An der gesicherten Pforte des Bayerischen Landeskriminalamtes (LKA) an der Maillingerstraße in München heißt es: Ohne Ausweiskontrolle geht gar nichts. Das gilt auch für die beiden Handwerker mit ihrem Firmenwagen, die gerade Kommunikationstechnik anliefern. Vielleicht ist sie für die neuen Mitarbeiter gedacht, die seit vergangenen Sommer beim LKA arbeiten: Als „Cybercops“ sind seitdem im Internet in Sachen Verbrecherjagd unterwegs. Es sind IT-Fachleute und Ingenieure, die über eine Sonderlaufbahn innerhalb eines Jahres zu Polizeibeamten des gehobenen Dienstes ausgebildet wurden.
Einer von ihnen ist Thomas B., er stammt aus der Oberpfalz und hat an der Verwaltungsfachhochschule in Hof Informatik studiert. Nach dem Studium war er im Münchner Landesamt für Steuern als Systemadministrator für die EDV-Sicherheit zuständig. Bis er die Stellenausschreibung des LKA las. „Mich hat das vielfältige Aufgabengebiet gereizt“, sagt B., ein junger Mann Mitte Dreißig. Er ist einer der drei neuen Spezialisten bei der so genannten Netzwerkfahndung im Dezernat 524.
Genaue Analyse der Bilder: welcher Park, welches Hotel
Bernhard Egger ist Dezernats-Leiter und sagt: „Wenn es im Internet um Straftaten geht, dann steht an erster Stelle die Kinderpornografie.“ Sie ist eines der Hauptarbeitsgebiete der neuen Cybercops. Im Unterschied zur „normalen“ Polizei, die auf bekannt gewordene oder angezeigte Straftaten reagiert, werden die Cybercops von sich aus tätig. „Wir recherchieren weitgehend unabhängig von Anzeigen“, sagt Egger. Die Beamten sind ständig virtuell unterwegs: in Internet-Foren, auf Vermittlungs-Plattformen oder in Tauschbörsen. Sie versuchen, den Verteilern und vor allen den Urhebern von Kinderpornographie habhaft zu werden.
Das ist angesichts einer globalen Szene leichter gesagt als getan. Kinderpornografie, das sei mittlerweile ein Massenphänomen, so Egger. Da geht es zum Beispiel um einen Internet-Server mit Standort in Bayern. Dieser Server diente nach einem Hackerangriff als Tauschbörse für Kinderfotos, ohne dass der Betreiber davon wusste. Innerhalb von 14 Tagen wurde 1,25 Millionen Mal weltweit auf den Server zugegriffen und erst diese hohe Zugriffszahl machte den Betreiber stutzig, er benachrichtigte die Polizei. Die versucht nun, mittels so genannter IP-Adressen, die von einem Computer ausgehen, die Nutzer zu ermitteln. Dabei geht sie ebenso wie die „Kunden“ international vor, neben der Zusammenarbeit mit den deutschen Landeskriminalämtern werden auch die internationalen Behörden über die Erkenntnisse informiert.
„Das allerschlimmste aber“, so Cybercop-Chef Egger, „sind die Hersteller der kinderpornografischen Bilder.“ Also jene, die selbst Kleinkinder missbrauchen und dabei schreckliche Videos oder Bilder herstellen. Denen versucht Thomas B. auf die Schliche zu kommen: mit der Analyse von ganzen Bildfolgen und durch die geografische Bestimmung von Regionen, wenn etwa ein Park innerhalb einer Stadt auf den Bildern zu identifizieren ist. Und ist dann noch auf einem Bild der Name eines Hotels zu lesen, zieht sich die Schlinge um den Täter immer enger. Pro Jahr kommen so an die zehn Fälle von Kinderpornografie in Bayern zur Anzeige. „Das aber“, sagt Fahnder Egger, „ist nur das Hellfeld.“ Was sich daneben im unbekannten Dunkeln des Internets abspielt, kann nur geschätzt werden.
