Jahrmärkte, Dulten, Volksfeste: alles abgesagt bis mindestens Ende August. Für Bayerns Schausteller*innen und Marktleute eine Frage der Existenz. Zwar sieht das Konjunkturpaket des Bundes verabschiedete Hilfen vor. Bei vielen Betroffenen aber stößt es auf harsche Kritik. Das Schlimmste an der Situation: die Ungewissheit. Denn niemand weiß, wann es wieder weitergeht.
Auf vier Jahrmärkten und Kirchweihfesten hätte Jürgen Wild seit März gearbeitet, hätte sein Kinderkarussell aufgebaut. Und seine Frau Elvira hätte am ihrem Stand Süßwaren verkauft. Ab Pfingsten wäre die Hauptsaison für ihn losgegangen. Beinahe jede Woche, bis in den Oktober hinein, wäre das Ehepaar auf einem anderen Festplatz gestanden. „Ich mag gar nicht daran denken“, seufzt der 59-Jährige aus Hersbruck. „Das ist nur noch deprimierend.“
Nie, sagt der Schausteller, nie habe er damit gerechnet, dass es so weit kommen würde. Als am 12. März die Mitarbeiter des Ordnungsamts kamen und erklärten, sie alle müssten wegen Corona bis zum Abend wieder zusammenpacken, hatten sie gerade am Fürther Fischmarkt ihren Stand aufgebaut. Und doch blieb Wild optimistisch. „Ich war mir sicher, dass wir nach Ostern wieder durchstarten dürfen“, sagt er. „Jetzt hoffe ich auf den Herbst, sonst weiß ich nicht, wie es weitergehen soll.“
„Die Verzweiflung ist groß“, sagt auch Petra Sämmer. Seit 15 Jahren ist die Würzburger Marktkauffrau mit ihrem Keramikstand auf allen größeren Märkten Bayerns unterwegs. Auf keinem einzigen war sie bis jetzt in diesem Jahr. „Mein Umsatzverlust liegt bisher bei 100 Prozent“, sagt sie. Sie kenne Kollegen, die hätten bereits aufgegeben.
Freizeitparks dürfen öffnen, aber ein Markt mit 30 bis 40 Ständen nicht
Schausteller*innen und Marktkaufleute sind von der Corona-Krise besonders hart getroffen. Während der Handel längst wieder aufsperren durfte, die Restaurants öffneten und selbst der Tourismus langsam wieder in Gang kommt, gilt für die Markt- und Volksfestbranche nach wie vor das Bund-Länder-Verdikt vom 15. April: Bis Ende August dürfen keine Großveranstaltungen stattfinden, und demnach auch keine Volksfeste, keine Dulten, Jahrmärkte oder Kirchweihfeste.
Doch auch für die Zeit danach sind die Aussichten derzeit eher düster. Denn wie es im September weitergehen soll, ob Stadtfeste und Märkte dann wieder erlaubt sind und wenn ja, unter welchen Auflagen, ist noch völlig unklar. Diese Unsicherheit macht sich bereits jetzt im Veranstaltungskalender deutlich bemerkbar. Immer länger wird auch die Liste mit den Absagen für die Herbstfeste. Prominente Beispiele sind das Münchner Oktoberfest, der Gillamoos in Abensberg und das Rosenheimer Herbstfest. Aber auch kleinere Veranstaltungen wie etwa der Krenmarkt in Baiersdorf finden dieses Jahr nicht statt. „Die Branche“, sagt Wenzel Bradac, Präsident des Bayerischen Landesverbands der Marktkaufleute und der Schausteller (BLV), „kämpft um ihre Existenz.“
Die Krise, die für die Schausteller*innen am 12. März begann, trifft die Marktkaufleute und Schausteller auch deshalb so hart, weil sie zu diesem Zeitpunkt gerade aus der Winterpause gekommen waren. „Viele haben am 23. Dezember das letzte Mal Geld verdient und dann in den folgenden Wochen in die nächste Saison investiert“, sagt Verbandschef Bradac. Stände wurden repariert, Fahrgeschäfte lackiert, die Elektrik erneuert und neue Ware bestellt. „Ich habe Kollegen, die haben ein volles Lager mit Teddybären oder Spielwaren. Alles bereits bezahlt.“ Andere hätten hohe Schulden gemacht, weil größere Reparaturen anstanden, und könnten jetzt die Kredite nicht bedienen. „Ich kann nicht sagen, dass mir meine Bank entgegengekommen wäre“, sagt Schausteller Jürgen Wild.
Wild wurde in eine Schaustellerfamilie hineingeboren. Seit 100 Jahren, erzählt er nicht ohne Stolz, sei die Familie auf Jahrmärkten und Volksfesten unterwegs. „Und jedes Jahr versuche ich es besser zu machen als im vergangenen Jahr.“ Für dieses Jahr hatte er einen neuen Tresen für den Süßwarenstand geplant. Rund 7000 Euro wollte er dafür ausgeben. Dann kam das Virus. „So kurzfristig konnte ich nur einen Teil des Materials stornieren“, sagt er. Den Rest musste er einlagern. „An Investitionen ist in dieser Situation nicht zu denken.“ In Petra Sämmers Lager stapeln sich derweil Hunderte Teller, Tassen und Schüsseln. „Ich bin das gesamte Jahr unterwegs, da muss ich meine gesamte Ware im Winter vorbestellen“, sagt die 62-Jährige. Hat auch sie bereits bezahlt? Sämmer seufzt. „Natürlich“, sagt sie.
