Leben in Bayern

Karolina Sarbia und Stefan Kumpfmüller helfen Künstlerinnen und Künstlern und deren Familienangehörigen beim Ordnen ihres Vermächtnisses. Denn es gibt immer mehr ältere Kunstschaffende, die vor der Frage stehen: Wer kümmert sich um die ganzen Kunstwerke, wenn ich nicht mehr am Leben bin? (Foto: Thorsten Stark)

04.07.2025

Deponie oder Depot? Vielen privaten Kunstarchiven droht das Aus

Viele Künstlerinnen und Künstler bekommen ihre Werke nicht in Museen oder Galerien unter – eine neue Anlaufstelle hilft beim Ordnen des Nachlasses, bevor es zu spät ist

Wenn bei Karolina Sarbia das Telefon klingelt, ist fast immer eine Frau dran – obwohl es praktisch jedes Mal um Männer geht. Und gar nicht mal so selten sind diese Männer schon tot. Die Kunsthistorikerin Sarbia kümmert sich um künstlerische Vor- und Nachlässe in München.

Denn die Frage, wie man mit den Werken älterer oder bereits gestorbener Künstlerinnen und Künstler umgeht, wird zu einem immer drängenderen Thema. Es gibt nämlich so viele. Und es werden stetig mehr.

268 Mitglieder des Berufsverbands Bildender Künstlerinnen und Künstler (BBK) München und Oberbayern haben bereits das Rentenalter erreicht, immerhin rund 30 Prozent aller Mitglieder. 119 von ihnen sind mehr als 80 Jahre alt. Das älteste Mitglied wurde 1925 geboren. Dazu kommen unzählige ältere selbstständige Künstlerinnen und Künstler, die in keinem Berufsverband organisiert sind. Und diese Altersstruktur ist natürlich kein reines München-Phänomen. „Es kommt eine Flut an Nachlässen auf die Gesellschaft zu – der muss man gerecht werden“, sagt Sarbia.

Rund 30 Prozent sind über 65 Jahre

Doch die Depots der Museen sind voll. „Und der Kunstmarkt konzentriert sich auf die oberen 0,5 Prozent“, sagt Stefan Kumpfmüller, der zusammen mit Sarbia die Geschäftsführung der Künstler*innen Vor- und Nachlässe BBK München und Oberbayern innehat. „Das ist halt nicht alles.“

Denn in unzähligen Kellern, Ateliers und Dachböden schlummert das künstlerische Gedächtnis der Gesellschaft. Und das ist von der Auslöschung bedroht. Stirbt ein Künstler oder eine Künstlerin, ohne das eigene Werk vorher professionell dokumentiert zu haben, ist die Chance gering, dass es der Nachwelt erhalten bleibt. „Die Familienangehörigen haben oft gar nichts mit Kunst am Hut und können gar nicht einschätzen, wie viel etwas wert ist“, sagt Sarbia. Und dann landet im schlimmsten Fall große Kunst auf der Deponie statt in einem Depot. 

Sarbia und Kumpfmüller wollen das verhindern. Sie bieten Beratungen und Vermittlungen an Museen und andere Einrichtungen an, betreiben eine Werkdatenbank (kleines oberes Foto), in der Vor- und Nachlässe professionell erfasst werden können, und organisieren gut besuchte Veranstaltungen. Dazu gehören Symposien ebenso wie Ausstellungen. Mittlerweile gibt es auch eine Webseite (www.kunst-vor-und-nachlaesse-muenchen.de). Die Erstberatung ist kostenlos. In einigen Fällen reicht das auch schon. Bei anderen muss Sarbia tiefer einsteigen. 

Eines könnten sie den Kunstschaffenden aber auch nicht abnehmen, betont die Kunsthistorikerin: noch zu Lebzeiten ein ordentliches Werkverzeichnis anzulegen. „Die Künstler haben auch eine eigene Verantwortung, ihren Nachlass zu regeln.“ Dieses Bewusstsein soll auch in die Köpfe der Kulturschaffenden – bevor es zu spät ist.

