Leben in Bayern

Die von Zecken übertragene Frühsommer-Meningoenzephalitis kann in schweren Fällen sogar tödlich enden. (Foto: dpa/Kalaene)

22.03.2024

Die Gefahr lauert im Unterholz

In Bayern wurden bereits die ersten FSME-Fälle gemeldet. Droht ein besonders starkes Zecken-Jahr? Ein Experte warnt vor Hysterie

Es war Mitte Februar und einer der für die Jahreszeit eigentlich zu warmen Tage, als Magdalena Kunas an ihrer Hündin Cora die erste Zecke entdeckte. „Aus Gewohnheit suche ich mich und Cora abends immer ab, aber ich war schon überrascht, als ich die Zecke fand“, sagt die Revierleiterin aus dem Landkreis Freising. Seitdem vergeht kaum ein Tag, an dem ihre Hündin nicht mit Zecken nach Hause kommt.

Die 28-Jährige ist mit Cora täglich mehrere Stunden in ihrem 1800 Hektar großen Revier der Bayerischen Staatsforsten unterwegs. „Zecken sind da immer ein Thema, zumal ich mich ja nicht nur auf den Wegen bewege, sondern mich auch mal durchs Gebüsch schlagen muss“, sagt sie. „Aber in der Vergangenheit hatte ich wenigstens in den Wintermonaten Ruhe.“ Sie führe keine Statistik über die Zecken, die sie an sich und ihrer Hündin finde, aber gefühlt, sagt sie, beginne die Zeckensaison immer früher.

Je wärmer es ist, desto früher kommen die Tiere

Das Gefühl der Revierleiterin trügt nicht. Seitdem die Winter immer milder werden, sind Zecken auch in dieser Jahreszeit aktiv. In Bayern gibt es 2024 bereits fünf Fälle von FSME, der von Zecken übertragenen Frühsommer-Meningoenzephalitis, die in besonders schweren Fällen zu bleibenden neurologischen Ausfällen führen kann und in einem Prozent der Fälle tödlich verläuft. Im Vergleichszeitraum des vergangenen Jahres weist die Statistik des Bayerischen Landesamts für Gesundheit drei Fälle auf.

Gerhard Dobler, Oberfeldarzt am Münchner Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr, hat einige dieser Fälle untersucht. Denn neben seiner Arbeit als Leiter der Abteilung Virologie leitet er auch das nationale Konsiliarlabor für FSME, was bedeutet: Alle strittigen FSME-Fälle aus Deutschland bekommt er auf den Labortisch.

Nicht alle der fünf Fälle aus Bayern, sagt er, stammen aus diesem Jahr. Bei drei Fällen ist er sich sicher, dass die Infektion im Dezember des vergangenen Jahres stattgefunden hat. „Im Durchschnitt dauert es von der Infektion bis zur Meldung drei Wochen“, erklärt er. Bleiben also bislang zwei Fälle für das Jahr 2024.
Der Virologe, einer der renommiertesten Zecken-Experten Deutschlands, schlüsselt die Statistik deshalb so genau auf, weil er etwas genervt ist von den Meldungen der vergangenen Wochen, dass aufgrund dieser frühen Fälle nun ein katastrophales Zecken-Jahr drohe. „Wissenschaftlich lässt sich noch keine Aussage dazu treffen, wie sich dieses Jahr entwickeln wird“, erklärt er und betont: „Die frühe Aktivität der Zecken sagt überhaupt nichts dazu aus, wie das Zecken-Jahr wird und ob wir viele oder wenige FSME-Fälle haben werden.“

Hier spielen laut Dobler viele Faktoren eine Rolle. Zum Beispiel die Witterung. „Wird es ein verregnetes Frühjahr, werden die Menschen weniger in der Natur unterwegs sein und können sich deshalb auch nicht mit FSME infizieren.“ Sprich, allein deshalb würde es dann weniger FSME-Fälle geben. „Mindestens 50 Prozent des Risikos einer FSME-Infektion geht auf menschliches Verhalten zurück“, sagt Dobler.

