Leben in Bayern

Pharao aus Legosteinen: Am 23. März öffnet das Günzburger Legoland wieder seine Pforten, aber hinter den Kulissen rumort es gewaltig. (Foto: Legoland)

15.03.2013

Aufstand im Paradies

In vielen Freizeitparks und Kirmesattraktionen gelten Arbeitsbedingungen und Bezahlung als mies – doch die Wut der Mitarbeiter wächst, etwa im Günzburger Legoland

Es ist eine beeindruckende Skulptur, welche die Besucher des „Reichs der Pharaonen“ erwartet: Eine fünf Meter hohe Pharaonen-Statue, errichtet aus hunderttausenden Legosteinen, soll zum neuen Besuchermagnet des Günzburger Legolandes werden. Ab dem 23. März öffnet Bayerns größter Freizeitpark wieder seine Pforten und verspricht für stattliche Eintrittssummen den anreisenden Besuchern jede Menge Familienspaß. Um die Besucher zu unterhalten, scheut das Legoland-Management keine Kosten: 6000 Quadratmeter vollgestopft mit jeder Menge Attraktionen verspricht alleine das brandneue Pharaonenreich.
Zugleich zeigt sich Legoland gerne als soziales Unternehmen. Tausende Eintrittskarten verschenkten die Günzburger seit der Eröffnung des Parks im Jahr 2002 an bedürftige Familien. Bayerns Familienministerin Christine Haderthauer (CSU) dankte dem Konzern im Februar für dessen „großzügige Unterstützung“. Gewerkschafter und Teile der Belegschaft zeichnen seit Monaten freilich ein ganz anderes Bild des Unternehmens: Sie werfen Legoland Lohndumping und Schikanen gegen Arbeitnehmervertreter vor. „Die Legoland-Chefs scheinen ein Problem mit Betriebsräten, betrieblicher Mitbestimmung und Gewerkschaften zu haben“, ist man etwa bei der Gewerkschaft NGG überzeugt.
In der abgelaufenen Saison zahlte das schwäbische Kinderparadies neuen Saisonkräften ein Einstiegsgehalt von sieben Euro brutto pro Stunde, geringfügig Beschäftigte erhielten sogar nur 6,50 Euro. Für jeden gearbeiteten Sommer kamen 25 Cent Stundenlohn hinzu. „Davon kann man im teuren Bayern kaum leben“, klagt Schwabens NGG-Chef Tim Lubecki. Legoland sei ein „Niedriglohnland“, so der Vorwurf der Gewerkschaft. Eine langjährige Saisonkraft: „Mein Gehalt reicht nicht einmal, um mit meinen Kollegen mal in eine Kneipe zu gehen.“ Er fühle sich als „Mitarbeiter zweiter Klasse“.
Der Anteil der Saisonarbeiter im Legoland ist wie in anderen Freizeitparks hoch: Etwa 900 der im Sommer bis zu 1100 Mitarbeiter arbeiten nicht das ganze Jahr über. Der gewerkschaftliche Organisationsgrad ist deshalb gering. Dennoch gelang es der NGG Ende Oktober, erstmals in der Geschichte des Freizeitparks einen Warnstreik zu organisieren. Etwa 70 Angestellte protestierten. „Arbeit macht arm“, war auf einem ihrer Transparente zu lesen. Hauptziel: die Einführung eines Tarifvertrags im Legoland.
Die Geschäftsführung des Parks lehnt dies zwar ab. Allerdings steigen ab dieser Saison die Einstiegsgehälter. Ungelernte Kräfte erhielten für einfachste Tätigkeiten ab dieser Saison acht Euro in der Stunde, so eine Sprecherin. Hinzu kommen schon länger Bonuszahlungen. So erhalten etwa Angestellte, die nur wenig fehlen, mehr Geld. Dies kann jedoch mitunter dazu führen, dass Mitarbeiter auch krank arbeiten.
Als „völlig undurchsichtig“, bezeichnet Gewerkschafter Lubecki das Prämien-System. Noch deutlicher wurde Ende 2012 Nikolaus Lauter, Betriebsratsvorsitzender von Legoland. Er kritisierte in einer Zeitung die Bonuszahlungen scharf: „Das läuft völlig intransparent hinter dem Rücken des Betriebsrats.“ Manche bekämen mehr, manche weniger und manche gar nichts. „Bei uns heißt das nur Kumpelbonus.“ Zudem seien Kollegen nach dem ersten Warnstreik „ganz massiv“ von Vorgesetzten bedroht worden: „Manche wurden angeschrien, und man hat ihnen gesagt, dass sie nächstes Jahr keinen Vertrag bekommen, wenn sie noch einmal streiken“, wurde der Betriebsratsboss damals in der SZ zitiert. Für die Staatszeitung war Lauter nicht zu erreichen.
Legoland bestreitet die Vorwürfe: „Bei uns wurde und wird niemand bedroht oder unter Druck gesetzt“, sagt eine Sprecherin. Die Geschäftsleitung würde dies „niemals dulden“. Nicht zuletzt wegen seinen Äußerungen zum Bonus-System will Legoland dem Betriebsratsvorsitzenden kündigen. Der Arbeitnehmervertreter habe gegen Gesetze verstoßen, so der Vorwurf des Konzerns. Am 23. März beschäftigt sich das Neu-Ulmer Arbeitsgericht mit dem Fall. Die NGG hat deshalb für den gleichen Tag zu einer Protestkundgebung aufgerufen.

