Landtag

21.10.2016

Vereint für die Werte der Verfassung

Der Landtag hat heuer wieder vorbildliches Engagement in Bayern mit dem "Bürgerpreis" ausgezeichnet

Seit dem Jahr 2000 zeichnet der Landtag mit seinem Bürgerpreis jährlich vorbildliches Engagement in Bayern aus. Heuer wurden sechs Auszeichnungen verliehen: Ein erster, zwei zweite und zwei dritte Preise sowie ein Sonderpreis. Zum runden Geburtstag der bayerischen Verfassung lautete das Motto: „70 Jahre in guter Verfassung“. Franken und insbesondere die Metropolregion Nürnberg sind zu einem regen Aktionsgebiet der NPD und anderer rechtsextremistischer Vereinigungen geworden. Das wollte sich das Menschenrechtsbüro und die Bürgerbewegung für Menschenwürde in Mittelfranken nicht länger anschauen. 2009 gründeten sie die „Allianz gegen Rechtsextremismus“, um der menschenverachtenden Ideologie der Rechtsextremen mit Lichterketten oder Plakatkampagnen in aller Entschiedenheit entgegenzuwirken.

„Jede Kommune in der Metropolregion kann unvermittelt und unvorbereitet von rechtsextremistischen Aktivitäten betroffen werden“, heißt es auf der Webseite der Initiative. Ein klares öffentliches Eintreten für Vielfalt und Menschenrechte sei daher ein wichtiges Signal, um die demokratischen Werte entschlossen zu verteidigen. Für ihr Engagement wurde die Allianz gegen Rechtsextremismus jetzt mit dem mit 15 000 Euro dotierten ersten Platz des Bürgerpreises ausgezeichnet.

Landtagspräsidentin Barbara Stamm (CSU) sah in dem diesjährigen Motto „70 Jahre in guter Verfassung. Wir leben und gestalten Demokratie!“ die Chance zur Besinnung auf die wesentlichen Werte unserer Gesellschaft, die in Bayerns Verfassung festgeschrieben sind: „Frieden, Freiheit und Demokratie erscheinen uns heute beinahe selbstverständlich“, sagte sie. „Aber die Werte der Verfassung müssen auch gelebt werden, und dafür setzen sich zahlreiche Gruppierungen und Bündnisse in Bayern ehrenamtlich ein.“ Dies sei auch bei den vielen hervorragenden Bewerbungen zum diesjährigen Bürgerpreis sichtbar geworden.

Insgesamt hat die Jury unter dem Vorsitz von Stamm mit den Abgeordneten Oliver Jörg (CSU), Ruth Waldmann (SPD), Hans Jürgen Fahn (Freie Wähler), Kerstin Celina (Grüne) sowie Bambergs Oberbürgermeister Andreas Starke (SPD), Walds Bürgermeister Hugo Bauer (CSU), dem Landtagspresse-Vorsitzenden Uli Bachmeier sowie den Experten Doris Rosenkranz von der Technischen Hochschule Nürnberg und Thomas Röbke vom Landesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement in Bayern aus 72 Bewerbungen sechs Preisträger ausgewählt. Das Preisgeld wurde im Vergleich zum Vorjahr um 20 000 Euro auf 50 000 Euro erhöht.

Dass die Allianz gegen Rechtsextremismus zu den Gewinnern gehört, verwundert nicht. Nach nur sieben Jahren erstreckt sich deren Aktionsraum auf halb Bayern. Außerdem konnten über 300 Mitglieder gewonnen werden – jeweils zur Hälfte Gebietskörperschaften wie Kommunen und Landkreise sowie zivilgesellschaftliche Organisationen wie Gewerkschaften, Ausländerbeiräte, Parteien, Kirchen und Sportvereine. „Die Organisationsstruktur ist bundesweit einzigartig“, schwärmt Doris Groß von der Geschäftsstelle in Nürnberg. Und alle Mitglieder hätten die gleichen Rechte: „Bei der Mitgliederversammlung hat jeder eine Stimme – egal ob große Kommune oder kleine Initiative, egal ob Stadt oder Land.“ Groß nennt das einen „Austausch auf Augenhöhe“. Dabei verfolgen alle Mitglieder die gleichen Ziele: Sie stellen sich entschieden gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus, Intoleranz und Demokratiefeindlichkeit.

