Hinter Corona steckt das Weltjudentum, die Bundesregierung, um unsere Grundrechte einzuschränken, oder Bill Gates, der mit dem bereits entwickelten Impfstoff noch reicher werden will? „Fake News kennen wir“, sagt Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU) beim ersten Videotalk in der Geschichte des Maximilianeums. „Aber nun werden sie zu Verschwörungstheorien, die bei Demonstrationen offen zur Schau getragen werden.“ Sie könne verstehen, dass sich Menschen in unsicheren Zeiten nach einfachen Antworten sehnen. „Politik ist aber komplex und muss Interessen ausgleichen“, sagt Aigner beim Gespräch unter der Überschrift „Corona, Fake News und Verschwörungen – bleibt unsere Demokratie gesund?“
Inzwischen versuchen immer mehr Menschen, den Bürger*innen vermeintlich einfachen Antworten zu geben – aus unterschiedlichen Antrieben. Laut Aigner stecken dahinter entweder wirtschaftliche Interessen, weil sich zum Beispiel mit populären Youtube-Videos viel Geld verdienen lässt, oder machtpolitische Interessen, wenn Autokraten oder Diktatoren im Ausland unsere Gesellschaft destabilisieren möchten. Oder ideologische Interessen, hervorgerufen durch ein fatales Weltbild, gepaart mit Frust und Wut. „Oft bildet sich daraus eine Querfront aus Rechtsradikalen, Antisemiten und Linksextremisten“, erklärt Aigner.
Markus Appel, Kommunikationspsychologe an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg, betont, nicht alle Demonstranten gegen die Corona-Maßnahmen seien Fake-News-Opfer, Verschwörungstheoretiker oder Rechtsextreme. „Die Menschen auf der Straße drücken ihren Unmut aus, weil sie sich eine andere Politik wünschen“, erklärt er. Aber natürlich gebe es darunter eben auch jene, die Bill Gates oder den Mobilfunkstandard 5G als Verursacher des Coronavirus sehen (siehe Infokasten). Anfällig für solche Theorien seien Menschen, die sowieso gegen den Staat oder Angela Merkel eingestellt seien und schon vorher rechtsradikales Gedankengut geteilt hätten. Aber auch ältere Menschen sind laut Appel leicht für abseitige Behauptungen zu begeistern: Studien zufolge werden entsprechende Meldungen von Menschen höheren Alters deutlich häufiger geteilt.
Grundsätzlich macht sich Appel keine Sorgen um das Ansehen der Medien. „Im Gegensatz zu den USA ist bei uns das Medienvertrauen relativ hoch“, sagt er. Natürlich gebe es Menschen, die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk anzweifeln oder als „Systemmedien“ diskreditieren. Doch die überwiegende Mehrheit schenke den Inhalten Vertrauen. Das zeigt sich auch an den bei allen Zeitungen gestiegenen Klick- und Abonnentenzahlen. Appel beschreibt ein Phänomen aus der Psychologie: Wenn Menschen zum Beispiel einen neutralen Bericht über Atomkraft lesen, aber eine extreme Position vertreten, haben sie das Gefühl, der Artikel sei einseitig. „Interessanterweise“, erläutert Appel, „finden in solchen Fällen sowohl Atomkraftgegner als auch Atomkraftbefürworter diesen Bericht gleichermaßen tendenziös – egal wie gut er recherchiert ist.“
Ältere Menschen sind besonders empfänglich für Verschwörungstheorien
Der Digitalchef der Augsburger Allgemeinen, Yannick Dillinger, bestätigt das. „Wir werden von der einen wie der anderen Seite angegriffen und von beiden als Teil der Elite angesehen“, klagt er. Mit Fakten komme er bei Diskussionen schon lange nicht mehr weiter – vieles erinnere ihn an die aufgeheizte Situation in der Flüchtlingskrise 2015. Im Unterschied zu damals können allerdings in der Corona-Krise Falschnachrichten lebensgefährlich werden, sagt Dillinger und verweist auf die Meldung, dass warmes Wasser gegen Covid-19 schütze. Oft reiche schon eine Google-Suche oder ein Blick ins Impressum der Webseite, um den Wahrheitsgehalt einer Meldung zu erkennen. Schwieriger ist es laut Dillinger bei Verschwörungsmythen. „Bei denen geht es darum, den Inhalt, die Absender, die Hintergründe und die Interessen der Absender zu analysieren.“ Vieles sei da aus dem Zusammenhang gerissen.