Nettolöhne von gerade einmal 1,43 Euro

Die Gewerkschaft fordert das Unternehmen auf, auf die angedrohte Kündigung zu verzichten und Tarifgespräche aufzunehmen. „Wir erwarten, dass die Geschäftsleitung sich mit uns zusammensetzt und verhandelt“, sagt Lubecki. TStatt zu verhandeln, nehme Legoland aber „lieber den demokratisch gewählten Betriebsratsvorsitzenden ins Visier“. Die Belegschaft ist in dieser Frage offenbar gespalten. Während zahlreiche Mitarbeiter in einem offenen Brief an Lego-Inhaber Kjeld Kirk Kristiansen die Kündigung des Legoland-Betriebsrats scharf verurteilen, versichern 77 ihrer Kollegen ebenfalls in einem Schreiben an den Dänen, sie seien mit dem „freundlichen und kollegialen Betriebsklima mehr als zufrieden“.
Mittlerweile gerät das Unternehmen auch in die Schusslinie der Politik: Man habe „kein Verständnis, wenn hinter dieser glänzenden Fassade des Freizeitspaßes die Beschäftigten mit Lohndumping kämpfen müssen“, heißt es in einer Solidaritätsadresse der SPD-Landtagsfraktion an die Legoland-Mitarbeiter. Grüne und Linke äußerten sich jüngst ähnlich.
Bei Legoland kann man die Kritik dagegen nicht nachvollziehen. Eine Sprecherin verweist darauf, dass Saisonkräfte sogar auf einen Stundenlohn von bis 14,50 Euro kommen könnten – je nach Aufgabe und Verantwortung. Zudem werde ein guter Teil der Mitarbeiter von der Arbeitsagentur vermittelt. „Legoland bietet diesen eine Perspektive nach zum Teil längerer Arbeitslosigkeit“, betont die Sprecherin. Legoland Deutschland erwirtschaftete 2011 einen Überschuss von 2,9 Millionen Euro. Kein Wunder: Eine Familientageskarte kostet zwischen 99 und 197,50 Euro, und der Park zählt mit geschätzt 1,3 Millionen Gästen jährlich gehört der Park zu den größten Freizeitparks hierzulande. Er gehört zur britischen Merlin Group, dem größten Anbieter von Freizeitattraktionen in Europa.
Legoland ist keine Ausnahme. In vielen deutschen Themen- und Freizeitparks werden Niedriglöhne bezahlt. In der Branche schufteten „die Mitarbeiter in der Regel für Hungerlöhne“, kritisiert die Gewerkschaft Verdi. Tarifverträge gebe es in fast keiner der Einrichtungen. Zudem sei „Mitbestimmung oftmals ein Fremdwort“.
Auch eine Anfrage der BSZ bei einer Vielzahl von deutschen Themen-, Freizeitparks sowie Indoor-Attraktionen ergab, dass eine Tarifbindung und in der Branche offenbar die Ausnahme ist. Auch Betriebsräte gibt es kaum. Stundenlöhne von 7,50 Euro brutto und weniger sind weit verbreitet. Und das, obwohl eine Reihe von Parks ihre Besucherzahlen jüngst deutlich steigern konnte und die Eintrittspreise in den vergangenen Jahren vielerorts spürbar erhöht wurden. Doch auf Gehaltsabrechnungen der Mitarbeiter wirkt sich das bislang nicht oder nur spärlich aus. Denn den Gewerkschaften fehlt es vielerorts schlicht an streikbereiten Mitgliedern. Hauptgrund: Der hohe Anteil von Saisonkräften – in manchen Parks machen diese mehr als vier Fünftel der Belegschaft aus.
Auch im größten Freizeitpark Norddeutschlands, dem Heide Park, arbeiten vor allem Saisonkräfte. Wie Legoland ist der Heide Park nicht tarifgebunden. Bislang verdienen dort viele Saisonkräfte weniger als 7,50 Euro brutto die Stunde. Man wolle die Gehälter jedoch in diesem Jahr erhöhen, versichert eine Sprecherin des Parks auf BSZ-Anfrage.
Ebenso können die einfachen Mitarbeiter in diversen Skiparks oder Erlebnisbädern kaum von ihren Löhnen leben. Sechs bis sieben Euro brutto in der Stunde sind hier keine Seltenheit. Besonders mies zahlen derweil offenbar aber manche kleinen Kirmesbetriebe: So landete 2011 ein nordrhein-westfälischer Schausteller wegen Wuchers vor Gericht, weil er ein Dutzend osteuropäische Arbeiter ausgebeutet haben soll. Zwei von ihnen soll er gerade einmal einen Nettostundenlohn von 1,43 Euro bezahlt haben. Von betrieblicher Mitbestimmung können die meisten Mitarbeiter der Kirmesbuden ohnehin nur träumen.
Doch auch der größte Freizeitpark im deutschsprachigen Raum, der Europa-Park in Rust, hat keinen Betriebsrat. „Das öffnet Willkür, etwa bei der Vergütung von Überstunden oder den Befristungen von Verträgen, Tür und Tor“, sagt Markus Borck von Verdi Baden-Württemberg. Zudem gelte für die in der Hochsaison bis zu 3400 Mitarbeiter kein Haustarifvertrag. „Die meisten Mitarbeiter im Europa-Park dürften wohl deutlich schlechter verdienen als normalerweise üblich im Hotel- und Gaststättengewerbe“, so Borck.

