Leben in Bayern

Bergung eines Schwerverletzten in luftiger Höhe: Fast alle Flugbewegungen können mit dem Simulator in der Halle nachgestellt werden. (Foto: Peters)

04.10.2013

Bad Tölz verleiht Rettern Flügel

Aus der ganzen Welt kommen Bergretter nach Oberbayern, um für den Ernstfall zu trainieren – dort steht eine einmalige Simulationanlage zur Helikopterrettung

Zu über 10 000 Einsätzen rückt die Bergwacht im Jahr aus. Im Schnitt kommt dabei dreimal am Tag ein Helikopter zum Einsatz. Doch die Bergung eines Schwerverletzten im alpinen und unwegsamen Gelände will bis ins kleinste Detail trainiert sein. In Bad Tölz geht das auch bei widrigsten Wetterbedingungen – ohne Lärm- und Umweltbelastung.

„Zwei nach rechts“, tönt es aus dem Kopfhörer des Piloten. Er wiederholt „Zwei nach rechts“, was so viel bedeutet wie „ok, verstanden“, und manövriert sein Gefährt in luftiger Höhe mit einer Art Joystick etwa zwei Meter in die gewünschte Richtung. Von hier oben, aus der Führerkabine, sieht man jemanden in einem Transportsack auf einer schiefen Ebene liegen. Zwei junge Männer von der Bergwacht haben ihn gerade mit einem Gehänge an die Seilwinde des Hubschraubers gehängt und geben das Go zum Hochziehen.
„Stopp, stopp, stopp“, tönt es von oben. In der geöffneten Türe des Flugobjekts sitzt Windenoperator Nick Zoltan, genannt Zolli, und schüttelt den Kopf. Ein Seil hat sich verdreht, so sollte man keinen Schwerverletzten zwölf Meter in die Höhe ziehen. Also wieder alles retour, nochmal die Aufhängung geprüft und nun kann es losgehen, die Winde zieht an und hievt zwei der Männer langsam in die Höhe – den einen, ein ehrenamtlicher Bergretter, sitzend in seinen luftigen Gurten, den anderen schwitzend in seinem Rettungssack.

Verletzt ist hier zum Glück niemand. Das Szenario dient der Übung, denn im Ernstfall muss jeder Handgriff sitzen – und zwar in der kürzest möglichen Zeit, um den abgestürzten Kletterer oder verunglückten Skifahrer zu retten.
24 Einsatzkräfte aus ganz Bayern üben an diesem Wochenende in der Halle des Bergwacht-Zentrums für Sicherheit und Ausbildung in Bad Tölz die Bergung von Verletzten mit dem Hubschrauber. Und zwar unter maximal realistischen Bedingungen, mit einem Helikoptersimulator, der sich an einer Schiene am Hallendach entlang bewegt. Das Ganze passiert in Kombination mit verschiedenen Gelände-nachbildungen am Boden sowie an je zwei originalen Kabinen und Sesseln einer Seilbahnanlage, die in der Halle montiert sind. Alle Handgriffe können für den Ernstfall eingeübt werden. Diese Trainingsmöglichkeit gibt es weltweit nur ein einziges Mal – hier oben auf der Flinthöhe der Isarstadt. In Tölz lernen die Helfer nicht nur, Verletzte an steilen Hängen zu sichern oder aus ihren Seilen am Klettersteig zu befreien. Sie üben auch, Menschen aus Seilbahnen oder Gondeln zu evakuieren. Oder aus engen Gängen oder Höhlen zu bugsieren. Und auch der Gleitschirmflieger, der mit seinem Fluggerät in einem Baum oder an einem Mast hängen geblieben ist, kann sicher sein, dass dieser Ernstfall von seinen Rettern trainiert wurde.

Training im offenen Gelände ist teuer und wetterabhängig

Eine Sicherheitsunterweisung pro Jahr und einige Trainingsstunden sind Pflicht für die über 3200 aktiven Bergretter in den 115 Bergwachten Bayerns, sonst dürfen sie nicht im Helikopter eingesetzt werden. Mehr als zehntausend Einsätze bewältigt die Bergwacht im alpinen oder  unwegsamen Gelände – durchschnittlich dreimal pro Tag kommt dabei ein Helikopter von ADAC, der Deutschen Rettungsflugwacht (DRF), der Polizei oder der Bundeswehr mit zum Einsatz.