Die Allianz gegen Rechtsextremismus hilft ihren Mitgliedern auch bei der Organisation von Aktionen, ruft zu Gegendemonstrationen auf und gibt Handlungsanleitungen sowie Praxisbeispiele, wie Prävention betrieben oder aktiver Widerstand gestaltet werden kann. „Es geht aber nicht nur um das Hingehen und das Hinstellen, es geht auch um die Beratung“, erläutert Vorstandsmitglied Elisabeth Preuß.

Prävention ist vor allem in der schulischen und außerschulischen Jugendarbeit wichtig. Die Allianz hilft in diesen Fällen bei der Organisation von Diskussionsrunden mit Zeitzeugen, bei der Durchführung von Sportevents mit Jugendlichen unterschiedlicher Herkunft oder bei der Aufklärung über versteckte Propaganda und Symbole der rechten Szene. Innerhalb der Allianz gibt es auch eine Arbeitsgruppe Bildung, die Lehrer bei der Gestaltung des Unterrichts oder anderen Angeboten wie Planspielen berät.

Außerdem lobt die Initiative einen Preises für gegen Rechtsextremismus engagierte Schulen aus. Des Weiteren zeigt die Allianz gegen Rechtsextremismus Best-Practices-Beispiele auf und gibt ihren Mitgliedern juristische Tipps, wenn rechte Gruppierungen beispielsweise eine Demonstration anmelden oder Immobilien erwerben wollen. Ein neuer Flyer richtet sich an Sportvereine, die Informationen über die Integration von Flüchtlingen im Spielbetrieb wünschen. Demnächst wendet sich die Allianz in einer internen Info-Veranstaltung dem Thema Rechtspopulismus zu. „Wir haben so viele Mitglieder“, freut sich Preuß, „im Notfall können wir immer mit Rat und Tat zur Seite stehen.“

2. Platz: Volksbund Deutscher Kriegsgräberfürsorge

Wieso der Volksbund Deutsche Kriegsfürsorge internationale Jugendarbeit leistet? „Wenn da junge Menschen aus Deutschland, der Ukraine oder der Türkei gemeinsam an Grabsteinen von gefallenen Soldaten stehen, wird ihnen sofort klar: Die waren in unserem Alter, als sie gestorben sind“, erklärt Maximilian Fügen, Bildungsreferent des Landesverbands Bayern. „Und da beginnt sehr schnell das Nachdenken über den Sinn und Unsinn von Krieg.“

Der Volksbund engagiert sich seit 1953 für eine völkerverständigende und friedenspädagogische Jugendarbeit. Die Jugendlichen kommen in so genannten internationalen „Camps“ zusammen, die der Landesverband Bayern organisiert. Deutschlandweit konnten so in den letzten 63 Jahren 250 000 junge Menschen zwischen 16 und 26 für die Jugendbegegnungen erreicht werden. Seit 1990 sind junge Osteuropäer mit dabei, was dem Projekt laut Fügen eine neue Dimension verliehen hat. Gerade sie wollten die Geschichte und ihre Zusammenhänge verstehen, erklärt er. Und sie seien extrem neugierig aufeinander.

Besonders spannend: „Wenn etwa ein junger Ukrainer und ein junger Russe sich begegnen, deren Länder aktuell in einem bewaffneten Konflikt stehen.“ Durch die gemeinsame Arbeit entstünden dann Gespräche, die sonst nie stattgefunden hätten. Um die Erinnerung an die Kriegstoten lebendig zu halten, beschäftigen sich die Jugendlichen in den Camps auch intensiv mit Fotos und Briefen über die Toten sowie mit der Grabsteinbeschriftung.

Neben den internationalen Camps setzt der Volksbund auf Besuche historisch-politischer Bildungsstätten. Außerdem unterstützt er Schulen vor Ort und mit pädagogischen Handreichungen bei der Erschließung von Kriegsgräberstätten als außerschulische Lernorte. Im Rahmen seiner Umbettungsarbeit konnte der Volksbund alleine in Bayern über 15 000 Tote aus behelfsmäßigen Anlagen und Feldgräbern in 1598 bayerischen Gemeinden an endgültige Grabstätten überführen. Für ihre Arbeit wurde der Landesverband Bayern von der Bürgerpreis-Jury mit 10 000 Euro ausgezeichnet.

