Leben in Bayern

Völlig ineinander verkeilt: Bei Bad Aibling waren Anfang Februar zwei Züge frontal zusammengestoßen. (Foto: dpa)

18.07.2016

Anklage gegen Fahrdienstleiter von Bad Aibling

Ein Fahrdienstleiter der Bahn spielt auf dem Handy, statt sich um den Zugverkehr zu kümmern. Er wird abgelenkt und lässt zwei Züge frontal aufeinander zurasen. 12 Menschen sterben

Gut fünf Monate nach dem Zugunglück von Bad Aibling hat die Staatsanwaltschaft Traunstein Anklage gegen den Fahrdienstleiter erhoben. Sie wirft dem Mitarbeiter der Deutschen Bahn (DB) fahrlässige Tötung in 12 Fällen und fahrlässige Körperverletzung in 89 Fällen vor.

Es bestehe der Verdacht, "dass der Fahrdienstleiter entgegen einem bestehenden Verbot im Dienst bis unmittelbar vor der Kollision der Züge durch die Nutzung eines Online-Computerspiels abgelenkt war", teilte die Ermittlungsbehörde am Montag mit. Daher sei der Mann von falschen Annahmen ausgegangen, was den Kreuzungsverkehr der beiden Züge betrifft.

Beim Frontalzusammenstoß zweier Meridian-Züge auf eingleisiger Strecke waren am 9. Februar in der oberbayerischen Stadt zwölf Menschen ums Leben gekommen. Fast 90 Insassen wurden verletzt. Es handelt sich um eines der schwersten Zugunglücke in der deutschen Nachkriegsgeschichte.

"Ein furchtbares Einzelversagen"

Traunsteins Leitender Oberstaatsanwalt Wolfgang Giese hatte schon wenige Tage nach dem Unfall über den damals 39 Jahre alten Fahrdienstleiter gesagt: "Hätte er sich regelgemäß, also pflichtgerecht, verhalten, wäre es nicht zum Zusammenstoß gekommen." Und Oberstaatsanwalt Jürgen Branz ergänzte: "Was wir momentan haben, ist ein furchtbares Einzelversagen."

Der Fahrdienstleiter sitzt allerdings erst seit April in Untersuchungshaft. Nachdem die Ermittler anfangs lediglich von einem Signalfehler des Mannes und der falschen Bedienung des Notrufes ausgegangen waren, blieb der 39-Jährige wochenlang auf freiem Fuß. Erst als das Auslesen der Daten auf seinem privaten Smartphone das Online-Computerspiel unmittelbar vor dem Unfall zu Tage förderte, erließ der Ermittlungsrichter auf Antrag der Staatsanwaltschaft Haftbefehl.

Ein technischer Defekt konnte nicht festgestellt werden, wie die Staatsanwaltschaft mitteilte: "Die Überprüfung der bahntechnischen Anlagen an der Unfallstrecke und im Stellwerk einschließlich der Funktechnik durch mehrere technische Sachverständige ergab keine Anhaltspunkte für technische Mängel als Unfallursache."

Rechtsanwalt Friedrich Schweikert, der insgesamt 16 Angehörige von Todesopfern und Verletzte als Nebenkläger vertritt, wollte sich zunächst nicht zur Anklageerhebung äußern. Er müsse sich die Anklage erst anschauen, sagte er.

Der Prozess könnte im Herbst beginnen

Auch die Deutsche Bahn gab zunächst keine Stellungnahme ab. Sie verwies auf das laufende Verfahren und äußerte sich auch nicht zur Frage, ob sie dem Fahrdienstleiter einen Rechtsbeistand stellt. Die Bayerische Oberlandbahn (BOB) als Betreiber der Meridian-Züge äußerte sich ebenfalls nicht zur Anklageerhebung. Auch Bad Aiblings Bürgermeister Felix Schwaller (CSU) wollte nichts dazu sagen.

Das Landgericht Traunstein muss nun prüfen, ob es die Anklage zulässt. Stimmt sie zu, muss die zuständige Kammer eine Hauptverhandlung ansetzen und dafür Termine bestimmen. Die Vorbereitungszeit wird von Verfahrenskennern auf drei bis vier Monate geschätzt. Der Prozess könnte also noch in diesem Jahr beginnen. Die Höchststrafe bei fahrlässiger Tötung beträgt fünf Jahre.

Die Zahl der Opfer des Zugunglücks wäre womöglich noch deutlich höher gewesen, wenn nicht an jenem Unglückstag, dem Faschingsdienstag, Ferien in Bayern gewesen wären. An Schultagen sitzen in den Zügen morgens viele Kinder und Jugendliche. Bad Aibling ist Sitz mehrerer Schulen.

Die Meridian-Züge auf der Strecke zwischen Holzkirchen und Rosenheim werden privat von der BOB betrieben, einer Tochter der Transdev mit deutschem Sitz in Berlin. Die Infrastruktur wie Gleise und Signalanlagen sowie die Fahrdienstleiter stellt die Deutsche Bahn. (Paul Winterer, dpa)

Fahrdienstleiter in den Stellwerken der Deutschen Bahn
Bei der Deutschen Bahn arbeiten mehr als 13 000 Fahrdienstleiter, die täglich mehr als 40 000 Züge quer durch Deutschland steuern. Auf dem 34 000 Kilometer umfassenden Schienennetz werden dafür rund 3000 Stellwerke genutzt, wo die Stellwerker Signale und Weichen per Hebel, Tasten oder Mausklick kontrollieren.
Grob gesagt gibt es vier Arten von Stellwerken. Für die Unglücksstrecke bei Bad Aibling ist ein sogenanntes Relaisstellwerk zuständig, wo die Gleispläne der Bahnhöfe und der angrenzenden Streckenabschnitte schematisch auf Stelltischen abgebildet sind. Die Gleise werden überwiegend automatisch frei gemeldet, der Fahrdienstleiter kann aber manuell eingreifen.
Die Ausbildung zum Fahrdienstleiter dauert in der Regel drei Jahre, kann aber je nach Qualifikation auf zwei Jahre verkürzt werden. Das Brutto-Jahres-Einstiegsgehalt liegt bei 31 500 Euro und kann je nach Berufsjahren, Komplexität des Arbeitsplatzes sowie Zulagen etwa für Nacht-, Wochenend- und Feiertagsarbeit auf 47 000 Euro steigen. Die Arbeitsbelastung eines Stellwerkers gilt als groß. (dpa)

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