Landtag

„Die zunehmende Privatisierung des Gesundheitssystems ist zu hinterfragen“

17.04.2020

"Nach der Krise müssen wir vieles aufarbeiten"

Andreas Krahl, pflegepolitischer Sprecher der Landtags-Grünen, zieht nach zwei Wochen Klinikdienst während der Osterferien Bilanz

Bevor er 2018 in den Bayerischen Landtag gewählt wurde, war Andreas Krahl Pfleger im Unfallklinikum Murnau. Im Zuge der Corona-Krise kehrte der 31-Jährige aus Weilheim-Schongau nun in seinen früheren Beruf zurück. Während der Osterferien half er ungeschultem Personal auf den Intensivstationen, Beatmungsgeräte richtig zu bedienen. Wir fragten ihn nach seinen Erfahrungen.

BSZ: Herr Krahl, sind Sie noch fit?
Andreas Krahl: Ja, passt alles. Ich hatte heute Frühschicht und war um sechs Uhr in der Klinik. Das war ein ganz normaler Arbeitsalltag.

BSZ: Wie hat sich die Rückkehr in Ihren alten Beruf angefühlt?
Krahl: Es war ein ganz großartiges Gefühl. Gesundheits- und Krankenpfleger ist noch immer mein absoluter Traumberuf. Ich habe mich wahnsinnig gefreut, dass ich meine Erfahrung gerade in dieser Zeit wieder einbringen kann. Am Anfang hatte ich ein wenig Sorge, dass mich die Kolleginnen und Kollegen nicht als Teil des Teams aufnehmen, sondern mich als den Abgeordneten wahrnehmen. Das war zum Glück überhaupt nicht der Fall. Wir arbeiten auf Augenhöhe und sitzen alle im selben Boot.

BSZ: Waren die Automatismen gleich wieder da?
Krahl: Nach einer Stunde. Es ist ganz schnell gegangen, wieder in den alten Rhythmus und Tagesablauf zu fallen. Da war ich selbst überrascht nach eineinhalb Jahren Pause.

BSZ: Wie sieht es auf Ihrer Station konkret aus?
Krahl: Die Lage ist angespannt entspannt. Die Arbeitsbelastung ist mit der vor Corona vergleichbar. Aber es war ja schon früher so, dass die Pfleger und Schwestern auf Station nicht nur Däumchen gedreht haben. Ich arbeite auf einer Intermediate Care Station, die zu einer Intensivstation aufgerüstet wurde. An jedem Bett steht jetzt eine Beatmungsmaschine. Wir hatten vergangene Woche nur einen Corona-Fall zu betreuen, deshalb ist der Arbeitsaufwand auf der Station überschaubar. Für Anspannung sorgt aber, dass das Personal größtenteils nicht für die neuen Begebenheiten geschult wurde. Patienten zu beatmen ist etwas anderes, als einen Reifen aufzupumpen. Das muss einfach gelernt sein. Es fehlt da noch an der nötigen Einarbeitung.

BSZ: Gibt es auch bei Ihnen einen Mangel an Schutzbekleidung?
Krahl: Das ist nach wie vor ein wichtiges Thema. Es ist geeignete Schutzkleidung vorhanden, aber nicht in dem Umfang, wie es die Richtlinien zum Eigenschutz erfordern würden. Wir haben alle eine FFP2-Maske zur Versorgung von Covid-19-Patienten oder Verdachtsfällen, aber wir sind angehalten, diese über die gesamte Schicht hin zu verwenden. Das heißt, wenn wir das Zimmer des Patienten verlassen, wird die Maske nicht entsorgt, sondern für den nächsten Besuch an diesem Tag aufbewahrt und wiederverwendet.

BSZ: Im Vergleich zu anderen Ländern haben wir in Deutschland und Bayern eine geringe Covid-19-Mortalität. Woran liegt das nach Ihrer Erfahrung aus der Praxis?
Krahl: Ich sehe dafür vor allem zwei Gründe: Wir haben zum Glück sehr viel höhere Intensivkapazitäten als zum Beispiel Italien oder Spanien. Das ermöglicht uns, noch immer routinierte Intensivmedizin zu betreiben. Und wir machen in wesentlich kürzeren Intervallen Laborkontrollen zum Gesundheitszustand der Patienten. Damit erkennen wir viel früher entgleisende Parameter und können schneller medizinisch darauf reagieren.

