Leben in Bayern

07.01.2011

Der Mann hinter den Leichen

Serie: Blaulicht – Bayerns Polizei im Einsatz (IX): Die BSZ begleitet die Münchner Spurensicherung bei der Arbeit

Roland Geck lebt mit dem Tod. Etwa 20 Leichen muss der 50-Jährige pro Jahr untersuchen. Der Hauptkommissar arbeitet für die Spurensicherung der Münchner Polizei. Er nimmt Fingerabdrücke ab, sucht DNA-Spuren oder fotografiert Details. Mit der Spezialistenshow der Fernsehserie C. S. I. hat sein Job aber nur wenig gemein.
Prinzipien sind manchmal besonders wichtig – vor allem dann, wenn es um Mord geht. Der Münchner Spurensicherer Roland Geck arbeitet regelmäßig mit Leichen und hat sich dafür klare Regeln gesetzt. Wohl die Wichtigste: Lass eine Tat emotional nie zu nah an dich herankommen! Wenn Geck zu einem Tatort gerufen wird, oft mitten in der Nacht, dann überlegt er zunächst, auf was er alles achten muss. „Dann vergisst man, dass da eine Leiche liegt, weil man so in seine Arbeit vertieft ist“, sagt Geck.
Ist die Tür offen oder geschlossen? Wie steht der Lichtschalter? Was ist mit dem Fenster? Gleichzeitig muss der 50-Jährige ab der ersten Minute darauf achten, dass die Einsatzkräfte oder das Rote Kreuz nicht aus Versehen Spuren zerstören.
Geck muss funktionieren, denn schon der kleinste Fehler ist nicht wieder gutzumachen. Doch die Spurensicherung in München kümmert sich nicht nur um Tötungsdelikte. In der Realität laufe es „nicht wie im Fernsehen, wo ein spektakulärer Mord den anderen ablöst“, erzählt er.