Sämmer wie Wild haben beim bayerischen Staat die Soforthilfe beantragt – und auch bekommen. Sie sind dankbar für diese Unterstützung, kritisieren aber, dass diese Hilfe bei Weitem nicht ausreicht. „Das Geld darf zwar für Mieten und Darlehen, nicht aber für Personalkosten oder eigene Lebenshaltungskosten herangezogen werden“, sagt Wild. „Wie soll das funktionieren? Als Unternehmer lebt man doch von seinem Unternehmen.“ Auf Nachfrage wurde ihm erklärt, er könne ja Hartz IV beantragen. Diesen Schritt aber lehnt der Schausteller wie viele seiner Kolleg*innen ab. „Das ist mit unserer Berufsehre nicht vereinbar“, sagt er und fordert, wie auch der BLV und weitere Schausteller-Verbände, einen staatlichen Rettungsschirm.
Auch die nun Anfang Juni im Konjunkturpaket verabschiedeten Hilfen für Schausteller*innen und Marktkaufleute stoßen bei den meisten Betroffenen auf harsche Kritik. „Die Maßnahmen gehen am Kernproblem vorbei“, erklärte der Bundesverband Deutscher Schausteller und Marktkaufleute (BSM). Die Folgen der Absagen seien vollständige Einnahmeausfälle, nicht nur eine Minderung. Die Hilfen im Konjunkturpaket sehen vor, von Juni bis August fixe Betriebskosten bis zu einem Betrag von 150 000 Euro zu erstatten.
Fahrgeschäfte und Stände in München ab Mitte Juli: „Sommer in der Stadt“
„Es fehlt wieder einmal die Sicherung des Lebensunterhalts des Unternehmers und seiner Familie“, sagt Wild. Und der Zeitraum bis August sei einfach nur „lächerlich“. „Wir verlieren das Jahreseinkommen 2020. Das heißt, wir brauchen Hilfe bis zum Neustart der Betriebe.“ „Am schlimmsten daran ist“, sagt Petra Sämmer, „dass wir alle nicht wissen, wann wir wieder arbeiten dürfen. Diese Situation scheint einfach kein Ende zu nehmen.“
Als besonders ungerecht empfindet sie dabei, dass, trotz aller nun geltenden Lockerungen, auch kleinere Märkte und Kirchweihen bis Ende August nach wie vor verboten sind. „Freizeitparks dürfen aufmachen, aber ein Markt mit 30 bis 40 Ständen nicht“, kritisiert Sämmer. „Das verstehe ich nicht.“
Ihre einzige Arbeitsmöglichkeit zurzeit ist ein Angebot ihrer Heimatstadt. Nach der Absage des Kiliani-Volksfests hat Würzburg, um den Marktleuten zu helfen, fünf Plätze ausgewiesen, auf denen diese jeweils einen Stand aufstellen und ihre Waren verkaufen dürfen. Fahrgeschäfte sind nicht erlaubt. Nach einer Woche wird gewechselt. Ob sich das finanziell lohnt? „Das weiß ich noch nicht“, sagt Sämmer. „Was ich aber weiß, ist, dass viele Kollegen, um Geld zu sparen, ihren Fuhrpark abgemeldet haben und ihn jetzt nicht für nur eine Woche wieder anmelden können.“ Dennoch, betont die Marktkauffrau, sei die Aktion ein schönes Zeichen, dass die Stadt sie nicht vergessen habe.
Auch viele andere Städte im Freistaat haben inzwischen Konzepte aufgelegt, um die Schausteller*innen und Marktkaufleute zu unterstützen. In Fürth, Nürnberg und Landshut dürfen sie, ähnlich wie in Würzburg, an einzelnen Ständen ihre Waren anbieten. In Neuburg gibt es ab Pfingsten den „Hofgarten to go“ – drei heimische Schaustellerfamilien dürfen dort Würstl, Crêpes und Mandeln verkaufen. In Augsburg haben mehrere Fraktionen einen Prüfantrag gestellt, ob es möglich sei, Verkaufsbuden und kleinere Fahrgeschäfte im Stadtgebiet zu genehmigen.
München ist schon einen Schritt weiter. Der Stadtrat hat dem „Sommer in der Stadt“ bereits zugestimmt. Voraussichtlich ab Mitte Juli sollen an mehreren Orten im Stadtgebiet einzelne Stände und kleinere Fahrgeschäfte aufgebaut werden. Ziel ist laut Konzept die „Bespielung einer hohen zweistelligen Zahl von öffentlichen und privaten Plätzen“. „Die Planungen laufen auf Hochtouren“, sagt Bradac, den es besonders freut, dass diese Initiative von der Stadt ausgegangen sei. „Das zeigt auch, dass unsere Situation wahrgenommen wird“, sagt er. Aber, fügt er noch hinzu, retten werden solche Aktionen allein die Schausteller und Marktkaufleute auch nicht.
(Beatrice Ossberger)
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