„Die zunehmende Privatisierung des Gesundheitssystems ist zu hinterfragen“

BSZ: Dennoch: Die Corona-Krise lässt die Probleme und Sorgen des Pflegepersonals wie unter einem Brennglas aufscheinen. Was muss sich nach der Krise ändern?
Krahl: Die Krise hat schon jetzt zu einem Wandel in der Wahrnehmung geführt. Pflegerinnen und Pfleger in den Krankenhäusern, aber auch in den Alten- und Pflegeheimen sind nicht mehr nur die kaum beachteten stillen Helden, sondern werden als Mitglieder einer absolut systemrelevanten Berufsgruppe anerkannt. Diese gewachsene Wertschätzung müssen wir in die Zeit nach der Krise tragen. Dazu gehört, dass man die Pflegerinnen und Pfleger nicht mit einer Einmalzahlung von 500 Euro als Dankeschön abspeist, sondern dass sich die Wertschätzung auch langfristig für sie auszahlt. Mein ganz persönlicher Wunsch wäre, dass sich der Pflegeberuf in der Folge dieser Krise vom Image des ärztlichen Assistenten löst und eine eigenständige Profession wird. Wir müssen weg von der Wahrnehmung, nur ärztliche Helferlein zu sein. Wir müssen pflegerische Entscheidungen auch bei der Patiententherapie selbst treffen können. Wir müssen selbst über die berufliche Ausrichtung und Ausbildung dazu entscheiden können.

BSZ: Höhere Löhne und eine neue berufliche Ausrichtung – das wird kosten. Wie soll das finanziert werden?
Krahl: Zunächst einmal darf man nicht vergessen, dass wir ganz abgesehen von Corona in einem demografischen Wandel stecken. Der Bedarf an Pflegedienstleistungen wird also weiter wachsen und damit auch der Personalbedarf. Wir kommen über kurz oder lang gar nicht darum herum, uns zu überlegen, wie wir die Pflege finanzieren. Ganz ehrlich: Es wird uns kaum etwas anderes übrig bleiben, als die Beiträge zur Kranken- und zur Pflegekasse langfristig nach oben anzupassen. Zudem – und das ist eine Lehre aus Corona – ist die zunehmende Privatisierung des Gesundheitssystems zu hinterfragen. Für mich ist das Thema Gesundheitsvorsorge – und damit auch die Pflege – Teil der Daseinsvorsorge und folglich staatliche Aufgabe. Deshalb wird sich der Freistaat mit Steuergeldern stärker dafür engagieren müssen.

BSZ: Muss man auch die Pandemie-Pläne überarbeiten, die in der Corona-Krise einige Mängel gezeigt haben?
Krahl: Es ist jetzt nicht die Zeit, sich darüber zu beklagen, dass die Pandemie-Pläne nach der Sars-Epidemie 2003 nicht überarbeitet wurden. Wir müssen erst einmal die aktuelle Situation managen. Im Nachgang der Krise müssen wir aber schon kritisch nachfragen, was funktioniert hat und was nicht. Ziel muss dann sein, die Pläne so zu überarbeiten, dass wir in Zukunft auf eine derartige Krise besser reagieren können, als das jetzt der Fall ist.

BSZ: Wie läuft das bei Ihnen gerade als Abgeordnetem im pflegerischen Hilfseinsatz? Machen Sie das ehrenamtlich oder werden Sie regulär bezahlt?
Krahl: Weder noch. Ich bin angetreten mit der Ankündigung, dass ich den Job bei meinem Gehalt als Abgeordneter auch for free mache. Mir war nur wichtig, dass ich ordentlich versichert bin. Am Ende habe ich mich mit dem Klinikum in Weilheim darauf geeinigt, dass ich für meine Einsätze während der zwei Wochen in den Osterferien eine Aufwandspauschale von 450 Euro bekomme. Ich werde das Geld aber für ein gemeinnütziges Projekt spenden.

BSZ: Kommende Woche tagt der Landtag wieder. Werden Sie trotzdem weiter als Aushilfe in der Klinik zur Verfügung stehen?
Krahl: Ich habe am Sonntag meinen letzten Dienst, dann beginnt wieder mein normales Abgeordnetenleben. Das lässt sich mit einem Zweitjob nebenbei nicht vereinbaren, wenn man es ernst nimmt. (Interview: Jürgen Umlauft)

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