"Nur zufriedene Mitarbeiter machen Besucher glücklich"

Volker Klaiber, Sprecher des Europa-Parks, kann solche Aussagen nicht nachvollziehen. „Wir halten uns strikt an den Tarifvertrag für das Hotel- und Gaststättengewerbe“, versichert er. Kein Mitarbeiter im Park verdiene weniger als 8,50 Euro brutto in der Stunde. Von „Willkür“ im Umgang mit den Mitarbeitern könne keine Rede sein. Die Arbeitszeit werde korrekt erfasst „und Überstunden natürlich bezahlt“. Darüber hinaus profitierten die Angestellten von zahlreichen Bonus-Regelungen wie etwa Zuschüssen für eine private Altersvorsorge. „Unser Park liegt nicht weit von Frankreich und der Schweiz entfernt. Mit Niedriglöhnen würden wir überhaupt kein Personal mehr finden“, so Klaiber. Der Anteil der Leiharbeiter liege bei unter einem Prozent. „Einen Betriebsrat gibt es schlicht deshalb nicht, weil die Mitarbeiter bislang keine solche Arbeitnehmervertretung gewollt haben“, sagt er. Gut 4,5 Millionen Menschen besuchten den Europa-Park im Jahr 2012.
Dass vom Lohndumping in Freizeitparks und Indoor-Einrichtungen keineswegs nur Geringqualifizierte betroffen sind, zeigt das Beispiel Hamburg Dungeon: Dort verdienen auch ausgebildete Schauspieler mit acht bis zehn Euro in der Stunde gerade einmal halb so viel wie mancher Fließbandarbeiter in der Industrie.
Doch dass Dumpinglöhne zu den Werbefotos lachender Kinder nicht so recht passen, weiß man auch in der Branche. Für Ulrich Müller-Oltay, Geschäftsführer des Verbands Deutscher Freizeitparks und Freizeitunternehmen, ist deshalb klar: Wer auf dem Markt dauerhaft bestehen wolle, müsse seine Mitarbeiter anständig entlohnen. „Denn nur zufriedene Mitarbeiter machen die Besucher glücklich.“ (Tobias Lill)

Kommentare (0)

Es sind noch keine Kommentare vorhanden!
Die Frage der Woche

Soll das Gesetz für mehr Barrierefreiheit gelockert werden?

Unser Pro und Contra jede Woche neu
Diskutieren Sie mit!

Die Frage der Woche – Archiv
X
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2024

Nächster Erscheinungstermin:
28. November 2025

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 29.11.2024 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Passwort vergessen?

Geben Sie Ihren Benutzernamen oder Ihre E-Mail ein um Ihr Passwort zurückzusetzen. Bei Fragen wenden Sie sich bitte an: vertrieb(at)bsz.de

Zurück zum Anmeldeformular 

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Passwort vergessen?

Geben Sie Ihren Benutzernamen oder Ihre E-Mail ein um Ihr Passwort zurückzusetzen. Bei Fragen wenden Sie sich bitte an: vertrieb(at)bsz.de

Zurück zum Anmeldeformular 

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.