Leben in Bayern

Prominenter Kunde: Auch beim ehemaligen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber hat Ines Lobenstein schon einen Test durchgeführt. (Foto: Andrea Weber)

09.04.2021

Auch Wolfratshausen hofft auf mehr Freiheit

Dank Ines Lobenstein von der Caritas läuft das Testen in Edmund Stoibers Wohnort wie am Schnürchen – jetzt will die Stadt eine von Bayerns Corona-Modellregionen werden

Wo vor Corona Kunst und Kultur in Wolfratshausen ihre Heimat hatten, liegen nun jede Menge Tropfschälchen und Testutensilien herum. In den Räumen des Kulturvereins Isar-Loisach baute Ines Lobenstein mit Helfer*innen bereits im Dezember die erste Teststation Wolfratshausens auf. Jetzt hat sie gemeinsam mit Mitstreiter*innen ein detailliertes Testkonzept ausgearbeitet. Mit ihm hat sich die Stadt als Corona-Modellregion beworben.

Als einst Anton Schwankl 1826 in seiner Buchbinderwerkstatt in Wolfratshausen Papierseiten falzte und das Leder für den Einband schnitt, hätte er wohl nie erahnen können, was knapp 200 Jahre später auf die Menschheit zukommen sollte: eine Pandemie, die Wirtschaft und Politik in die totale Schieflage bringt.

Das historische Gebäude am Schwankl-Eck, wo einst Buchbinder Anton hantierte, hat heute der Kulturverein Isar-Loisach angemietet. Eigentlich für Kunst und Kultur. Seit vergangenen Dezember aber befindet sich dort die erste Corona-Teststation des Landkreises Bad Tölz-Wolfratshausen. Eine Eigeninitiative von ehrenamtlichen Mitgliedern verschiedener ortsansässiger Vereine. Täglich stehen seitdem Menschen die Straße der Wolfratshauser Altstadt entlang, um sich kostenlos testen zu lassen. Auch um einen Moment der Normalität zurückzubekommen.

Treibende Kraft damals: Ines Lobenstein. Sie ist es als Obdachlosen-Beauftragte der Caritas in Wolfratshausen gewohnt, pragmatisch zu handeln. Als Markus Söder vor Weihnachten verkündete, dass Menschen mit negativem Corona-Test ihre Angehörigen im Pflegeheim besuchen dürften, fackelte Lobenstein nicht lange. Damals sei die Durchführung von Testungen in den ortsansässigen Pflegeheimen aus Kapazitätsgründen schwierig gewesen und in Hausarztpraxen kosteten Corona-Tests bis zu 80 Euro. „Wie sollten sich das Menschen mit Grundsicherung leisten können?“, fragt die 55-Jährige. Sie holte deshalb den Wolfratshauser Arzt Jens Klein ins Boot und kümmerte sich um Schnelltests zum Einkaufspreis. Der Kulturverein Isar-Loisach bot seine angemieteten Kunsträume am Schwankl-Eck an, um dort anstelle farbenfroher Kunstwerke nun Teststäbchen und Tropfschälchen aufzustellen. Zwei Tage vor Weihnachten ging die neue Corona-Teststube an den Start. Menschen, die Angehörige im Heim besuchen wollten, oder Personen mit Grundsicherung zahlten damals pro Testung zehn Euro, alle anderen 40 Euro. Finanziert wurde das aus Spenden.

Ursprünglich sollte die Teststube nur über die Feiertage bestehen. Doch Woche für Woche entschieden die Organisatoren: „Wir machen weiter.“ Im Schnitt kommen heute täglich rund 100 Menschen pro Stunde. Seit Anfang März kann sich jeder, der will, einmal pro Woche kostenlos testen lassen. „Das geht wie am Fließband“, sagt Lobenstein. So ernst die Lage auch ist, sie hat ihren Humor behalten: „So viele habe ich noch nie zum Weinen gebracht“, sagt sie und meint damit die Tränen, die beim unangenehmen Pinseln an der Nasenwurzel entstehen.