Millionen Fingerabdrücke zentral gespeichert


Die meisten Einsätze der Münchner Spurensicherung sind kleinere Delikte, oft Einbrüche in Büros oder Geschäfte. München ist neben Nürnberg und Augsburg die einzige Polizeiinspektion in Bayern, die sich eine eigene umfassende Spurensicherung leistet.
Uta Schleifer steht in einem Fischstand am Viktualienmarkt, der aufgebrochen wurde. Die Hauptkommissarin soll nun die Spuren sichern. Doch zunächst bespricht sie sich mit den Kollegen von der Polizeiinspektion. Es sind junge Beamte in Zivil, alle kennen sich, alle duzen sich. Schleifer lässt sich vom Inhaber das Überwachungsvideo zeigen. Zu sehen ist ein junger Mann, der die Schubladen und Fächer eines Schränkchens durchwühlt.
Schleifer nimmt ihren Koffer und geht vor dem aufgebrochenen Schränkchen in die Hocke. Dann beginnt sie, die Tür mit einem Pulver einzupinseln. Die 30-jährige Polizistin sichert bei ihren Einsätzen meist die Spuren von Einbrüchen. In den sieben Jahren ihrer Dienstzeit musste sie kaum Tote begutachten. „Bislang hatte ich meist Glück“, sagt Schleifer. Sie träumte bereits als Kind davon, später bei der Spurensicherung zu arbeiten. Die wissenschaftliche Arbeit faszinierte sie. Die Pülverchen und Pinsel. Aber es reizte sie auch, weil sie überzeugt war und ist, dass Spurensicherer bei den Menschen besonders angesehen sind. „Da sind wir noch der echte Freund und Helfer, der den Täter fasst“, sagt Schleifer.
„Magna Brush“ heißt das Rußpulver mit Eisenspänen, das Schleifer auf der Tür verteilt. Die Teilchen bleiben an der Restfeuchtigkeit des Fingerabdrucks hängen, so wird er sichtbar. Schleifer nimmt die Spur mit einem Klebestreifen auf und sichert sie auf einem Blatt Papier. Wenn der Täter bereits in einer Kartei erfasst ist, wird sie seine Identität gleich kennen. Die Fingerabdrücke von 3,5 Millionen Personen sind im Automatischen Fingerabdruckidentifizierungssystem, kurz AFIS, erfasst.
Die zentrale Datenbank liegt beim Bundeskriminalamt in Wiesbaden. Wenn eine Polizeiinspektion gesicherte Fingerabdrücke überprüfen lässt, dann schickt sie sie an das jeweilige Landeskriminalamt, das sie dann ins AFIS eingibt. Beim Bayerischen Landeskriminalamt (BLKA) kümmert sich Richard Ruchowski um die Fingerabdrücke. Er digitalisiert sie zunächst mit einem Scanner, der links neben dem Computerbildschirm steht. Dann überprüft Ruchowski, ob er den Abdruck überhaupt verwenden kann.
Mindestens zwölf anatomische Merkmale muss er finden, sonst kann er die Spur nicht eindeutig zuordnen. Diese Merkmale sind kleine Besonderheiten in der Struktur des Fingerabdrucks. Die dünnen Furchen, Papillarlinien genannt, hören etwa plötzlich auf, teilen sich oder verlaufen in einen Kreis. Das macht Fingerabdrücke unverwechselbar. Jedes Merkmal, das Ruchowski findet, markiert er mit einem Punkt.
Auch die Daten im AFIS sind als solche Punkte gespeichert, so dass das System die Punkte der einzelnen Fingerabdrücke miteinander vergleichen kann. Dann erhält Ruchowski aus dem AFIS 15 Datensätze, geordnet danach, wie sehr sie seiner Abfrage ähneln. „AFIS ist wie eine gute Suchmaschine, man kriegt eine Auswahl an möglichen Treffern, aber die muss man selber prüfen.“
Der Bildschirm ist nun zweigeteilt, links sieht Ruchowski seine Spur, rechts die Daten, die AFIS vorschlägt. Das System hat die Punkte, bei denen es vermutet, dass sie übereinstimmen, grün eingefärbt, die anderen sind pink.
Auch Ruchowski betont, dass der Computer den Täter nicht alleine findet, wenngleich Fernsehserien wie C.S.I. das oft so darstellten. „Das Gerät sagt nicht einfach ´Match Found´ wie bei TV-Krimis, das Wichtigste ist der Mensch.“
Der 54-Jährige muss jeden vorgeschlagenen Fingerabdruck einzeln mit der Spur vergleichen, Punkt für Punkt. Ruchowski macht den ganzen Tag nichts anderes, als Fingerabdrücke zu überprüfen. Er ist überzeugt, dass er nur zu einem echten Spezialisten werden kann, wenn er sich auf diese eine Aufgabe konzentriert.
Roland Geck und Uta Schleifer von der Spurensicherung der Polizei hingegen erledigen eine Vielzahl an Aufgaben: Sie fahren an den Tatort, um dort die Spuren zu sichern und zu fotografieren. Dann werten sie die aufgenommenen Spuren im Präsidium aus.
Natürlich müssen sie auch bei der Leichenschau dabei sein – die Spurensicherer sind es, die die aufgeschnittene Leiche fotografieren. Sie machen Detailaufnahmen von allem, was zu einer Standardobduktion gehört: von den Wunden, klar, aber auch vom Hirn, das in Scheiben geschnitten wird. Oder vom längs aufgeschnittenen Hals, der zeigt, ob das Opfer erwürgt wurde.
Geck sagt, er habe sich schon lange an den Anblick der Leichen gewöhnt. Schlimm wird es für ihn nur, wenn die Leichen stinken. Etwa dann, wenn sie erst nach ein paar Tagen gefunden wurden. Doch auch damit muss er umgehen. „Das macht jeder mit sich aus und wer das nicht kann, braucht nicht hierher kommen“, sagt Geck.


