Leben in Bayern

Britta Bannenberg, Kriminologin und Rechtsprofessorin, analysiert Amoktäter. (Foto: dpa)

02.08.2016

"Amoktaten können verhindert werden"

Britta Bannenberg von der Uni Gießen erforscht Amoktaten. Nur wenige Wochen vor der Attacke in München präsentierten die Professorin und ihr Team neue Studienergebnisse. Manche der Erkenntnisse machen Mut

Gießener Forscher haben 35 Amokläufe junger Menschen seit 1990 analysiert. Ihre Ergebnisse stellen sie Ende Juni vor - und werden nur einen Monat später von der Aktualität eingeholt, als ein 18-Jähriger in München zur Waffe greift und neun Menschen tötet. Die Erkenntnisse der Forscher zu Ursachen, Merkmalen und Vorbeugung solcher Gewalttaten sind aktueller denn je. Kriminologin und Studienleiterin Britta Bannenberg sagt nach der Münchner Attacke: Amoktaten sind selten - und können durchaus verhindert werden. FRAGE: Wer wird nach Ihren Forschungen zum Amoktäter?
ANTWORT: Zur Kerngruppe gehören junge Menschen, die psychopathologisch auffällig sind. Deshalb beschäftigen sie sich überhaupt mit der Idee, so etwas zu tun. Es sind nicht die Computerspiele, nicht das Mobbing - das wirkt als Verstärker. In der Regel handelt es sich um eine narzisstische Persönlichkeitsstörung mit paranoiden Anteilen. Und die Personen tragen ein Motivbündel von Wut, Hass und Rachegedanken in sich. FRAGE: Wer sich wegen eines Drohverhaltens eines anderen sorgt, kann bei Ihnen und Ihrem Team anrufen. Was raten Sie dann?
ANTWORT: Wir versuchen zunächst Fakten abzufragen, warum der Anrufer sich sorgt. Also: Wer beunruhigt Sie? Seit wann? Gibt es drohende Äußerungen, Verhaltensweisen oder Posts im Internet? Dann frage ich, wie die Persönlichkeit der Person eingeschätzt wird. Ist es ein stiller, zurückgezogener Mensch? Hat er mit Amok und Tod gedroht? Hat er Zugang zu Schusswaffen, einen auffälligen Kleidungsstil, ein besonderes Interesse wie Computerspiele? Ich frage also Puzzlestücke ab, die ins Profil passen könnten. Manchmal ist es sehr eindeutig, dann kann man nur sagen: Sofort die Polizei und Schule einschalten. FRAGE: Wie kann ich erkennen, ob jemand gefährdet ist?
ANTWORT: Diejenigen, die solche Taten begehen, lassen im Vorfeld nicht nur mal eine Drohung fallen, sondern mehrere. Sie vermischen manchmal auch Suizid- und Tötungsabsicht. Sie sagen: Ich bringe mich um, aber vorher mache ich noch etwas, das ihr nie vergessen werdet. Das machen sie oft nicht konkret, sondern deuten das beunruhigend und teils massiv an. Oder sie glorifizieren andere Attentäter.

"Täter lassen im Vorfeld nicht nur eine,
sondern mehrere Drohungen fallen"

FRAGE: Nicht jeder, der sich komisch verhält, ist gleich ein künftiger Amokläufer. Wie vermeide ich Überreaktionen?
ANTWORT: Es geht nicht darum, Menschen an den Pranger zu stellen, wenn sie mal eine unangenehme, aggressive Äußerung machen, das machen ja viele. Die Persönlichkeit muss mitbetrachtet werden. Handelt es sich um einen zurückgezogenen Menschen, den man nicht gut einschätzen kann, der Vieles feindselig interpretiert, der kaum mit anderen kommuniziert? Gefährdete zeigen in ihrem ganzen Verhalten einen unberechenbaren, negativen Lebensstil, der eine Gewalttat nahe legt. FRAGE: Welche Folgen hatten Ihre Beratungen bisher?
ANTWORTEN:
Wir bieten die Beratungsgespräche in dieser Form seit gut einem Jahr an. Ich gehe davon aus, dass zwei Drittel der 40 Anrufe sehr ernsthaft waren. Einige Folgen: Wohnungen wurden durchsucht, Pläne gefunden, Waffen weggenommen. Es gab Einweisungen in die Psychiatrie - teils mit Einverständnis des Betroffenen. Der merkt ja auch: Mein Leben geht den Bach runter. Übrigens distanzieren sich diese Personen gar nicht immer. Einer sagte zum Beispiel: Ja, ich habe solche Gedanken seit einem Jahr. Er wisse auch nicht warum. FRAGE: Sie und Ihr Team haben unter anderem 35 Amoktaten junger Menschen untersucht. Hätte man sie verhindern können?
ANTWORT: Ja. Wenn Hinweise in den Schulen entsprechend zusammengeführt worden wären. Zwar waren die Fälle unterschiedlich, aber einige Täter haben über zwei Jahre hinweg deutlichste Signale gesandt, dass sie so etwas vorhaben. Das wussten viele, es ist aber nicht zusammengeführt, nicht der Polizei gemeldet worden. Das ist einer der Gründe, warum wir Beratungsnetzwerke empfehlen - und für Schulen ganz speziell. Sie brauchen Unterstützung durch geschulte Personen wie Präventionsbeamte der Polizei, die Ansprechpartner sind für solche schwierigen Probleme. Wir brauchen viel mehr Netzwerke.

"Schulen brauchen Unterstützung
durch geschulte Personen"

FRAGE: Was gehört noch zur Prävention?
ANTWORT: Wir haben es bei potenziellen Tätern mit einem seltenen, spezifischen Persönlichkeitstyp zu tun - der braucht auch eine spezifische Intervention. Man versucht gerade bei Jugendlichen, ein soziales Netz um eine solche Person zu stricken. Das Wichtigste ist, in irgendeiner Form die Hand zu reichen. Vielleicht braucht es auch einen Psychiatrie-Aufenthalt. Es gibt Möglichkeiten, Dinge still und ruhig zu klären. Es ist also nicht immer der SEK-Einsatz. Der ist dann gefragt, wenn nichts mehr zu machen ist. (Interview: Carolin Eckenfels, dpa)

ZUR STUDIE:
Forscher der Uni Gießen haben im Rahmen eines vom Bund geförderten Verbundprojektes Amoktaten und Amok-Androhungen seit 1990 analysiert. Publikationen dazu sind für dieses Jahr und 2017 geplant.

ZUR PERSON:
Prof. Britta Bannenberg (52) forscht an der Uni Gießen und hat dort die Professur für Kriminologie inne.

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