Aber der Oberfeldarzt will das Risiko nicht kleinreden. „Seit ungefähr acht Jahren sehen wir, wie sich die Fallzahlen deutlich erhöhen“, sagt er. „Mittlerweile ist ganz Bayern Risikogebiet.“ Besonders hoch ist das Risiko in Oberbayern. Seit einigen Jahren steigen hier die Fallzahlen an.

Oberbayern ist negativer Spitzenreiter

Lange war in Bayern die Oberpfalz der Bezirk mit den meisten FSME-Fällen – bis er vor drei Jahren von Oberbayern überholt wurde. Seitdem hat sich der Abstand vergrößert. In der Oberpfalz sinken die Fallzahlen, in Oberbayern steigen sie weiter an. „Die Entwicklung in Oberbayern ist tatsächlich dramatisch“, urteilt Gerhard Dobler. 2010 wurden in Oberbayern laut Robert-Koch-Institut (RKI) nur sieben Fälle gemeldet. Im vergangenen Jahr waren es 61.

Besonders betroffen im Bezirk ist der Südosten und damit die Landkreise Traunstein, Altötting, Rosenheim, Mühldorf am Inn und Berchtesgadener Land. Auch in den Bezirken Schwaben, Niederbayern und Mittelfranken steigen die Zahlen, von einem niedrigeren Niveau ausgehend, an. 2010 gab es in Schwaben zwei Fälle, 2023 waren es 25. In Niederbayern erhöhten sich die Fallzahlen im gleichen Zeitraum von 24 auf 39. Und in Mittelfranken von 21 auf 50. Eine andere Entwicklung dagegen zeigt sich in Unterfranken. Dort ist das FSME-Virus seit einigen Jahren auf dem Rückzug – von 15 Fällen im Jahr 2007 auf vier Fälle im vergangenen Jahr. 

Was die Forscher*innen bei den FSME-Fällen ebenfalls beobachtet haben, ist, dass sich die Zyklizität verändert hat. Früher, erläutert Dobler, habe es in Bayern nur alle drei, vier Jahre ein Jahr mit sehr vielen FSME-Fällen gegeben. In den letzten Jahren aber habe sich dieser Zyklus verändert. Ein Jahr mit hohen Zahlen wechselt sich ab mit einem Jahr mit niedrigen Zahlen. Weil 2023 ein Jahr mit vergleichsweise weniger Fällen war, ist die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass in diesem Jahr die Zahlen wieder ansteigen. „Aber das ist bisher nur eine Vermutung“, sagt Dobler. Es könne auch ganz anders kommen.

Die Zahl der Hotspots nimmt jedes Jahr zu

Unstrittig hingegen ist, dass sich die Zahl der sogenannten FSME-Hotspots seit einigen Jahren erhöht. Diese Flächen sind gerade einmal so groß wie ein Fußballfeld. Und nur dort besteht das Risiko einer Infektion. „Sie können 100 Meter entfernt stehen und von einer Zecke gestochen werden, da passiert Ihnen überhaupt nichts“, sagt Dobler.

Aber darauf sollte man es nicht ankommen lassen. Nachdrücklich rät der Wissenschaftler jedem in Bayern zur FSME-Impfung und dazu, Vorsicht walten zu lassen. Wer in der Natur unterwegs ist, sollte auf den Wegen bleiben und möglichst den Kontakt mit Gräsern und Sträuchern vermeiden. Bei Magdalena Kunas Beruf ist das nicht möglich, aber umso mehr achtet sie auf ihre Kleidung. „Auch wenn es warm ist, trage ich eine lange Hose, die ich unten an den Schuhen zubinden kann“, sagt sie. 

Dobler rät zudem zu heller Kleidung, denn auf dem hellen Untergrund würde man die Zecken besser erkennen. Wichtig sei es auch, sich nach dem Aufenthalt in der Natur akribisch abzusuchen. Wer eine Zecke findet, sollte diese sofort entfernen. Das verhindert unter Umständen eine Infektion mit der zweiten Hauptkrankheit, die in Bayern vom Holzbock übertragen wird, der Lyme-Borreliose. Die Zecke muss zwölf bis 20 Stunden Blut saugen, bevor es zur Übertragung der Bakterien kommt. Anders dagegen bei FSME. Hier überträgt die Zecke das Virus sofort mit dem Beginn des Stiches. (Beatrice Ossberger)
 

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