Gudrun Riedl ist stellvertretende Leiterin von BR24 und verantwortlich für das Format #Faktenfuchs. Dieses deckt populäre Irrtümer und Falschinformationen auf. „Stündlich wenden sich Leute an uns“, erklärt sie. Neulich habe zum Beispiel ein Nutzer ein Whatsapp-Foto geschickt, das eine große Gruppe von Polizisten ohne Sicherheitsabstand und Mundschutz vor der Münchner Oper zeigt. Das Faktenfuchs-Team hat daraufhin die Details gecheckt: Ist das Bild möglicherweise alt? Das kann jeder prüfen, in dem er oder sie schaut, ob das Bild in der Vergangenheit bereits in einem anderen Kontext genutzt wurde. Das funktioniert mit der umgekehrten Bildersuche bei Google. Einfach das gewünschte Foto hochladen – der US-Anbieter zeigt dann alle ähnlichen Bilder an. Im Fall der Polizisten zeigte sich: Das Whatsapp-Foto war echt.
Nicht alle Zuschauer*innen des Videotalks konnten die Experten bis dahin überzeugen. Ein Nutzer schrieb im Chat: „Brainwashing Kampagne läuft hier ab!“ Bei solchen Fällen stellt sich die Frage, wie Menschen überzeugt werden können, die hartnäckig an Fake News oder Verschwörungstheorien glauben. Schwierig, meint Kommunikationspsychologe Appel. Das Problem: Youtubes Algorithmus schlage nach jedem Video ein anderes zu einem ähnlichen Thema vor – so fühlten sich die Menschen in ihrer Theorie zunehmend mehr bestätigt.
Appel empfiehlt: Immer wieder aufs Neue mit dem Betroffenen sprechen und deutlich machen, dass es auch Menschen mit anderer Meinung gibt. Digitalchef Dillinger fordert, die Medienkompetenz an Schulen stärker zu fördern. Faktenfüchsin Riedl mahnt, irgendwann aber auch die Reißleine zu ziehen – zum Beispiel, wenn von „Mengele-Experimenten“ die Rede ist – Josef Mengele war ein berüchtigter KZ-Arzt im Dritten Reich. Landtagspräsidentin Aigner mahnt alle Zuschauer*innen, „Kampfansagen an die Demokratie“ auch in Zukunft weiter entschieden entgegenzutreten. (David Lohmann)
Info: Fake und Fakt
Corona-Fehlalarm: Aktuell kursiert ein Papier aus dem Innenministerium, in dem die Corona-Maßnahmen als „Fehlalarm“ bezeichnet werden. Der Verfasser gibt vor, mit Einzelheiten vertraut gewesen zu sein – was er aber nicht war. Bei dem Schreiben handelt es sich um eine Meinungsäußerung, zusammengetragen aus öffentlichen Quellen.
Nikotin hilft gegen Corona: Eine österreichische Lokalzeitung meldete, Nikotin verhindere die Ausbreitung von Coronaviren im Körper. Die Autoren der Studie weisen aber explizit darauf hin, dass sie dies wegen der geringen Fallzahlen bislang nur vermuten und nicht nachweisen können.
Särge in Italien: Im Netz kursiert ein Bild, das angeblich reihenweise Särge von Corona-Opfern aus Bergamo zeigt. Tatsächlich zeigt das Foto die Särge von afrikanischen Flüchtlingen auf Lampedusa 2013.
Bill Gates hat Corona erfunden: In Youtube-Videos heißt es, Gates habe das Coronavirus gezüchtet, um mit dem Impfstoff Geld zu verdienen. In Wirklichkeit hat seine Stiftung 2015 die Erforschung eines Geflügelvirus aus der Gruppe der Coronaviren unterstützt. Gates finanziert auch nicht die Weltgesundheitsorganisation – gehört aber in der Tat zu den größten Geldgebern.
5G fördert Corona: Das Bundesamt für Strahlenschutz hält das für blanken Unsinn. (loh)
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