Ehemänner sind keine Nachlassverwalter

Ihre gemeinnützige Organisation geht auf ein 2017 von der Landeshauptstadt München gefördertes Projekt des BBK München und Oberbayern zurück. Vor fünf Jahren nahm Sarbia die Arbeit mit einer halben Stelle auf, seit vergangenem Jahr ist Kumpfmüller, ebenfalls mit einer halben Stelle, mit an Bord. Er kümmert sich vor allem um administrative Aufgaben, während Sarbia für das Inhaltliche zuständig ist.

Inzwischen fördert das Kulturreferat der Landeshauptstadt die Organisation institutionell, ein weiterer Förderer ist die Anita Augspurg Stiftung des Vereins für Fraueninteressen. Die Stiftung fördert ein Forschungsprojekt mit genderspezifischem Ansatz. Denn interessanterweise sind es meist Frauen, die den Nachlass ihres künstlerisch tätigen Mannes verwalten. „Umgekehrt kenne ich keine Beispiele“, sagt Sarbia. „Nachlassarbeit ist Care-Arbeit ist Frauenarbeit.“ Diesen Eindruck könnte man schon gewinnen. 

Aufgrund der Förderstruktur liegt der Fokus der Beratung momentan auf München. Der Wunsch wäre, die Tätigkeit auf den gesamten Freistaat auszudehnen. Anders als in mehreren anderen Bundesländern gibt es nämlich in Bayern noch keine zentrale staatliche Stelle, die sich des Themas angenommen hätte. „Man fördert Künstler in jungen Jahren, irgendwann hört dann aber die Förderung auf“, beklagt Sarbia. Dabei müsste doch auch das Lebenswerk gesichert werden. „Man hat noch nicht begriffen, dass das ein Schatz ist, den man heben muss.“ Sarbia und Kumpfmüller hoffen auf eine Kooperation mit dem bayerischen Kunstministerium. Bisher haben sie sich um den Aufbau ihrer Organisation gekümmert. Nächstes Ziel ist, in der Öffentlichkeit und der Landespolitik das Bewusstsein für die Dringlichkeit des Themas zu wecken.

Einigen Interessierten konnten sie schon weiterhelfen. Ein Beleg dafür ist das imposante Kunstwerk Großes blaues Quadrat, das mit seinen blauen Federn eine Wand des Büros in der Dachauer Straße 116 in München fast komplett ausfüllt (kleines unteres Foto).

Der Traum vom eigenen Archiv

Es stammt aus dem Nachlass der im März 2024 gestorbenen Künstlerin Dorothea Frigo, die viel mit Federobjekten gearbeitet hat. Das Kunstwerk ist eine Leihgabe von Frigos Tochter, aus Dankbarkeit für eine erfolgreich vermittelte Schenkung an das Archiv der Akademie der Bildenden Künste in München. 

Das Büro zieren weitere kleine geschenkte Kunstwerke, doch auch wenn sich Sarbia und Kumpfmüller sehr gut ein eigenes Archiv – analog zum Münchner Literaturarchiv Monacensia – vorstellen könnten: Momentan ist das nur ein weiterer Wunschtraum. Weder gibt es Platz noch ein Budget für mögliche Ankäufe.

So mancher Traum wird auch bei einem Anruf in der Beratungsstelle zerstört: Um Hobbykunst kümmert man sich dort nicht. „Nicht jede künstlerische Handlung ist museal“, betont Sarbia. Es müsse sich schon um professionelle Kunst handeln, nachgewiesen durch eine entsprechende Ausbildung und/oder Nachweise von Veröffentlichungen und Katalogen.

Doch auch bei professioneller Kunst müssen Abstriche gemacht werden: Es gehe darum, den Kernbestand freizulegen und sich dann durchaus auch von Werken zu trennen, sagt Sarbia. Die Frage laute: „Was ist lohnenswert, von der öffentlichen Hand konserviert zu werden?“ (Thorsten Stark)
 

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