2. Platz: Cadolzburger Burgfestspiele

Ein Musical zur Völkerverständigung – diese politische Leistung wurde von der Jury des Bürgerpreises mit 10 000 Euro gewürdigt. Das Stück Mademoiselle Marie brachte der Verein Cadolzburger Burgfestspiele aus Mittelfranken 2015 unter großem ehrenamtlichen Einsatz auf die Bühne.

Die Idee, Geschichten aus der fränkischen Heimat mit weltgeschichtlichen Ereignissen zu verknüpfen, führte zu einem Stück, das im Zweiten Weltkrieg spielt und neben dem Schicksal eines Kriegsgefangenen in der Sowjetunion und einer deutsch-französischen Romanze auch ein besonders düsteres historisches Kapitel beleuchtet: Die Auslöschung des französischen Ortes Oradour-sur-Glane durch die Waffen-SS am 10. Juni 1944. Völlig aus der Luft gegriffen ist auch die restliche Geschichte nicht: Der Cadolzburger Autor Fritz Stiegler hat sich an Erzählungen seiner Eltern orientiert, auf deren Hof es tatsächlich einen französischen Kriegsgefangenen gab.

Zu Beginn des Projektes gab es zwar noch eine gewisse Skepsis, ob sich insbesondere der historische Stoff für ein unterhaltsames Musical eignet, erzählt Vorstandsmitglied Alexander Gößelein. „Aber schnell war klar, dass es funktioniert, und die sehr positive Reaktion in Frankreich hat uns zusätzlich bestärkt.“ Seit der Premiere wurden in insgesamt 24 Vorstellungen rund 14 000 Besucher erreicht.

Zu den Aufführungen wurde auch eine französische Delegation eingeladen: Unter den Gästen war neben Philippe Lacroix, dem Bürgermeister von Oradour, auch Robert Hébras, einer von nur sechs Überlebenden des Massakers, bei dem 642 Menschen umgebracht wurden – die meisten von ihnen Frauen und Kinder. Im Rahmen des deutsch-französischen Friedensfestes in Oradour-sur-Glane soll das Musical erneut und bei freiem Eintritt in Frankreich zur Aufführung gebracht werden. Deswegen kommt das Preisgeld sehr gelegen, wie Vorstand Thomas Dröge erklärt: „Wir müssen die Reise dorthin und das Equipment ja irgendwie bezahlen, und für die Vorstellung verlangen wir keinen Eintritt.“ Bald soll das Stück sogar an den Originalschauplätzen in Oradour verfilmt werden.

Für die ehrenamtlichen Ensemblemitglieder war Mademoiselle Marie ebenfalls eine besondere Erfahrung –  vor allem für die vielen Kinder und Jugendlichen. Für eine pädagogisch-historische Einführung holte sich der Verein extra einen Profi. Und das war gut so: Denn trotz der Expertise hätten einige Eltern zu Hause noch viele Fragen gestellt bekommen, erzählt Dröge. „Aber das ist natürlich gut, wenn man auf diese Weise ins Gespräch kommt.“

3. Platz: Radio Lora aus München

Radio Lora ist ein unabhängiges, demokratisches und nichtkommerzielles Bürgerradio aus München. Der Name ist eine Abkürzung für Lokalradio. An den sozialen, ökologischen, kulturellen oder politischen Sendungen arbeiten 250 Ehrenamtliche sowie über 40 Vereine und Initiativen. Was der Jury des Bürgerkulturpreises besonders gut gefallen hat: Das Radio bietet den verschiedensten gesellschaftlichen Organisationen eine Plattform und hat eigens zwei Redaktionen für Menschen mit Behinderung und drei Redaktionen für vielfältige sexuelle Orientierungen. Einen weiteren Schwerpunkt der Arbeit sieht Radio Lora darin, einen Dialog mit den Hörern zu führen. Darüber hinaus ermöglicht der Radiosender eine Ausbildung für Jugendliche und Erwachsene und arbeitet mit Migranten aus aller Welt zusammen. Ein Asylbewerber wird bald eine Sendung auf arabisch moderieren, die Flüchtlingen das Leben in Deutschland erklären soll, verrät Geschäftsführerin Tyna Baginsky. Das Preisgeld beträgt 5000 Euro.