Mit dem Samurai-Schwert zerstückelte Leichen


Er spricht distanziert von den Fällen, die er bearbeitet. Doppelmorde, Zerstückelungen, Kindermorde. Heute arbeitet er zwar hauptsächlich an Altfällen, doch zusätzlich fährt er weiterhin an Tatorte. „Ein Mindestmaß an Action braucht man“, sagt er.
Geck ist leger gekleidet. Der Mann mit graumeliertem Haar trägt meist ein Lächeln im Gesicht. Er macht gerne Witze über seine Arbeit. Doch es gibt Fälle, die gehen selbst an ihm als Profi nicht spurlos vorbei: der Doppelmord an zwei Kosmetikschülerinnen etwa. Die eine hatte sich von ihrem Freund getrennt und wollte nur noch ein paar Sachen aus seiner Wohnung holen.
Da sie wusste, dass er leicht aggressiv wurde, bat sie ihre beste Freundin, sie zu begleiten. Der junge Mann überwältigte die beiden Mädchen in seiner Wohnung und stach sie nieder, die Leichen zerhackte er mit einem Samurai-Schwert in kleine Teile, die er an mehreren Parkplätzen verteilte.
Er wurde bald gefasst. Kriminalhauptkommissar Geck saß später mit dem Mörder im Auto und suchte die Leichen. Gemeinsam fuhren sie die Parkplätze ab und der junge Mann sagte Geck, wo er Teile weggeworfen hatte. Kühl und völlig unbeteiligt, sagt Geck. Das habe ihn wütend gemacht. „Da hat man schon ‘nen Hass.“
Doch es dauert nicht lange, bis der 50-Jährige wieder seine Lockerheit zurückgewonnen hat. „Die Rechtsmediziner mussten die Teile dann erst wieder zusammenpuzzeln“, sagt Geck. Bei besonders schlimmen Fällen geht Geck abends manchmal mit seinen Kollegen ein Bier trinken. Dann überlegen sie, was sie noch alles tun müssen. Das sei aber „nicht so Psychogespräch-mäßig“, betont Geck . Auch mit seiner Frau, einer Bankangestellten, redet er kaum über seine Arbeit. Ihm ist es wichtig, dass er alles mit sich alleine ausmacht.
Uta Schleifer hingegen legt Wert darauf, dass sie über ihre Fälle sprechen kann. Wenn sie von einem Tatort zurückkommt, fragen die Kollegen und der Chef sofort, wie es ihr geht. Wenn sie reden möchte, sei immer jemand da, sagt sie. „Ich habe noch nie ein Problem mit nach Hause genommen.“
Richard Ruchowski kennt die Fälle kaum, deren Fingerabdrücke er untersucht. Er verlässt sein Büro höchstens, um vor Gericht die Spuren zu erklären. Zu Tatorten fahren er und seine Kollegen vom BLKA nie.
Ruchowski sieht in dieser Distanz einen entscheidenden Vorteil, er fühlt sich neutraler als die Kollegen von der Münchner Polizei. „Wir arbeiten immer für die Behörde, nicht für uns selbst.“ Bei den Spurensicherern vor Ort vermutet Ruchowski hingegen, dass ihr persönlicher Ehrgeiz ausgeprägt sei. Vielleicht manchmal noch ausgeprägter als die Suche nach der Wahrheit.
Damit meint er Polizisten wie Schleifer und Geck. Tatsächlich bestätigt auch Roland Geck, dass er den Erfolg sucht. Es gibt Strichlisten, wer am meisten Fälle aufgeklärt hat. Der hat dann bessere Chancen auf ein höheres Gehalt. Geck nennt das „gepflegte Konkurrenz“, der Ehrgeiz treibt ihn an. Sein Ziel ist, Fälle aufzuklären, nicht zu bewerten. „Wir sehen unsere Arbeit nicht als moralisch, das denkt man wohl nur von außen.“ (Antonia Schäfer)

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