Leben in Bayern

TÜV-Mitarbeiter Christian Falk vor seinem "Arbeitsplatz" auf der Wiesn. (Fotos: loh)

18.09.2015

Arbeitsplatz Achterbahn

Für die Abnahme des Oktoberfests müssen die Mitarbeiter des TÜV Süd schwindelfrei sein – die Staatszeitung hat sie auf die Wiesn begleitet

Wenn Münchens Oberbürgermeister das 182. Oktoberfest eröffnet, ist für die Mitarbeiter des TÜV Süd die Arbeit vorbei. Seit August haben sie die Statik der Festzelte geprüft. Und in den vergangenen drei Wochen untersuchten sie zusätzlich die Fahrgeschäfte auf Sicherheit. Seit 1929 schon unterstützt der TÜV das Münchner Bauamt, damit der Wiesnbesuch zu einer sicheren Gaudi für alle wird. Es wird gefegt, geputzt, geschmirgelt, gemalert und geschweißt: Wenige Tage vor dem Anstich herrscht auf dem Münchner Oktoberfest reger Betrieb. Während in den Festzelten schon Richtfest gefeiert wurde, beginnt für die Schausteller erst jetzt die richtige Arbeit. Die meisten von ihnen waren in den letzten Tagen noch in anderen bayerischen Städten unterwegs. Jetzt muss es daher schnell gehen. Damit trotzdem alles sicher wird, herrscht für den TÜV Süd derzeit „Hauptkampfzeit“, wie deren Sprecher Thomas Oberst bei der Begehung erklärt.

Vor dem Betrieb gibt’s eine Plakette – wie beim Auto

Normalerweise prüft das Bauamt der Stadt München die Fahrgeschäfte. Doch während der Wiesn übernimmt der TÜV seit 1929 diese Aufgabe. „Vor dem Betrieb muss im Prüfbuch eine Plakette kleben – wie beim Auto“, erläutert Oberst. Die Zuständigkeiten sind dabei klar geregelt: Der Hersteller plant, baut und konstruiert eine Anlage, der Schausteller betreibt, wartet und ist für die Sicherheit im laufenden Betrieb verantwortlich und die externen Sachverständigen führen die vorgeschriebenen Prüfungen durch. Heuer sind etwa 20 Sachverständige im Einsatz. Insgesamt zählt die Abteilung rund 45 Bau-, Maschinen- und Elektroingenieure, die sich ausschließlich mit der Prüfung so genannter Fliegender Bauten beschäftigen. Die Sachverständigen sind nicht nur in Bayern, sondern in Freizeitparks in ganz Europa, den USA, Asien und Dubai unterwegs. Auf der Theresienwiese koordiniert wie auch in den vergangenen Jahren Christian Falk den Einsatz. Während in der Dunkelachterbahn „Höllenblitz“ probeweise schon die ersten Wägen durchrauschen, stehen die Züge beim Fünfer-Looping „Olympia“ noch. Falk steigt in seinen Klettergurt und seilt sich an der Brüstung an. Tausend Tonnen Stahl stehen vor ihm. Einen Helm trägt der 40-Jährige dennoch nicht. „Wenn wir runterfallen, bringt ein Helm auch nichts“, sagt er und lacht. Anschließend steigt der Ingenieur die schmale Treppe neben den Gleisen der Achterbahn hoch. Dabei prüft er jede einzelne Schraube an jeder einzelnen Schwelle. Am höchsten Punkt hält er inne. Für einen kurzen Moment streckt er sein Gesicht in die Sonne, blinzelt und lässt seinen Blick über die glänzenden Fahrgeschäfte gleiten. „Es ist eine schöne Aufgabe“, seufzt er. Bei der Erstabnahme überprüft der TÜV zuerst die Konstruktionszeichnungen und die statischen Berechnungen. Danach finden Kontrollen der Fertigung und Bauteilversuche statt. Zuletzt wird die Anlage mit allen tragenden Bauteile sowie der elektrischen, hydraulischen und pneumatischen Einrichtungen getestet. Zusätzlich finden bei großen Anlagen wie dem Fünfer Looping jährlich Erneuerungsprüfungen statt. „Die Gebrauchsabnahme soll gewährleisten, dass ein Fahrgeschäft nach dem Umzug von einem Volksfest zum anderen wieder zuverlässig funktioniert“, erklärt Oberst. Für die Arbeit beim TÜV müssen die Mitarbeiter mehr als nur schwindelfrei sein: Einstellungsvoraussetzung ist ein Medizincheck. Dazu gehören Sehtests, Hörtests, regelmäßige Bluttests, und natürlich ist eine generelle Fitness erforderlich. „Es gibt aber auch Kollegen, die sind mit 60 noch unterwegs“, versichert Falk. Rund 100 Fahrgeschäfte prüft er jährlich – seit 13 Jahren. Zwar haben die Hersteller inzwischen Computerprogramme, welche die Beschleunigung in Achterbahnen messen. Dabei wird in den Sitzen ein Sensor angebracht, der die Bremskraft im leeren und im mit Sandsäcken beladenen Zustand prüft. Doch eine persönliche Abnahme ist unerlässlich. Angst hat Falk dabei nicht: „Wir müssen alles fahren – meistens machen wir’s aber auch gern.“ Nur die sich ständig im Kreis drehenden Kettenflieger mag er nicht. Im Jahr 2008 mussten einmal mehr als 20 Menschen in über 30 Meter Höhe aus den Gondeln des Olympia-Loopings auf der Wiesn gerettet werden. Die Ursache damals: ein durchgeschmorter Motor. Alle Eventualitäten kann eben selbst der TÜV nicht vorhersehen. Dieser versichert aber: Die Fahrgeschäfte in Deutschland sind in einem guten Zustand. „Abgesehen vom persönlichen Verantwortungsbewusstsein hat der Betreiber ein Eigeninteresse: Der Ausfall durch einen Stillstand wegen eines Zwischenfalls und der mögliche Imageschaden können schnell das wirtschaftliche Aus bedeuten“, erklärt Oberst. Außerdem gebe es durch das Baurecht und die europäische DIN-Norm einen besonders hohen Standard. Was die Prüfung kostet, will er nicht verraten, damit Wettbewerber nicht konkurrieren können. Der TÜV Rheinland und der TÜV Nord versuchen in letzter Zeit verstärkt, auch im Freistaat aktiv zu werden. Falk ist mittlerweile wieder am Boden angekommen und prüft die Fahrwerke, Kupplungen und Bremsschwerter. Sorgen macht sich Olympia-Looping-Betreiber Rudolf Barth bei den TÜV-Besuchen nicht. „Ich bin Schausteller in der sechsten Generation“, sagt er gelassen in breitem Ruhrdeutsch. „Für mich ist der Auf- und Abbau in Fleisch und Blut übergegangen.“ Auf seine Mitarbeiter sei außerdem Verlass: „Die können dat“, versichert der 76-Jährige. Sorge hätte in den 1980er-Jahren viel mehr der TÜV gehabt: „Die wollten damals nicht in die Schienen gehen.“

