Landtag

Der Lockdown führte zu noch mehr psychischen Erkrankungen. (Foto: dpa/Schuldt)

04.02.2022

Volkskrankheit psychische Störung

Ein Drittel der Bevölkerung in Bayern ist von der Diagnose betroffen

17 Prozent der Kinder und Jugendlichen und 28 Prozent der Erwachsenen in Bayern haben psychische Auffälligkeiten beziehungsweise Störungen. Das geht aus dem Bericht der Staatsregierung zur Situation der psychiatrischen, psychotherapeutischen und psychosomatischen Versorgung hervor, den der Medizinaldirektor Daniel Renné im Gesundheitsausschuss vorstellte.

Frauen sind von psychischen Erkrankungen häufiger betroffen als Männer. Sie leiden oft unter Neurosen, Kinder unter Entwicklungsstörungen. Mit zunehmendem Alter steigt die Gefahr, psychisch zu erkranken. Das zeigt sich laut Renné auch an der Verschreibung von Psychopharmaka. „Möglicherweise kommen die steigenden Zahlen aber auch durch die zunehmende Sensibilisierung und abnehmende Tabuisierung des Themas zustande“, betonte er. 

Selbstmorde werden hingegen häufiger von Männern begangen. Insgesamt lag die Zahl der Suizide in Bayern 2019 bei 1529. Die Unterschiede bei den Geschlechtern nehmen vor allem im Alter zu – besonders ab 70 Jahren. Renné führte das auf Kontaktverluste und Einsamkeit, bei Männern kombiniert mit dem Wegfall der beruflichen Bestätigung und einer Pflegebedürftigkeit, zurück. „Die überwiegende Anzahl der Suizide geht mit einer psychischen Erkrankung oder akuten Krisensituation einher“, betonte er. Im Vergleich zu 1979 sei die Selbstmordrate aber um 40 Prozent gesunken. 

Die Gründe für eine psychische Erkrankung sind laut Renné vielfältig: schwierige familiäre und soziale Verhältnisse sowie Arbeits- und Lebensbedingungen, eine traumatisierende Fluchterfahrung oder Einsamkeit. Drogen könnten ebenfalls ein Auslöser sein. Ein Fünftel der Bayern rauche, 256 000 seien alkohol-, 290 000 medikamentenabhängig und 66 000 nähmen illegale Drogen.

Aber auch die Arbeit kann zu psychischen Erkrankungen führen. Fast die Hälfte aller Beschäftigten in Bayern steht laut Bericht unter starkem Termin- und Leistungsdruck. Jeder Siebte sieht sich an der Grenze der Leistungsfähigkeit. Das gilt besonders für Menschen in der Schicht- und Nachtarbeit. Psychische Krankheiten seien inzwischen die zweithäufigste Ursache für Arbeitsunfähigkeit. 39 Prozent der Rentenzugänge entfielen darauf, 37 Prozent der Arbeitslosen hätten eine psychiatrische Diagnose. 

Im Jahr 2000 ist ein neuer Aspekt für psychische Erkrankungen hinzugekommen: der Lockdown. Studien zeigen eine Zunahme von psychischen Belastungen und eine Änderung des Suchtverhaltens. Im ersten Lockdown 2020 traf dies vor allem Menschen in Heimen und Pflegeeinrichtungen, im zweiten Lockdown 2021 alle – besonders aber jüngere Menschen. „Wer bereits bestehende psychische Störungen hatte, für den hat die Situation zu zusätzlichen Belastungen geführt“, sagte Renné.

Behandelt werden Menschen mit psychischen Erkrankungen überwiegend ambulant – allerdings gibt es laut Renné regionale Versorgungsunterschiede. Die erste Anlaufstelle seien in der Regel Haus- beziehungsweise Kinder- und Jugendärzte. 64 Prozent der Fälle würden dort diagnostiziert. Insgesamt gibt es laut Staatsregierung in Bayern in kinder- und jugendpsychiatrischen Abteilungen 807 Betten und 517 teilstationäre Plätze, für Erwachsene 7328 Betten und 1437 teilstationäre Plätze. Hinzu kommen 4237 Betten und 614 teilstationäre Plätze für psychosomatische Medizin und Psychotherapie.

Ausschusschef Bernhard Seidenath (CSU) bezeichnete den Bericht in der anschließenden Aussprache als „Standard- und Nachschlagewerk“ für alle Fragen zur seelischen Gesundheit. Seine Fraktionskollegin Beate Merk zeigte sich besorgt, dass ein Drittel der Bevölkerung eine psychische Störung hat. „Das sind enorm hohe Zahlen.“ Sie forderte, den Fokus auf Mädchen und Frauen sowie auf Menschen ab 70 Jahren zu legen. „Bei den vielen Suiziden müssen wir uns die Frage stellen, ob Altern in Würde in unserem Land noch möglich ist.“

Vizeausschusschefin Ruth Waldmann (SPD) ging der Bericht nicht weit genug. Erst im Herbst 2021 habe es eine Anhörung zum Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz im Landtag gegeben, die noch mal viele Fragen aufgeworfen habe. Beispielsweise, ob das Gesetz zu Verbesserungen bei der Unterbringung, bei der Versorgung von Jugendlichen, bei den Fortbildungen oder bei den Kontrollen von Zwangseinweisungen beigetragen hätte. Zahlen dazu fehlten.

Ähnlich argumentierte Kerstin Celina (Grüne). Sie wünschte sich außerdem Informationen über die Suizidfälle in der Corona-Krise. „Da höre ich immer wieder von deutlichen Steigerungen“, klagte sie. Auch die Zahlen zu Sucht, Drogen und Young Carer, also Kindern, die ihre Eltern pflegen, seien durch Corona sicherlich gestiegen.

Peter Bauer (Freie Wähler) forderte, die langen Wartezeiten bei der Terminvergabe zu entzerren. Besonders sorgte sich der Patientenbeauftragte der Staatsregierung wegen der gestiegenen Verordnung von Psychopharmaka für Kinder und Jugendliche, die zu einer Medikamentenabhängigkeit im Erwachsenenalter führen könnten. Ein besonderes Augenmerk müsse auch auf das Thema Flucht und Vertreibung gelegt werden. 

Dominik Spitzer (FDP) setzte sich für mehr Zeit für Patientinnen und Patienten mit psychischen Belastungen ein. Durch das Impfen und die Aufklärung sei das Thema „unter die Räder“ gekommen. Andreas Winhart (AfD) beklagte die Wartezeiten von sechs bis neun Monaten für eine Psychotherapie. (David Lohmann)

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