Früher mussten die Einsätze im offenen Gelände trainiert werden, die Helfer hatten mit oft widrigen Verhältnissen zu kämpfen: Nässe, Wind, schlechte Sicht. Die ausschließlich ehrenamtlichen Bergretter mussten häufig ihre Übungen abbrechen oder konnten gar nicht erst starten – dabei hatten sich viele dafür extra von der Arbeit frei genommen. Außerdem: Helikopterrettung zu üben, ist ziemlich teuer: Eine Trainingsstunde kostet bis zu 90 Euro – pro Minute. Mit der Simulationsanlage sind weitaus weniger der erforderlichen Flugstunden in freier Natur nötig.

2003 entstand innerhalb der Bergrettung die Idee mit der Halle. Es wäre doch ideal, wenn man die wichtigsten Notfall-Szenariennachbilden könnte – und zwar möglichst realistisch. Vom ungläubigen Kopfschütteln vieler ihrer Kollegen begleitet, ließ sich eine kleine Gruppe von Ehrenamtlichen gemeinsam mit Bergwacht-Bayern-Geschäftsführer Gerhard Opperer und seinem Stellvertreter Thomas Griesbeck nicht beirren. Einen Hubschrauber unter das Dach einer Halle hängen? Und wie soll der sich fortbewegen? Es war ein langwieriger Prozess, bis klar war, dass diese Utopie durchaus realisierbar ist.
Fünf Jahre lang wurde in einer alten Industriehalle mit Krananlage in Höhenkirchen bei München getüftelt und probiert, gerechnet und simuliert, bis die heutige Technik stand. Die Lösung: Von einer Kran-Doppelbrücke hängt an Stahlseilen eine Plattform, unter der eine originale Hubschrauberzelle befestigt ist. Fast alle Flugbewegungen eines Helikopters – inklusive des Schlingerns – können nachgestellt werden, um Rettungsszenarien möglichst realistisch zu trainieren.

Mit ihrer 60 mal 25 Meter großen Halle in Bad Tölz, markant mit ihrer durchsichtigen Außenhaut aus Membranfolie, hat die Bergwacht Bayern ein optimales Trainingsgelände geschaffen. Fast 10 000 Flugstunden absolvierte der Helikoptersimulator bereits seit seiner Inbetriebnahme 2008 – ganz ohne Lärm und Umweltbelastung.

Aus Malaysia und dem Iran waren schon Delegationen da
Inzwischen ist das Training in der luftigen, hellen Halle an der Flinthöhe etabliert – zwölftausend Einsatzkräfte haben es seither durchlaufen. Aus ganz Bayern kommen Retter, um für den Ernstfall zu trainieren – nicht nur von der Bergwacht, sondern auch vom ADAC, der Polizei, der Wasserrettung und der Feuerwehr. Das Küsten-Havariekommando ist da eher ein Exot. Doch in Zeiten großer Offshore-Windparks ist man auch im hohen Norden für eine Gelegenheit dankbar, Helikopterrettung zu simulieren. Das SEK übt hier Sondereinsätze, ebenso die Höhenrettung der Berufswehr. Auch aus dem Ausland kommen Rettungsspezialisten, um sich die Trainingshalle anzuschauen, sogar aus Malaysia und dem Iran waren schon Delegationen da.

Gekostet hat die Halle 6,35 Millionen Euro. Die finanziellen Mittel kamen etwa zu 30 Prozent vom Freistaat Bayern, ohne dessen Unterstützung auch heute das Hubschrauber-Trainingszentrum nicht zu halten wäre. Fast fünf Millionen Euro stehen in diesem und im kommenden Jahr für das Bergwacht-Ausbildungszentrum zur Verfügung – davon mehr als 3,6 Millionen für dessen Ausbau. Denn nun, da bewiesen wurde, dass es funktioniert, sind weitere Rettungsszenarien in den Fokus gerückt, zum Beispiel eine weitere Krananlagen mit Hubschrauber-Simulationszelle, realistischere Nachbildungen des alpinen Geländes und ein großes Wasserbecken zum Training von Wasserrettung.

Inzwischen hat sich der „Verletzte“, auch er ein Bergretter, aus seinem Bergsack befreit. Schon geht es weiter, zur nächsten Trainings-Station. Auch die Baumbesteigung zur Befreiung eines Gleitschirmfliegers, der sich im Wipfel verfangen hat, steht noch auf dem Programm. Man merkt den jungen, an diesem Tag ausschließlich männlichen Teilnehmern des Übungstags, an, dass ihnen die Aufgaben Spaß machen. Ein beruhigendes Gefühl für alle, die gerne in den Bergen unterwegs sind. Sollte es einmal zu einem Ernstfall kommen – die Retter sind bestens vorbereitet. (Gabi Peters)

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