1300 Achterbahnfahrten – und immer noch Spaß daran

Vergleichsweise wenig Arbeit machen den Prüfern die Festzelte: Sie sind das ganze Jahr eingelagert. Lediglich wenn die Balken auf der Theresienwiese ankommen, wird geschaut, ob sie morsch, die Metallstangen rostig oder Dekorationsteile vermodert sind. Nach dem Aufbau prüfen Falk und seine Kollegen, ob die Treppen trittsicher, die Fluchtwege breit genug und die kompletten Einrichtunggegenstände schwer entflammbar sind. Außerdem darf es auf den Balkongeländern keine Abstellflächen geben, damit keine Maß auf die feiernde Masse fällt. Umfangreicher ist die statistische Berechnung nur bei neuen Zelten wie dem Marstall oder dem heuer vergrößerten Schützenfestzelt. Daher dürfte 2016 auch die Abnahme des Hacker-Zeltes länger dauern. Dort sind größere Änderungen geplant. Zum Abschluss der Begehung wird das Olympia-Looping angeworfen. Der Motor dröhnt und die Bügel schnappen nach hinten. Falk rüttelt mehrmals daran, ob die Verriegelung hält. „Die meisten Probleme entstehen durch den Verschleiß“, weiß der Ingenieur. Deswegen ist während der Wiesn ein Bereitschaftsdienst des TÜV vor Ort, der ausgetauschte Teile begutachtet. Doch jetzt folgt für den 40-Jährigen erst mal der schönste Teil seiner Arbeit: die Probefahrt. „Durch die vielen Fahrten stumpft man zwar mit der Zeit ab“, erzählt Falk. Er werde aber während der Wiesn auch privat fahren. „Meine zwei Söhne verlangen das“, sagt er , lacht, schließt den Bügel und rauscht davon. (David Lohmann)

Kommentare (0)

Es sind noch keine Kommentare vorhanden!
Die Frage der Woche
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2024

Nächster Erscheinungstermin:
28. November 2025

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 29.11.2024 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.