Leben in Bayern

Eine ungewöhnliche Freundschaft: Erkan Inan und Anita Kaminski. (Foto: Goetsch)

22.06.2018

Der große Wunsch nach Normalität

In München haben eine Jüdin und ein Muslim einen Stammtisch für Mitglieder beider Religionen gegründet

Erkan Inan ist Muslim. Anita Kaminski Jüdin. Vor vier Jahren sind sich die Münchner das erste Mal begegnet. Eine Freundschaft entstand. Inzwischen unterhalten die beiden einen Stammtisch von Muslimen und Juden. Noch ist diese private Initiative ein schwaches Pflänzchen. Sie begegnet Skepsis, Unverständnis und auch Feindseligkeit. Aber das Verständnis für den jeweils anderen wächst.

„Er hat mich einfach angesprochen“, erinnert sich Anita Kaminski. Das war vor vier Jahren, auf einer Buchvorstellung in München. Auch Erkan Inan weiß noch, wie er auf Kaminski zuging. „Ich habe ihr gesagt, dass ich mit jemandem befreundet sein möchte, der jüdisch ist“, erzählt er. „Weil wir sonst immer nur übereinander, aber nicht miteinander reden.“ Erkan Inan ist Muslim. Anita Kaminski Jüdin.

Ein Freitagnachmittag im Juni. Es ist heiß, man sehnt, wie so oft, ein Gewitter herbei. Inan und Kaminski sitzen im Stadtcafé am Münchner Jakobsplatz, gegenüber der Synagoge. Das Jüdische Museum ist nah, die jüdische Schule, das Jüdische Zentrum, ein jüdisches Restaurant. Kaminski bestellt stilles Wasser, Inan nichts. Er fastet in diesen Tagen, von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang. Ramadan. „Selbsterwähltes Schicksal“, sagt er lachend. Gerade noch haben sich beide mit vielen anderen draußen versammelt, zur Solidaritätsaktion „Zusammenstehen gegen Antisemitismus“. Man gedachte eines Verbrechens, auf das viele weitere folgten: der Zerstörung der alten Münchner Synagoge 80 Jahre zuvor, durch die Nazis.

Als Muslim gegen Antisemitismus kämpfen: „Das kostet auch Mut“

Den Teilnehmern der Aktion ging es aber auch um das Wiedererstarken des Antisemitismus heute. Zu der Veranstaltung lud Oberbürgermeister Dieter Reiter. Viele gesellschaftliche Gruppen unterzeichneten seinen Aufruf. Auch das Münchner Forum für Islam, dem Erkan Inan angehört.

Muslime, die gegen Antisemitismus antreten, auf dem Platz vor der Synagoge, gemeinsam mit Menschen, die Kippa tragen: „Das kostete schon Mut“, sagt Inan.

Er ist froh, dass Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, das Problem des aggressiven Judenhasses auf allen Ebenen der Gesellschaft ausmacht, nicht nur unter Muslimen. Viele Juden, sagt die Holocaust-Überlebende auf dem Podium unter einer sehr heiß brennenden Sonne, fühlten sich heute nicht mehr sicher. Dass jüdisches Leben in Deutschland nur unter Polizeischutz möglich ist; dass Alexander Gauland von der AfD die Nazizeit als Fliegenschiss der Geschichte bezeichnete; dass sich die Übergriffe gegen Juden häufen: All das lässt die 85-jährige Kämpferin Knobloch zwar nicht resignieren. Aber ihre Sorge ist groß. „Ich dachte immer, es kommt der Tag, an dem ich nicht mehr kämpfen muss“, sagt sie. Weiterkämpfen müsse jetzt wohl die nächste Generation.

Erkan Inan lief vom Freitagsgebet in seinem Gebetsraum rüber zum Jakobsplatz. Seine Gemeinde in der Münchner Innenstadt ist sunnitisch. Männer und Frauen sitzen beim Gebet getrennt. Zum Jakobsplatz kam auch der Imam, es kam die stellvertretende Vorsitzende. Es kamen andere Gemeindemitglieder, wie Inan.

Keiner der Redner erwähnte das. „Das hat uns tief, tief, tief getroffen“, sagt Inan später im Café. Er will, dass das Engagement des Münchner Forum für Islam gewürdigt wird. Anecken tue er genug. Manchmal wisse er gar nicht, wem er gerade wieder auf den Schlips tritt. Ein kleiner Shitstorm aus verschiedenen Richtungen brach über die Facebook-Seite des Forums ein, als deutlich wurde, dass sich die Muslime mit den Juden solidarisierten. Inan hat die fiesen Kommentare gelöscht. Er will so was nicht auf seiner Seite sehen.

Er bezeichnet sich als bayerischen Türken, die Eltern waren Gastarbeiter. Er ist 42 Jahre alt, verheiratet, drei Kinder. Seine Frau trägt Kopftuch. Neulich sagte der elfjährige Sohn, er habe Angst um sie. Angst, dass einer sie wegen des Kopftuchs schlägt.

