Leben in Bayern

Einsamkeit auf dem Gipfel wie hier in den Stubaier Alpen findet man nur noch selten in den Bergen. Fotos: dpa/Antonia Lange, Privat

19.07.2019

Der Berg ruft – immer lauter

Der Alpen-Tourismus boomt und die Umwelt leidet: In Kletter- und Wanderkursen des DAV geht es deshalb auch um den Umweltschutz

Vor 150 Jahren wurde der Deutsche Alpenverein gegründet. Dass sich der Bergsport in den letzten Jahren immer mehr zum Massen-Event entwickelt hat, stellt den Verein vor die große Herausforderung: Wie gehen Alpinspaß und Naturschutz zusammen?

Vielleicht hat das alles ja doch mit den Affen zu tun. Herbert Konnerth, staatlich geprüfter Berg- und Skiführer, mag gar nicht ausschließen, dass uns das Klettern schlicht in den Genen steckt. Eine sehr natürliche Fortbewegung mit Händen und Füßen. Das Ertasten von winzigen Vorsprüngen und Spalten mit Zehenspitzen und Fingerkuppen. Die ganze Kraxelei durch Schluchten hindurch und den Fels hinauf. Auf jeden Fall scheint sich beim Klettern etwas sehr Elementares zu ereignen. Konnerth, der schon mit 16 Jahren in die Berge ging, wird unwirsch und unleidig, wenn er ein paar Tage nicht oben war.

Gerade packt er den Rucksack für eine Hochtour am Taschachhaus in den Ötztaler Alpen. Klettern, Skihochtouren – alles kein Problem für den 68-Jährigen. Als junger Mann wurde er noch bestaunt, weil er in die Berge ging. 240 000 Mitglieder hatte der Deutsche Alpenverein (DAV) Ende der Sechzigerjahre. Heute sind es knapp 1,3 Millionen. In einer Zeit, in der viele Vereine vergeblich um junge Leute werben, blüht der DAV in besonderer Pracht. Man könnte auch sagen: Er platzt aus allen Nähten.

In den Hütten zieht Komfort ein – das gefällt nicht jedem

„Wandern und Klettern sind seit einigen Jahren totale In-Sportarten“, so Frank Martin Siefarth, Chefredakteur der alpinwelt, dem Bergmagazin der Sektionen München und Oberland. „Die jungen Leute sind ganz narrisch aufs Klettern und Bouldern.“ 200 Kletterhallen unterhält der Alpenverein inzwischen. Eine Goldgrube. Mitglieder erhalten vergünstigten Eintritt. Die Kletterer werden nicht nur immer mehr, sie werden auch immer besser. 150 Jahre ist der Alpenverein heuer geworden – und so beliebt wie nie.

Konnerth freut das große Interesse am Wandern, Bergsteigen und Klettern. Einerseits. Andererseits fragt er: Hätte man das Klettern gleich zur olympischen Disziplin machen müssen? Wird spätestens 2020, wenn das Freiklettern in Tokio Premiere hat, auch in dieser Sportart gedopt? Und: Wäre das Geld nicht anderswo besser aufgehoben? Für Umweltmaßnahmen zum Beispiel?

Es ist ein anspruchsvoller Spagat, den der DAV bisweilen halten muss. Galt es bei der Gründung 1869 noch, die Alpen zu erschließen, um Wanderern, Touristen und Bewohnern gleichermaßen Gutes zu tun, stellt sich die Frage heute andersrum: Wie kann man die Alpen für Wanderer und Bergsteiger zugleich öffnen und vor ihnen schützen?

Sicher: Noch immer gibt es abgelegene Hütten und unbekanntere Gipfel, auf die man ausweichen kann, wenn die Massen ins Gebirge drängen. Konnerth, der sich auskennt, wandert am liebsten auf alten, verfallenen Jagdsteigen. Solche Ausweichmanöver sind nötig, denn die Einsamkeit, das Unberührte, sucht inzwischen nicht mehr nur eine kleine Elite sportlicher Naturfreunde.

An den Wochenenden stauen sich die Autos auf den Straßen nach Süden, die Wanderparkplätze sind voll, viele Hütten ausgebucht. „Der Besucherdruck“, so Siefarth, „ist enorm gewachsen.“ An einem schönen Sommertag kann es darum ganz schön voll werden. Beispiel Brecherspitz, Mangfallgebirge, an einem Sonntag. 1683 Meter, Anforderung: Trittsicherheit und Schwindelfreiheit. Nicht gerade ein Spaziergang. Und doch so bevölkert, dass Höflichkeit und Geduld gefragt sind beim Vorbeilassen der Runter- und Raufgeher. Am frühen Abend dann, auf der Rückfahrt mit der Bayerischen Oberlandbahn, sieht man in lauter glücklich-erschöpfte Gesichter. Das Gefühl von Weite und Freiheit war halt trotzdem da.

Will man länger und höher hinaus, mietet man sich in eine der 588 Hütten des DAV ein. Zum Beispiel in die Franz-Senn-Hütte, 2147 Meter Höhe, Stubaier Alpen. Die Saison ist kurz, die Hütte öffnet spät im Juni und schließt Anfang Oktober. Alles spielt sich dort oben in wenigen Monaten ab. Das Wandern, die Klettersteige, das Klettern am Seil. Es könnte rummelig sein. Aber es ist nur voll.