Aber wie wirkt sich diese Art von Arbeit, die damit verbundene psychische Belastung auf die frischgebackenen Polizeibeamten aus? „Das war schon komplett neu für mich“, sagt Thomas B. „Ich wusste auch nicht, wie man damit umgeht.“ Man müsse nicht jeden Fall übernehmen und jedes Bild ansehen, relativiert der Dezernatsleiter, „wenn jemand sagt, das will ich mir jetzt nicht antun und ein Kollege einspringt, dann wird das nicht als Schwäche, sondern als Stärke angesehen“. Auf Wunsch gebe es die Hilfe der Supervision, bei der über die eigene Arbeit gesprochen werde und jeder könne aus diesem speziellen Job auch wieder heraus.
Die psychische Belastung für die Fahnder ist hoch
Neben der Kinderpronografie gibt es noch andere Tätigkeitsfelder für die Cybercops. Dazu gehört etwa die Ankündigungen von Selbstmord im Internet. Meist werden diese von den Administratoren gemeldet, also jenen Leuten, die Internet-Foren verwalten und wissen, was dort verhandelt wird. Dann werden die Beamten tätig und versuchen, die suizidgefährdete Person zu identifizieren, sie benachrichtigen die Polizei vor Ort. Ein- bis zweimal pro Woche kommen derartige Fälle vor und hinter den Internet-Ankündigungen finden die Beamten oft verwahrloste Kinder oder um Hilfe rufende Teenager.
Auch wenn Ankündigungen von Amokläufen im Internet kursieren, werden die Cybercops tätig. Das gilt auch für soziale Netzwerke wie Facebook oder Twitter. Eine eigene Dienststelle für die Recherche im Internet gibt es beim bayerischen LKA bereits seit 1995, aber die inzwischen große Verbreitung des Internets und der Anstieg der Straftaten auf diesem Gebiet machen Experten notwendig. So wurden in einem einjährigen Sonderlehrgang bis Juli dieses Jahres in Bayern insgesamt 52 neue Polizisten ausgebildet, 25 Cybercops für die Computer- und Internetkriminalität und 27 Beamte für die Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität. Normalerweise dauert die Polizeiausbildung für den gehobenen Dienst drei Jahre.
Vier dieser Experten arbeiten mittlerweile an der Maillingerstraße im Sachgebiet 625, in dem es um Wirtschaftsdelikte geht. Denn neben der Kinderpornografie ist die Computer- und Internetkriminalität ein weiterer großer Aufgabenbereich des LKA. Dabei geht es zum Beispiel um gefälschte Verkaufsportale im Internet, die zwar das Geld für eine angebotene Ware kassieren, die Ware selbst aber nie liefern. Oder es geht um Erpressung wie beim so genannten „BKA-Trojaner“. Diese Software tut so, als käme sie vom Bundeskriminalamt, lässt den heimischen Computer angeblich wegen Kinderpornografie abstürzen und verlangt eine Gebühr für die Wiederherstellung.
Und es geht um die „Untergrund-Ökonomie“, sagt Jürgen Miller, Leiter des Wirtschafts-Dezernats. Denn man kann im Internet zum Beispiel auch die illegal erworbenen Daten von Kreditkarten kaufen. Erst jüngst machte der Fall der „Eurograbber“ Schlagzeilen, bei dem Kriminelle in Europa 36 Millionen Euro von Online-Bankkonten gestohlen haben sollen. Der Raubzug funktionierte über gefälschte Web-Seiten, wodurch schließlich bei Überweisungen das Geld auf den Konten der Gauner landete. Und schließlich ist da noch das Feld der Wirtschafts-Spionage, bei dem über Hacker-Angriffe vertrauliche Informationen und sensible Firmendaten von Eindringlingen über das Internet ausspioniert werden.
Bei der Bekämpfung dieser Straftaten ist eine doppelte Kompetenz notwendig: Neben den Cybercops sind auch Wirtschaftsspezialisten gefragt. So wie Hans K. Der schwäbische Neu-Polizist studierte Betriebswirtschaftslehre und arbeitete in einer mittelständischen Bank, bevor auch er nach dem Sonderlehrgang mit einem weiteren Wirtschaftsexperten und zwei Cybercops im Sachgebiet 625 begann, nach Internet-Straftaten zu fahnden. Wie wichtig ihr Einsatz ist, macht die Zahl der Delikte in Sachen Computerkriminalität deutlich: Sie stieg von 8510 Fällen im Jahr 2010 auf 10 146 Fälle im Jahr 2011.
(Rudolf Stumberger)
Kommentare (0)
Es sind noch keine Kommentare vorhanden!