Anita Kaminski ist 65. Ist sie eine deutsche Jüdin, eine jüdische Deutsche? So genau definiert sie das gar nicht. Das Jüdischsein hat auf jeden Fall ihr Leben geprägt. Es ist das Leben eines Menschen, der einer Minderheit angehört in einer liberalen, demokratischen Großstadt. Sie hat drei Kinder, die in München aufwuchsen, und drei Enkel. Ihre Eltern stammen aus Polen. Seit zwei Jahren ist sie im Vorstand der Israelitischen Kultusgemeinde. Angst kennt sie gut. Gerade eben zum Beispiel, auf dem Jakobsplatz. Natürlich fürchtete sie, dass etwas passiert. Eine Welt, in der Muslime und Juden miteinander Freundschaft schließen – das ist auch für sie etwas Neues. Bevor Erkan Inan sie ansprach, kannte sie Muslime nur aus ihrer Arbeit in der Arztpraxis. „In meinem Freundeskreis war eine Lücke.“ Gut gesagt, findet Erkan Inan, er kann das teilen, auch er spürte die Lücke.

Darum freute sich Anita Kaminski, als Erkan Inan sie damals nach der Lesung ansprach. Es passte ohnehin zum Abend. Das Buch, über das gesprochen wurde, ist der Dialog zweier Menschen, die aus verschiedenen Welten stammen und doch mehr Gemeinsamkeiten haben, als man gemeinhin vermutet (So fremd und doch so nah. Juden und Muslime in Deutschland von Lamya Kaddor und Michael Rubinstein).

Die Freundschaft zwischen Erkan Inan und Anita Kaminski, die damals entstand, hat längst Früchte getragen. Inzwischen unterhalten die beiden, ganz privat, einen Stammtisch von Muslimen und Juden. Zweimal hat man sich bereits getroffen, Anita Kaminski führte durch die Synagoge, Erkan Inan durch seine Moschee. Hinterher saß man im Stadtcafé zusammen – und fand kaum wieder auseinander, so angeregt war die Runde. Man sprach über kulturelle Gemeinsamkeiten und Unterschiede, über das Leben als Minderheit in Deutschland. Um Politik ging es nicht. Sondern um Begegnungen, in denen Menschen sichtbar werden, jenseits von Etikettierungen und Schubladen.

„Ich möchte, dass meine Kinder Gesichter zu den Religionen haben. Dass sie, wenn es um den Nahostkonflikt geht, Menschen vor sich sehen, mit denen sie etwas verbindet“, sagt Inan. Noch sei die Initiative, ergänzt Anita Kaminski, ein schwaches Pflänzchen. „Aber wir arbeiten daran, dass durch die Begegnung mit dem jeweils anderen Vertrauen und Verständnis wachsen kann.“

Soll die Annäherung gelingen, ist auch Selbstkritik gefragt. „Ich merke im Umgang mit Muslimen, wie stark ich selbst indoktriniert bin“, sagt Anita Kaminski. „Ich merke aber auch, dass ich beginne zu differenzieren. Was für uns fremd ist, ein Kopftuch zum Beispiel, steht nicht für den ganzen Menschen. Es ist nur ein Teil seiner Persönlichkeit. Auch orthodoxe Juden verbergen ihr Haar. Es gibt überall Gemeinsamkeiten.“

Die eigenen Vorurteile im Blick: „Man ertappt sich selbst immer wieder“

Inan hat ebenfalls seine eigenen Vorurteile im Blick: „Man ertappt sich förmlich dabei.“ Wenn er das Befremden spürt, geht er einen Schritt zurück und hört einfach zu. Zuhören, damit die Welt besser wird – man könnte das Vorgehen der beiden für naiv halten. Und das geschieht auch immer wieder. Sie begegnen Skepsis. Unverständnis. Mitunter: Feindseligkeit. Aber Erkan Inan bekennt sich gern zu seiner Naivität. Leichtigkeit wünscht er sich für seinen Stammtisch. Normalität. Entspannte, interessierte Begegnungen von Menschen, die in erster Linie Münchner sind, Bewohner einer weltoffenen Stadt. Gerade hat er darüber hinaus alle Hände voll zu tun. Seit drei Jahren öffnet das Münchner Forum für Islam im Sommer die Türen für Kunst und Gespräch. In diesem Jahr ist die wachsende Juden- und Islamfeindlichkeit in Deutschland Thema von „AusARTen“ (22. Juni bis 8. Juli). Unter anderem ist eine Paneldiskussion geplant (Freitag, 29. Juni, 19 Uhr, Münchner Forum für Islam): „Antisemitismus – Muslime unter Generalverdacht?“. Organisiert wird das Festival von Inan und anderen jungen Muslimen und Musliminnen. Offen steht es allen, die Interesse haben am Austausch.

Anita Kaminski wiederum organisiert einen Zeichenworkshop des israelischen Künstlers Eran Shakine im Jüdischen Museum. Für Kinder. Klar, dass sie ihre Enkel hinschickt. Klar auch, dass die Kinder Inans kommen werden. Vielleicht finden ja auch sie dort gute Freunde? (Monika Goetsch)

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