ: Wird denn die Zeitumstellung bis 2021 abgeschafft?
Gotthardt: EU-Kommissionspräsident Juncker hat nach der Umfrage in den Mitgliedstaaten versprochen, das umzusetzen. Daran muss sich die EU messen lassen. Wenn Europa schon an solchen Fragen scheitert, brauchen wir uns mit der Lösung der Flüchtlingskrise gar nicht mehr beschäftigen. Wir müssen aber darauf achten, dass wir in Europa keine verschiedenen Zeitzonen haben.

BSZ: Haben wir dann dauerhaft Sommer- oder Winterzeit?

Gotthardt: Ich habe viele Gespräche mit Wissenschaftlern und Medizinern geführt. Alle sagen, die einzig vernünftige Lösung ist die Rückkehr zur Normalzeit. Wenn es morgens spät hell wird, ist das für alle von Nachteil. Wenn es im Sommer früher dunkel wird, für die wenigsten.

BSZ: In vielen deutschen und europäischen Städten demonstrieren Menschen gegen die EU-Urheberrechtsreform. Hat Sie der Protest überrascht?
Gotthardt: Nein. Ich war als Mitarbeiter bei der ersten Lesung des Gesetzes in Brüssel dabei. Artikel 13, der sogenannte Uploadfilter, war schon damals schwierig – vor allem die technische Umsetzung. Die jetzigen Änderungen haben den Artikel trotz viel guten Willens leider nicht besser gemacht.

BSZ: Im Europaausschuss des bayerischen Landtags sitzen auch europakritische Abgeordnete. Wie klappt die Zusammenarbeit mit den Kollegen?

Gotthardt: Mein Ansatz als Ausschussleiter ist ein kollegialer. Das heißt, ich versuche alle von vornherein einzubinden. Mein Gefühl ist, dass die anderen Fraktionen das zu schätzen wissen. Das zeigt sich auch an den bisherigen Ergebnissen. Zukünftig möchte ich im Ausschuss noch mehr tagesaktuelle Debatten führen. (Interview: David Lohmann)

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