Schwere Holzbalken, feste Matratzen, karierte Bettwäsche und das allgemeine Knarzen, wenn am frühen Morgen das Matratzenlager unterm Dach erwacht: Wie die meisten Hütten ist auch diese äußerst rustikal und behaglich. Klar, dass den Spartanern unter den Bergsteigern die vorhandenen warmen Duschen bitter aufstoßen. Einfachheit, Verzicht, das ganze Kernige, Echte droht ihnen verloren zu gehen mit der Lust am Bequemlichen. Die Gräben mögen bereits zwischen Bergsteigern und Bergwanderern, Wanderern und Mountainbikern, Mountainbikern und E-Mountainbikern, Kletterern und Klettersteigern, Schneetourern und Schneeschuhgängern groß sein: Zwischen solchen, die fließend kaltes Wasser einer heißen Dusche vorziehen und denen, die es warm mögen, sind sie noch größer. Allerdings teilt man sich Dusche und Toilette auf der Etage, man liegt auch nicht allein im Raum und zum Abendessen gibt es nur drei Gerichte zur Auswahl. Wellness ist das nicht. Und doch: Die Franz-Senn-Hütte gilt als eine der komfortabelsten Hütten des Verbands.

Einfach ist es für die Pächter nicht. Viel Bürokratie, starke Fluktuation beim Personal. Erwartet wird darüber hinaus, dass sich die Wirte auskennen im Gebiet. Dass die Franz-Senn-Hütte gut geführt wird, merkt man spätestens im Gespräch mit dem Senior des Hauses, der genau die leuchtend blauen Augen hat, die man sich von einem alten Bergsteiger erwartet. Die Schneefelder zur Rinnenspitz und die Kletterseile seien in Ordnung, erklärt Horst Fankhauser auf Nachfrage, er habe sich selbst davon überzeugt. „Dem Gipfelerfolg“, sagt er freundlich, „dürfte nichts im Wege stehen.“

Seine Hütte füllen viele durchtrainierte junge Leute – Kletterer. Darüber hinaus: Familien mit kleinen Kindern. Auch ein älteres Pärchen ist da, von den Jüngeren wird es bestaunt. Auch ein paar Gruppen des Alpenvereins sind hier. Denn der führt dort oben gern seine Kurse durch. „Bergsteigen/Klettersteigen“ etwa, der fünf Tage dauert. Ein Grundkurs, auf den keine Fortgeschrittenenkurse folgen, sondern Hochtouren. Im Programm findet man sie unter dem Titel „Sicher ins ewige Eis“. An solchen Kursen zeigt sich die Liga, in der der Alpenverein spielt. So lernt man etwa, sich auf dem Gletscher anzuseilen oder einander aus einem Felsspalt zu retten. Nichts für Durchschnittsseelen.

Manche Gletscher versinken im Schutt – „das tut weh“

Aber selbst beim Bergsteigen und Klettern wird eine Menge vorausgesetzt: nicht nur Fitness, Tritt- und Schwindelfreiheit, sondern auch die Autorität, eine Gruppe zu führen. Ebenso Interesse am Naturschutz und Gefahrenbewusstsein. Bergsteigen ist zwar vor allem Naturerleben. Aber es ist auch Risiko. „Ein gefrorenes Schneefeld in der Früh kann die Hölle sein“, sagt Konnerth. „Nur Übung, Wissen, Erfahrung und ein gewisses Maß an Demut halten die Gefahren in Schach“, erklärt er.

Die Tagestouren führen über Weiderasen, Geröll, Schutt und Schneefelder hinauf auf die Gipfel, den Schafsgrübel etwa oder die Innere Sommerwand. Was harmlos klingt, erweist sich dann aber doch als ernsthaftes Gekraxel. Vorab lernt man, den Kopf zuunterst, den Sturz auf einem Schneefeld abzubremsen. Man erfährt, wie man sich in weglosem Gelände mithilfe von Höhenmesser, Kompass und Karte orientiert. Auch woran ein aufziehendes Gewitter zu erkennen ist. Und dass man sich auf den Rucksack setzt, die Knie angezogen, den Kopf gesenkt, ein Stück entfernt vom nächsten Fels, falls man bei Blitz und Donner nicht rechtzeitig ins Tal kommt.

Das alles geht ans Eingemachte. Am Klettersteig ist das nicht anders. Respekt fühlen die einen, während sie am Fels hinter der Hütte ihre Karabiner ans Seil hängen, Furcht nennen es die anderen. Für manche aber ist es auch einfach das reine Glück.

Weil der DAV Naturschutz- und Sportverband in einem ist, lernt man nach der Tour unterm Sonnenschirm auf der Terrasse noch ein paar Details über das Leben oben auf dem Berg. Dass ein WC-Spülgang auf der Hütte im Durchschnitt vier bis fünf Euro kostet, zum Beispiel. Denn ob Trinkwassergewinnung, Reststoffentsorgung oder Stromerzeugung: Am Berg ist alles umständlicher und teurer.

Auch über das Leben der Murmeltiere, Gämsen, Steinböcke und Flechten erfährt man viel. Noch vor ein paar Jahrzehnten wären solche Themen eher uncool gewesen. Heute ist Naturschutz keine Frage der Coolness mehr. Sondern eine des Überlebens. Jeder Murmeltierbau im Weiderasen oberhalb der Hütte zeige, dass die Welt noch sehr in Ordnung ist, heißt es.

Wenn da nur der Gletscher nicht wäre, der auch in den Stubaier Alpen kleiner und kleiner wird. Zwei bis drei Prozent ihres Volumens verlieren die Alpengletscher Jahr für Jahr durch den Klimawandel. „Die Gletscher früher haben wuchtig und mächtig ausgesehen, jetzt kümmern sie vor sich hin. Manche versinken im Schutt“, klagt Herbert Konnerth. „Das tut richtig weh!“
(Monika Goetsch)

Foto (privat): Bergführer Herbert Konnerth freut sich über das Interesse am Wandern – betont in seinen Kursen aber auch die negativen Folgen.

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