Bei ihrem Besuch erzählen viele Menschen Lobenstein, warum sie da sind. Ein alter Herr zum Beispiel habe wöchentlich das Angebot in Anspruch genommen, weil er seine Frau im Pflegeheim besuchte, bis sie verstarb. Seitdem kommt er nicht mehr. Eine Frau weinte sogar aus Angst, dass die Teststation wieder schließen könnte. „Dann kann ich meine Mutter nicht mehr sehen.“

2000 Tests wurden am Schwankl-Eck bereits durchgeführt. Dabei wurden 13 Corona-Positive entdeckt. Das klingt wenig, aber jeder erkannte Infizierte ist ein kleiner Schritt, die Pandemie einzudämmen. Auch der ehemalige Ministerpräsident Edmund Stoiber war vor Kurzem da. Um sich selbst testen zu lassen und um den Aktiven in seiner Heimatstadt seinen Dank und Respekt zu zollen. „Ich bin beeindruckt, wie das Team um Frau Lobenstein hier früh mit den Testungen begonnen hat und wie selbstverständlich sich Engagierte der örtlichen Vereine zusammengetan haben. Diesen Gemeinschaftssinn finde ich großartig“, sagt Stoiber.

Drei Monate gibt es die Teststation am Schwankl-Eck nun schon. Drei Monate haben die Verantwortlichen Erfahrung gewonnen und Logistik sowie Organisation verbessert. „Uns war von Beginn an klar, wir müssen was tun und nicht warten, bis andere was tun“, sagt Robert Klingel, erster Vorsitzender der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) Schäftlarn-Wolfratshausen, die inzwischen vom Landkreis als Betreiber der Teststube am Schwankl-Eck eingesetzt wurde. Damit ist nun auch die finanzielle Seite endlich geklärt. Die DLRG bekommt eine angemessene Aufwandsentschädigung für Personal, Hygienemaßnahmen und Beschaffung der Tests im Rahmen der bayerischen Testverordnung vom Freistaat. Wolfratshausen will nun die Testkapazitäten ausbauen. Unterstützer gibt es genug: Neben der DLRG und dem Kulturverein Isar-Loi-sach sind auch die freiwillige Feuerwehr Weidach und die Bergwacht Wolfratshausen mit an Bord.

Jüngst hat sich Wolfratshausen für das Pilotprojekt „Corona-Tagesticket“ beim Freistaat beworben. Dabei sollen in Modellregionen einzelne Bereiche wie Einzelhandel, Kultur und Gastronomie nach dem Vorbild Tübingens geöffnet werden, begleitet von einem strengen Testkonzept. Dazu haben die Dritte Bürgermeisterin Annette Heinloth (Grüne) und die Stadträtin Ulrike Krischke von der Bürgervereinigung Wolfratshausen mit Ines Lobenstein und Robert Klingel ein detailliertes Konzept ausgearbeitet.

„Wir brauchen kreative Wege aus der Krise“

Mit dem Konzept „Tagesticket WOR“ soll der Zutritt zu geschlossenen Betrieben, Lokalen und Kulturstätten durch einen tagesaktuellen Schnelltest ermöglicht werden. Das Konzept sieht auch weitere Teststationen im Stadtgebiet vor. Eine Bestätigung des negativen Testergebnisses gibt es schriftlich oder digital – eben als Tagesticket WOR. Es behält seine Gültigkeit für 24 Stunden. Die Entscheidung, ob Wolfratshausen zu den acht vom bayerischen Gesundheitsministerium ausgewählten Pilotstädten in Bayern gehören wird, steht allerdings noch aus. Söder hat den Start für die Modellregionen diese Woche um mindestens zwei Wochen verschoben. Für Stadträtin Krischke steht aber weiterhin fest: Sie wären die einzige Perspektive, um in Wolfratshausen wieder in ein weitgehend normales Leben zurückkehren zu können.

Derweil wird im Schwankl-Eck weiterhin kostenlos getestet. Jeden Tag wird die Schlange der Testwilligen länger. Die Kapazität kommt langsam an ihre Grenzen. Deshalb soll es in Wolfratshausen auch dann weitere Teststationen geben, wenn die Stadt keine Corona-Modellregion wird. Die Enttäuschung allerdings wäre wohl groß. Denn die Wolfratshauser Initiatoren betonen: „Wir brauchen kreative Wege aus der Krise und dürfen uns nicht dauerhaft den Inzidenzwerten hingeben.“
(Andrea Weber)

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