Vor 42 Jahren wurde mein Neffe in Vietnam getötet. Wir dienten im selben Gebiet, zur gleichen Zeit. Ich brachte seinen Leichnam heim zu unserer Familie (...). Unsere Familie konnte seine sterblichen Überreste nicht mehr sehen. Die Wut und die Trauer über seinen Tod zerstörten uns beinahe.“ Ein wenig gehetzt klingt der Vietnam-Veteran Barry Romo, als er einen Teil seines Lebens vor den Vernissage-Gästen im bayerischen Landtag schildert. „Abseits der Schlachtfelder“ heißt die Ausstellung in Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Roten Kreuz (BRK). Die Schwarzweiß-Aufnahmen und Texte des Journalisten und Fotografen Till Mayer geben die Einzelschicksale von Romo und zehn weiteren Kriegsopfern wieder.
Bilder machen Betrachter nicht zu Voyeuren
Der US-Amerikaner erzählt von schlaflosen Nächten, die er seit 40 Jahren hat. Von seinen Alpträumen, in denen er Nacht für Nacht jenen Dschungel durchwandert, in dem viele seiner Kameraden starben und er selber sechs Menschen tötete. Wut und Verzweiflung des 62-Jährigen richten sich allerdings nicht gegen das vietnamesische Volk oder dessen damalige Regierung, im Gegenteil: „Wir vergifteten diese Menschen. Zehntausende Tote. Zehntausende Geburtsfehler“, sagt Romo und senkt seinen kahlrasierten Kopf.
Die US-Truppen hätten damals Dioxin-haltige Entlaubungsmittel, „mit Namen, die nach Regenbogen klangen“ versprüht. Gemeint ist Agent-Orange. Und was dieses Gift angerichtet hat, veranschaulicht wiederum das Schicksal von Truong Thi Thuy, Vietnamesin und Mutter von vier mutmaßlich wegen des Pestizids schwerstbehinderten Kindern. Auch Thuys Lebenslinien hat der ehrenamtliche Mitarbeiter des BRK in Bild und Text skizziert: „Glück ist für mich, wenn meine Kinder wenigstens eine Zeit lang nicht erkranken. Wenn ich mich neben der Feldarbeit um sie kümmern kann“, zitiert Mayer die 50-jährige Frau. In Mayers Buch gibt es viele solcher denkwürdiger Sätze. Analysierte man sie, würde man nur die unmittelbare Wirkung ihrer humanistischen Essenz zerreden.
Die Porträts von Romo und Thuy – mit ihnen schließt sich innerhalb der Ausstellung ein Kreis. Das ist vielleicht die berührendste Erkenntnis aus einer Schau, die trotz des geschilderten Leids in keiner Zeile und in keiner Sequenz peinlich berührt oder gar deprimiert. Mit präziser Sprache und nachwirkenden Motiven gelingt es Mayer, den Blick weg von den Schlachtfeldern mit den anonymen Toten auf individuelles Leid zu lenken. Ob junge Opfer des Bürgerkries in Sierra Leone oder der 80-jährige Deutsche, der den Tod seines Vaters während des Zeiten Weltkriegs nie verwunden hat: Auf wundersame Weise stehen bei Mayer solche Erlebnisse nicht für Grauen, sondern für Verletzlichkeit als Folge tief empfundener Menschlichkeit.
Dass er diese bemerkenswert behutsam herausarbeiten kann, hat Mayer bereits 2007 mit seiner inhaltlich und formal vergleichbar strukturierten Ausstellung „Roter Winkel, hartes Leben“ bewiesen. Auch sie wurde ehedem unter anderem im bayerischen Landtag gezeigt: Schicksale von ehemaligen KZ-Häftlingen aus der Ukraine.
Damals wie auch für die jüngste Ausstellung erntete Mayer viel Lob. „Die hier gezeigten elf Kriegsschicksale aus elf Ländern stehen stellvertretend für die traumatischen Erlebnisse von Millionen ziviler Opfer aus unzähligen Kriegen und kriegerischen Auseinandersetzungen“, sagte Landtagspräsidentin Barbara Stamm (CSU). „Till Mayer gibt all jenen Opfern ein Gesicht, die wir allzu schnell vergessen“, merkte Daniel-Erasmus Khan, Konventionsbeauftragter des Bayerischen Roten Kreuzes, an. „Till Mayer wahrt immer die Würde der Kriegsopfer, er macht die Betrachter nicht zu Voyeuren“, analysierte Robert Arsenschek, Chefreporter des Münchner Merkur, dessen Verlag den Druck des Katalogs unterstützt hat. Wer die Ausstellung besuche, müsse Gefühle riskieren und brauche deshalb etwas Mut, so Arsenschek.
Einzelschicksale stehen für Menschlichkeit
Genauso ist es, aber die investierten Emotionen lohnen sich. Gut möglich, dass mancher Ausstellungsbesucher, wenn er in den Nachrichten von Toten im Gaza-Streifen hört, fortan an den 13-jährigen Ibrahim Hamdan denken muss. Und das ihm dabei warm ums Herz wird. Zwar stößt der jugendliche Rollstuhlfahrer Ibrahim im Hamas-Flüchtlingslager von Khan Yunis täglich auf viele reale und zwischenmenschliche Barrieren; auch hat er Angst vor den kriegerischen Auseinandersetzungen. Der Schüler sagt aber auch: „Trotzdem lächle ich, so oft ich kann. Weil fröhlich sein ein bisschen Frieden ist.“ (Alexandra Kournioti)
Till Mayer, „Abseits der Schlachtfelder“, bis 14. Oktober, Montag bis Donnerstag, 9 bis 16 Uhr, Freitag, 9 bis 13 Uhr, Eingangshalle West, Max-Planck-Straße 1, Bayerischer Landtag.
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