Nach einer Hochrechnung des Bayerischen Industrie- und Handelskammertags könnten im Freistaat 2035 1,3 Millionen Stellen unbesetzt sein, erklärte Julika Sandt. Dies sei eine Gefahr für die wirtschaftliche Stärke Bayerns und den sozialen Zusammenhalt im Land. Sie würde erwarten, dass deshalb bei der Staatsregierung und den sie tragenden Fraktionen „alle Alarmglocken schrillen“.
Stattdessen laufe in Bayern „viel schief“, führte die FDP-Politikerin weiter aus. Sie verwies auf die oft Monate dauernde Anerkennung im Ausland erworbener Berufsabschlüsse, die schlechte Integration behinderter Menschen in den Arbeitsmarkt und die noch immer unzureichende Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die es arbeitswilligen Frauen schwer mache, einer Berufstätigkeit nachzugehen.
Dabei bestehe gerade in diesem Personenkreis ein großes Arbeitskräftepotenzial. Problematisch sei vor allem das Fehlen einer ausreichenden Zahl an Kitaplätzen mit entsprechend langen Öffnungszeiten. Sandt verwies auf Bestrebungen des Bundes, den Fachkräftemangel anzugehen. Neben einer Qualifikationsoffensive nannte sie vor allem das neue Fachkräftezuwanderungsgesetz, das Zuwanderung in Arbeit und nicht in die Sozialsysteme ermögliche.
Eine an den Fakten scheiternde Wahrnehmung der Realität warf der FDP Winfried Bausback (CSU) vor. Bayern habe bundesweit den höchsten Prozentsatz an Menschen mit Migrationshintergrund im Arbeitsmarkt. Mit der Zentralisierung der Anerkennung ausländischer Abschlüsse im Pflegebereich sei ein wichtiger Schritt zur schnelleren Integration ausländischer Fachkräfte in den Arbeitsmarkt gelungen. Die kostenfreie Meisterausbildung steigere die Attraktivität von Handwerksberufen, der Pakt für berufliche Weiterbildung qualifiziere neue Fachkräfte.
Bausback sah Versäumnisse in der Zuständigkeit der Bundesregierung. Diese müsse das Personal an den deutschen Konsulaten im Ausland aufstocken, um die langen Wartezeiten für Arbeitsvisa zu verkürzen, und mehr für den Erwerb deutscher Sprachkenntnisse im Ausland tun. Bausback richtete aber auch einen Appell an die jungen Menschen im Land. „Work-Life-Balance ist auch mit einem Vollzeitjob möglich“, sagte er. Es brauche eine neue Leistungskultur im Land.
Barbara Fuchs (Grüne) sah mehrere Ansatzpunkte für die Staatsregierung, den Fachkräftemangel anzugehen. Sie führte eine bessere Förderung benachteiligter Jugendlicher an den Schulen auf, um die Quote von 5,9 Prozent von Schüler*innen ohne Schulabschluss abzusenken. Zudem sollten an allen Schularten zwei verpflichtende Berufspraktika eingeführt sowie die Berufsschulen und die überbetrieblichen Ausbildungsstätten modernisiert werden. Als positives Beispiel für konsequentes politisches Handeln nannte Fuchs neben dem Fachkräftezuwanderungsgesetz das neue Chancen-Aufenthaltsrecht des Bundes, das Asylbewerber*innen in Ausbildung oder Beschäftigung ein Bleiberecht in Deutschland ermögliche.
Eigenlob und harte Kritik wechseln sich ab
Harsche Kritik an der Staatsregierung übte Diana Stachowitz (SPD). Dass die demografische Entwicklung Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt haben werde, sei nicht überraschend gekommen. „Die Staatsregierung hat es aber versemmelt und nicht rechtzeitig darauf reagiert“, sagte sie. Statt vieler Einzelprojekte brauche es ein strukturiertes politisches Vorgehen gegen den Fachkräftemangel, wozu ihre Fraktion ein von der Parlamentsmehrheit allerdings abgelehntes Antragspaket vorgelegt habe.
AfD-Fraktionschef Ulrich Singer machte die aus seiner Sicht „ungezügelte illegale Masseneinwanderung“ für die Probleme mitverantwortlich. Es seien dadurch zu viele unqualifizierte und kaum qualifizierbare Hilfskräfte mit dem Ziel ins Land gekommen, „es sich in unserer sozialen Hängematte bequem zu machen“. Singer forderte, die Abwanderung heimischer Fachkräfte ins Ausland zu stoppen und die Bildung als Schlüssel für mehr Fachkräfte zu intensivieren.
Für den verhinderten Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) lobte dessen Parteikollege und Umweltminister Thorsten Glauber den Kurs der Staatsregierung. Man fördere das Ausschöpfen aller heimischen Potenziale, kümmere sich in Anwerbeaktionen um gezielte Zuwanderung von Fachkräften aus dem Ausland und baue die Kinderbetreuung kontinuierlich aus. „Diese Regierung braucht keine Nachhilfe, dass Bayern ein starkes Bundesland bleibt“, betonte Glauber.
Alexander Hold (Freie Wähler) verwies auf zahlreiche bildungspolitische und berufsvorbereitende Maßnahmen an den Schulen, die Stärkung der dualen Ausbildung und die Programme zur Integration ausländischer Arbeitskräfte. Vieles von dem, was Bayern auf den Weg bringe, werde aber von der Bundesregierung konterkariert. (Jürgen Umlauft)
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