3. Platz: Radio Z aus Nürnberg

Auch Radio Z aus Nürnberg ist ein nichtkommerzielles und unabhängiges Radio. Durch die ehrenamtliche Mitarbeit wird bürgerschaftliches Engagement, demokratische Teilhabe und Medienvielfalt gefördert, heißt es in der Laudatio. Dafür wurde der Sender mit 5000 Euro belohnt. Grund: Bei Radio Z bekommen neben der Sendung für Homosexuelle („Radiogays“) auch andere Minderheiten eine Stimme. Beim Projekt „Radio Ohrenblicke“ zum Beispiel gestalten Blinde Radiosendungen. Bei „Refugees Welcome“ wird Flüchtlingen eine medienpädagogische Fortbildung angeboten. „Spätzünder“ ist das Programm für Senioren und „Strafzeit“ das Magazin für Strafgefangene. Hinzu kommen Sendungen wie „Z-International“ für Hörer mit Migrationshintergrund und „Radio Handicap“ für behinderte Menschen.

Gegründet wurde Radio Z 1984, um dem damals von den Machern als Meinungsmonopol empfundenen Bayerischen Rundfunk ein nichtkommerzielles Privatradio entgegenzusetzen. Nach der Liberalisierung des Rundfunks erstritt sich der Sender 1987 vor Gericht zuerst einen Probebetrieb und nach einem Verbot des Medienrats 1988 eine reguläre Lizenz. Wenige Monate später konnte nach etlichen Verhandlungen vor dem Medienrat mit dem „Fliederfunk“ die erste Sendung für Schwule auf Sendung gehen. Mittlerweile sendet Radio Z zwölf Stunden täglich. Woher das „Z“ im Namen kommt? „Ehrlich gesagt“, erklären die Macher, „haben wir selbst keine Ahnung.“

Sonderpreis: Bürgerinitiative „Wunsiedel ist bunt“

Wunsiedel ist seit der Errichtung der Grabstätte von Rudolf Heß im Jahr 1987 ein Ort für rechtsextreme Aufmärsche. Um dagegen zu demonstrieren, gründeten Anwohner im Jahr 2005 die oberfränkische Bürgerinitiative „Wunsiedel ist bunt“. Seitdem bringt sie die verschiedenen Akteure gegen Rechtsextremismus zusammen – das gefiel auch der Jury des Bürgerkulturpreises und belohnte die Initiative mit 5000 Euro. Außerdem finden natürlich nicht nur zu Heß’ Todestag Protestaktionen gegen die rechte Szene statt: Das ganze Jahr über sorgt sie für einen Austausch zu aktuellen Entwicklungen der rechten Szene in der Region und engagiert sich an Schulen gegen Rassismus.

Für internationales Aufsehen sorgte „Wunsiedel ist bunt“ mit ihrem Spendenlauf „rechts-gegen-rechts“. Statt Gegendemonstrationen oder Ignorieren wurden im Jahr 2014 die 250 Neonazis zum „unfreiwilligsten Spendenlauf Deutschlands“ begrüßt. Die Idee: Für jeden von den Rechtsextremen zurückgelegten Meter gingen zehn Euro an das Aussteigerprogramm Exit-Deutschland. Die „Läufer“ selbst erfuhren davon natürlich erst auf der Strecke. Über das Projekt berichteten Zeitungen aus den USA bis nach Russland. Am Ende des Tages kamen 16 000 Euro zusammen, um Willigen beim Ausstieg aus der rechten Szene zu helfen, berichtet Wunsiedel-ist-bunt-Sprecher Jürgen Schödel.

Der Widerstand der Wunsiedler gegen rechts gilt mittlerweile bundesweit als Vorbild und wurde bereits mehrfach ausgezeichnet. Ab 2008 konnten die Heß-Gedenkmärsche aufgrund einer Gesetzesverschärfung leichter verboten werden. 2011 wurde Heß’ Grabstätte sogar komplett aufgelöst. Statt seines Todestages wird nun ein „Fest der Demokratie“ gefeiert. (David Lohmann)

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